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Der erfrischende Otto Schoch prägte eine neue Ära im Ständerat entscheidend mit. © pd

Ein grosser Liberaler stirbt – aber wen kümmerts?

Jürg Lehmann /  Der ehemalige FDP-Ständerat Otto Schoch ist tot. Die meisten Medien meldeten es kurz, die Partei schaffte nicht mal das.

Der Anwalt aus Herisau (AR) war ein eigenständiger, kluger und gradliniger Politiker, der unvoreingenommen und unverkrampft über die Parteigrenzen hinweg kooperierte. Seine Anliegen vertrat er klar und konsequent. Gleichzeitig war er witzig, umgänglich und ein Mann mit untadeligen Manieren. Er präsidierte den Ständerat 1995/1996.

Otto Schoch war ein Reformfreisinniger im besten Sinne. Er eckte mit seinen Ideen an, sie waren nicht selten seiner Zeit voraus, aber sie belebten die Debatten im bürgerlichen Lager. Die «Arbeitsgruppe Armeereform», die er leitete, schlug 1990 unter vielen anderen Ideen die Ablösung der Wehrpflicht durch eine allgemeine Dienstpflicht vor. Grosse Verwunderung. Acht Jahre später lehnte sich Schoch, damals schon nicht mehr als Ständerat, noch weiter aus dem Fenster und plädierte aus sicherheitspolitischen Überlegungen für den Beitritt der Schweiz zur Nato. Damit hatte er den Ruf eines «Nato-Turbos» weg.

Herzensanliegen Totalrevision der Bundesverfassung

Doch Schoch stand auch auf dem Boden des Machbaren. Er sah sich nicht nur als Appenzeller und Schweizer, sondern auch als Europäer. Er setzte sich im Gleichschritt mit dem damaligen Justizminister und Innerrhoder Nachbarn Arnold Koller vehement für die Totalrevision der Bundesverfassung ein (sie wurde im April 1999 von Volk und Ständen abgesegnet). Er arbeitete als Präsident der Expertenkommission hartnäckig an der Revision des Krankenversicherungsgesetzes, und er war nach seinem Rücktritt aus der Kleinen Kammer noch über sieben Jahre Ombudsmann bei Radio und Fernsehen DRS.

Als der 49-jährige 1983 nach Bern gewählt wurde, galt der Ständerat als Bremsverein der Nation, Altherrenrunde und stockkonservativer Debattenclub. Die Jusos wollten die Kammer damals per Volksinitiative abschaffen. Aber Schoch war der Vorbote einer neuen Generation; 1987 wurden weitere Reformpolitiker in den Ständerat gewählt, und 1991 kam es zum endgültigen Durchbruch der Köpfe, die in der darauffolgenden Legislatur den Takt im «Stöckli» angaben.

Fortschrittliche «Chambre de Réflexion»

Otto Schoch gehörte in der 18-köpfigen ständerätlichen FDP-Gruppe mit Gilles Petitpierre (GE), René Rhinow (BL), Fritz Schiesser (GL), Sergio Salvioni (TI), Christine Beerli (BE) und Andreas Iten (ZG) zu den treibenden Kräften. Zusammen mit Ulrich Zimmerli (SVP) und bis ins CVP-Lager hinein prägten sie in diesen Jahren den Ruf der Kammer als fortschrittliche «Chambre de Réflexion» in einer Art und Weise, die ihre Kritiker verstummen liessen.

So wollte der Nationalrat zum Beispiel das Verbandsbeschwerderecht im Natur- und Heimatschutz massiv zurückfahren, der Ständerat setzte es trotzig wieder integral ein. Der grüne Nationalrat Hans Meier (ZH) gehörte ebenfalls zu jenen, die die Kleine Kammer ins Pfefferland gewünscht hatten. Jetzt schwärmte er von den «sehr guten Leuten» aus FDP und CVP im Ständerat und staunte: «Der Ständerat korrigiert die Fehlentscheide des Nationalrates.»

FDP: Kein Nachruf, keine Todesanzeige

Heute scheint diese vitale Ära weit weg zu sein. Die FDP-Gruppe im Ständerat ist auf 11 Abgeordnete geschrumpft. Liberale FDP-Querdenker von der Statur Schochs sucht man vergeblich. Am 5. Juli ist Otto Schoch im Alter von 78 Jahren gestorben. Die meisten Medien vermeldeten seinen Tod kurz und knapp. Auch NZZ und SRF begnügten sich damit. Der «Tages-Anzeiger» brachte keine einzige Zeile, dafür schob die NZZ Tage später einen Nachruf des Glarners Parteifreundes Fritz Schiesser nach. Etwas breiter berichteten die Medien aus der näheren appenzellischen Heimat Schochs.

