Kommentar

Ein Blackout der Schweizer Medien

Kurt Marti © Christian Schnur

Kurt Marti /  Statt dem vorweihnachtlich angedrohten Blackout der Stromversorgung kam es zum Blackout der Schweizer Medien.

Was würden Sie tun, liebe Infosperber-Leserin und lieber Infosperber-Leser, wenn Sie eine Journalistin oder ein Journalist wären, und die Stromlobby behaupten würde, es drohe im kommenden Winter ein Strom-Blackout, weil schon Mitte Dezember die Schweizer Stauseen halbleer seien? Würden Sie diese skandalöse Meldung brühwarm und kritiklos an die Bevölkerung weiterreichen oder würden Sie der Frage nachgehen, wieso die Stauseen schon Anfang Winter halbleer sind?

Natürlich letzteres, denn es ist doch die Aufgabe der Medien, der Strombranche auf die Finger zu schauen. Im letzten Dezember war die mediale Realität leider eine ganz andere: Die Schweizer Medien beschränkten sich grösstenteils darauf, die Meldung von den halbleeren Stauseen zu verbreiten, ohne nach den Gründen zu suchen. Dabei hätte ein Blick in die Stausee-Statistik des Bundesamtes für Energie (BFE) und auf die Internetseite der europäischen Strombörse genügt, um das Geheul der Strombranche zu entlarven: Mitte September 2015 waren die Stauseen so voll wie schon lange nicht mehr und Mitte Dezember – nur drei Monate später – waren sie bereits halbleer,

  • weil die Stromwirtschaft den schnellen Profit suchte und dabei die Sicherheit der Landesversorgung aus den Augen verlor und
  • weil die zuständigen Aufsichtsgremien entweder schliefen, allen voran die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) und das BFE, oder mit der Stromlobby zu stark verbandelt sind.

(siehe Infosperber: «Blackout: So hält uns die Strombranche zum Narren»)

Der Blackout der Schweizer Medien erstaunt, insbesondere im hochgelobten Zeitalter von Big Data und des Data-Journalismus. Der Bereich des Energie-Journalismus in der Schweiz jedenfalls ist davon noch mehrheitlich unberührt geblieben, wie das Blackout-Beispiel zeigt.

Zudem hat Infosperber schon mehrfach gezeigt, dass sich die Schweizer Medien hauptsächlich auf die brave Abbildung dessen beschränken, was sie von der Stromlobby geliefert bekommen. Das hat den Vorteil, dass sich die Redaktoren für den begehrten Wechsel vom Journalismus zur PR und Kommunikation nicht unnötig Steine in den Weg legen.

Wenn aber die Medien schon auf eigene Recherchen verzichten, dann wäre es doch naheliegend, wenigstens die Recherchen anderer mit Quellenverweis weiterzugeben. Doch weit gefehlt. Einzig der Tagesanzeiger griff die Recherchen von Infosperber auf und konfrontierte den ElCom-Präsidenten Carlo Schmid mit den Fakten. Dieser nahm die Strombranche grosszügig in Schutz und wich damit der zentralen Frage nach der eigenen Verantwortung elegant aus. Zudem empfand Schmid die Kritik von Infosperber, dass in der ElCom die ehemaligen Alpiq-Leute die Fäden zögen, gar als Majestäts-Beleidigung («fast schon beleidigend»). Soviel zum Thema «Strombarone».

Die anderen Printmedien und auch SRF liessen die Hintergründe über die skandalöse Entleerung der Stauseen kalt. Speziell erwähnt sei dabei die NZZ, welche Ende Dezember in einem Kommentar auf die Trockenheit und den Klimawandel verwies: «Weder Swissgrid noch die Eidgenössische Elektrizitätskommission als Wächterin über die Versorgungssicherheit rechneten aber damit, dass die Lage schon diesen Winter durch die Kombination von Trockenheit und dem Ausfall des AKW Beznau heikel werden könnte. Die wichtigste Lehre aus diesen Monaten lautet denn, dass durch den Klimawandel auch im Stromnetz vermehrt mit Aussergewöhnlichem gerechnet werden muss.»

Keine Rede von der Verantwortung der Strombranche für die vorzeitige Entleerung der Stauseen und auch die ElCom und Swissgrid kommen glimpflich davon: Sie haben einfach nicht mit dem Klimawandel gerechnet. Dabei lauten doch die entscheidenden Fragen: Wieso haben die ElCom, das BFE und Swissgrid die vorzeitige Entleerung der Stauseen nicht rechtzeitig gestoppt? Und wieso wird diese gravierende Unterlassung jetzt nicht offiziell untersucht?

Übrigens: Der erwähnte NZZ-Kommentar stammte aus der Feder des NZZ-Energie-Redaktors, der am 1. Juli 2016 das Amt des Generalsekretärs des Departementes des Innern des Kanton St. Gallen übernimmt, der bekanntlich zu den Aktionären des Stromkonzerns Axpo gehört.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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2 Meinungen

  • am 8.01.2016 um 14:04 Uhr
    Permalink

    Es scheint in der Energiepolitik eine 5. Kolonne zu geben, Mitglieder bekleiden hohe Ämter, vertreten aber nicht die Interessen unsres Landes!

  • am 12.01.2016 um 08:32 Uhr
    Permalink

    Danke für die Hintergrundrecherchen und für die kritische Hinterfragung! Leider nur ein Beispiel mehr dafür, dass sich derzeit nur alles um den Markt dreht, sich aber anscheinend kaum jemand um die Systemsicherheit Gedanken macht :-(.

    Auch wenn das Thema «Blackout» hier offensichtlich etwas hausgemachtes an sich hat, das europäische Stromversorgungssystem muss zunehmend an der Belastungsgrenze betrieben werden … was nicht unbedingt die Systemsicherheit erhöht (siehe http://www.herbert.saurugg.net/2016/blog/stromversorgung/auswertung-redispatching-intradaystops). Daher geht es – trotz der aufgezeigten Eigeninteressen – vor allem um die Frage, ob wir auf ein solches Szenario vorbereitet wären. Und das muss leider mit nein beantwortet werden, wobei die Schweiz hier wohl noch am besten aufgestellt ist … http://www.herbert.saurugg.net/strom-blackout

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