Kommentar
Eine historische Frauenwahl mit einem kleinen Wermutstropfen
Mit der souveränen Kür von zwei kompetenten Frauen in den Bundesrat im ersten Wahlgang hat die Bundesversammlung endlich zur Normalität gefunden. Normalität deshalb, weil weibliche Kandidaturen in den letzten 47 Jahren seit Einführung des Frauenstimmrechts die Bundesversammlung häufig in einen politischen Ausnahmezustand versetzt hatten: Keine Bundesrätinwahl ging derart glatt und eindeutig im ersten Wahlgang über die Bühne – bis gestern. Um das historische Ereignis richtig einzuordnen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Denn für den gestrigen Frauenerfolg gibt es ein Rezept, das auch in Zukunft funktionieren kann – und einen Wermutstropfen aus weiblicher Sicht.
Doch der Reihe nach: Die frühen Frauenkandidaturen für die Landesregierung waren alle von schlagzeilenträchtigen Zwischenfällen geprägt.
- Die Wahl der ersten offiziellen Kandidatin, Lilian Uchtenhagen (SP/ZH), wurde 1983 in einer Nacht-und-Nebelaktion verhindert, angeblich weil sie zu links und zu emotional war: An ihrer Stelle hievten die mehrheitlich bürgerlichen National- und Ständeräte den vermeintlich angepassteren Sprengkandidaten Otto Stich (SP/SO) in die Landesregierung.
- Die Wahl der zweiten von ihrer Fraktion vorgeschlagenen Kandidatin, Elisabeth Kopp (FDP/ZH), gilt gemeinhin als Unfall: Nach schweren Vorwürfen gegen ihren schlitzohrigen Gatten wollte man 1984 die geschätzte Lokalpolitikerin nicht allzu deutlich abblitzen lassen: Sie wurde mit 124 Stimmen im ersten Wahlgang haarscharf gewählt, mit nur einer Stimme über dem absoluten Mehr.
- Die dritte offizielle Kandidatin, Christiane Brunner (SP/GE), wurde 1993 Opfer einer abstrusen, von Männerphantasien genährten Schlammschlacht. An ihrer Stelle wurde der profillose Sprengkandidat Francis Matthey (SP/NE) gewählt, der sich nach landesweiten Frauenprotesten zurückzog. Schliesslich kam Ruth Dreifuss, die äusserlich etwas bieder wirkende politischen «Zwillingsschwester» Brunners, zum Zug.
Dreifuss wurde unterschätzt, genau wie Ruth Metzler (CVP/AI) sechs Jahre später. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Wahl im Bundesparlament weitgehend unbekannt, eine ideale Projektionsfläche für konservative Männer, die starke Frauen fürchteten. Doch was geschah mit den beiden, die unter Wert gehandelt wurden? Sie entwickelten als Ministerinnen ein unerwartet eigenständiges Profil, mit dem sie bei der Ratsmehrheit zunehmend aneckten. Ruth Metzler wurde nach gut vier Jahren wieder abgewählt, Ruth Dreifuss bekam viel Kritik, steckte diese aber gelassen weg.
Was die Bundesversammlung daraus gelernt hat: Parlamentsexterne Kandidierende sind weniger berechenbar, daher wählt man lieber, was man kennt – eine Haltung, die sie gestern mit der deutlichen Nichtwahl von Heidi Z’graggen bekräftigte. Auch Eveline Widmer-Schlumpf (BDP/GR), die 2003 den Sprung von der Bünder Exekutive direkt in die Landesregierung schaffte, hatte mit Alleingängen für Irritationen gesorgt. Und so wurden in den letzten Jahren nach einer Phase der Winkelzüge keine inoffiziellen Kandidierenden mehr gewählt. Das Wahlgremium hält sich grundsätzlich wieder an die Empfehlungen der Parteien.