Und der Freisinn, die politische Heimat von Otto Schoch? Sucht man die Homepage der Schweizer Partei ab, findet man nichts über den Tod des grossen Liberalen. Auf Anfrage teilt Sprecherin Pia Guggenbühl mit, dass die Partei um den Tod von Otto Schoch trauere: «Er war ein herausragendes Mitglied der damaligen Fraktion.» Eine Traueranzeige oder einen Nachruf hat die Partei nicht geschaltet.

——-

FDP-Sprecherin Pia Guggenbühl kritisiert, dass die Stellungnahme der Partei, die sie Infosperber zur Verfügung stellte, im Artikel nur bruchstückhaft zitiert werde. Sie legt Wert darauf, dass auch folgende Punkte öffentlich gemacht werden:

• Der Parteipräsident hat im Namen der Bundeshausfraktion der Trauerfamilie kondoliert;
• mehrere aktive und frühere Parlamentarier nahmen an der Trauerfeier teil;
• für die Publikation von Trauerinseraten hat die FDP ein geregeltes Verfahren und – wie andere Parteien auch – publiziert sie keine Nachrufe auf ehemalige Ständeräte und Nationalräte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war von 1987 bis 1995 Bundeshauskorrespondent der "SonntagsZeitung".

Zum Infosperber-Dossier:

Nationalratssaal_Bundeshaus

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4 Meinungen

  • am 12.07.2013 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Es ist immer dasselbe, der Prophet gilt nichts im eigenen Lande……

  • am 12.07.2013 um 18:08 Uhr
    Permalink

    Otto Schoch war wirklich ein unabhängiger Kopf mit einem ausgesprochenen Gespür für von ihm im Rat intelligent vertretene juristische Grundsatzfragen und demokratische Geradlinigkeit. So setzte er sich u.a. 1995 gegen seine Partei und die Parlamentsmehrheit sowie leider auch ohne Hilfe der im Beitrag von Jürg Lehmann erwähnten anderen Querdenker vehement dagegen ein, die Volksinitiative «für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik» ungültig zu erklären. Der entsprechende Antrag des damaligen EMD war im Bundesrat noch gescheitert, wurde aber im Nationalrat erfolgreich wieder aufgenommen. Die fadenscheinigen Argumente, das Volksbegehren verletze die Einheit der Materie (Reduktion der Militärausgaben zugunsten von Ausgaben für friedenspolitische Programme und soziale Sicherheit), waren ihm demokratisch und staatsrechtlich zuwider. Seine entsprechend engagierte (vom Initiativ-Anliegen unabhängige) Grundsatzrede im Ständerat werde ich nie vergessen.

  • am 12.07.2013 um 20:49 Uhr
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    Auch ich bin enttäuscht darüber, dass Otto Schochs wirken in Bern so wenig gewürdigt wurde. Gescheite, unabhängige, integre Menschen wie Otto Schoch sind selten genug. Wir müssen ihnen Sorge tragen, im Leben und auch darüber hinaus.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 13.07.2013 um 16:16 Uhr
    Permalink

    Für mich war Otto Schoch eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Generation in der Schweiz, weswegen ich ihn, z.B. nebst Walther Hofer, Jürg Amann, Marc Rich, Alfred Waldis, Regine Schindler, Pierre Wenger und Josi Meier auf der internationalen webside http://www.portal-der-erinnerung.de mit einem Nachruf gewürdigt habe. Er war so etwas wie das progressive Pendant zur Innerrhoder Saftwurzel Raymond Broger. Es war jedoch auch darauf aufmerksam zu machen, dass Otto Dagobert Schoch, diese brillante Persönlichkeit, sich gelegentlich verrannt hat und Auffassungen vertrat, die in der Appenzeller Hochburg des eidgenössischen Common Sense unter 5 Prozent ankommen würden, z.B. Ideen in Richtung NATO. Es bleibt aber dabei, dass Otto Schoch massgeblich dazu beigetragen hat, den ursprünglichen Charakter des Ständerates so zu verändern, dass die allgemeine Zustimmungsfähigkeit bzw. breite Akzeptanz dieser Institution massgeblich gestiegen ist. Abstimmungsresultate wie 45 zu 1 (Minderinitiative) oder 46 zu 0 bei Initiativen, die vom Volk angenommen wurden, bleiben trotzdem eine Schande. Aber daran ist der hochverdiente Otto Schoch, der tatsächlich eine Würdigung durch seine Partei verdient hätte, nicht schuld.

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