Aus der turbulenten Wahl von Ruth Dreifuss 1993 haben auch die Sozialdemokraten eine wichtige Lehre gezogen: Wenn Sie eine Frau durchbringen wollen, treten sie besser mit einem weiblichen Doppelticket an. Diese Strategie hat sich bewährt, bei der Genferin Micheline Calmy-Rey, die 2002 zusammen mit der Freiburgerin Ruth Lüthi antrat – ebenso wie zuletzt bei der Bernerin Simonetta Sommaruga, die zusammen mit der Züricherin Jacqueline Fehr kandidierte. Die Bewerberinnen aus der FDP dagegen scheiterten in den 30 Jahren seit dem erzwungenen Rücktritt von Elisabeth Kopp immer wieder. Zwar haben die Freisinnigen Frauen auf den Schild gehoben, liessen sie aber stets in Konkurrenz zu einem männlichen Kollegen antreten – erfolglos. Die Christdemokraten wiederum haben in den letzten Wochen das Erfolgsrezept der SP kopiert, unter dem Druck der CVP-Frauen, der traditionellen Frauenorganisationen sowie der Kampagne «Helvetia ruft» – und wohl auch mit Blick auf die nationalen Wahlen vom nächsten Herbst. Denn Bundesrätinnen sind in aller Regel deutlich populärer als ihre Kollegen. Doris Leuthard – sie wurde als Ausnahmeerscheinung 2005 auf einem Einzelticket im ersten Wahlgang gewählt – war bis zu ihrem Rücktritt ein Zugpferd ihrer Partei.
So sitzen im Bundesratszimmer ab Januar 2019 nun neu drei Ministerinnen vier Departementsvorstehern gegenüber: Die Schweizer Bevölkerung wird damit deutlich besser in der Landesregierung repräsentiert als zuvor. Und doch fällt auf, dass erneut zwei kinderlose Frauen ins oberste Gremium gewählt wurden. Noch nie wurde hierzulande eine Mutter schulpflichtiger Kinder in die oberste Behörde gewählt, mit Elisabeth Kopp, Eveline Widmer-Schlumpf und Micheline Calmy-Rey haben es bisher erst drei Mütter in den Bundesrat geschafft, nachdem ihre Kinder erwachsen waren. Alain Berset dagegen ist wie viele seiner Vorgänger Vater von drei schulpflichtigen Kindern, und Ueli Maurer hat sogar sechs Kinder, wobei der Jüngste bei seiner Wahl ein Kleinkind war. Ein Umstand, der nicht gross zur Kenntnis genommen wird.
Dass die realen Lebensverhältnisse der Schweizerinnen und Schweizer in diesem Punkt mangelhaft abgebildet sind, hat natürlich viele Gründe: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird in der Schweiz mangelhaft gefördert, in der Wirtschaft wie in der Politik; eine Politkarriere ist wenig familienfreundlich, da sie überdurchschnittliches Engagement in Abendstunden und an Wochenenden erfordert; und die Belastung des Ministeramts ist generell enorm, was von Männern mit traditionellen Familienverhältnissen besser zu bewältigen ist.
Skandinavische Minister und Ministerinnen leben längst vor, dass es anders geht – und die Sichtweise junger Eltern eine willkommene Bereicherung für Regierungen darstellt. Doch bis die Schweiz auch hier eine Normalität lebt, dürfte es dauern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Catherine Duttweiler ist Autorin der Bundesratsbiografien "Kopp & Kopp - Aufstieg und Fall der ersten Bundesrätin" sowie "Adieu, Monsieur - Chronologie einer turbulenten Bundesrätinwahl".
In einer vergleichbaren Situation wie Mütter befinden sich Väter, die zugunsten der Familie ihr Pensum reduzieren und auch mal ein krankes Kind betreuen. Auch sie stehen bei der Karriere vor vergleichbaren Hürden und müssen sich oftmals anhören, dass andere Männer und Frauen ohne Betreuungspflichten flexibler seien. Im Unterschied zu den Müttern fehlt den Vätern aber jegliche politische Unterstützung. In diesem Sinn sollte generell einmal hinterfragt werden, wie familientauglich unsere Arbeitswelt ist.
Es ist völlig bedeutungslos, wer in diesem System in den Bundesrat gewählt wird. Die glorreichen Sieben halten sich für mächtig, dabei sind sie bloss in der Regierung.