Werbung-Bahnhofstrasse

Verschwindet sie bald aus Zürich? Bildschirmwerbung an der Bahnhofstrasse © Pascal Sigg

«Dieser Werbung kann niemand ausweichen»

Pascal Sigg /  Zürich streitet über Aussenwerbung. Nun sollen alle Werbescreens verschwinden. Die Branche befürchtet eine Signalwirkung.

«Der Stadtrat wird aufgefordert zu prüfen, wie der geplante Ausbau von Reklameflächen in der Stadt Zürich per sofort gestoppt werden kann. Es sollen insbesondere keine neuen digitalen Werbescreens oder Leuchtdrehsäulen mehr entstehen».

Dies fordert ein Postulat, welches der Zürcher Gemeinderat Anfang September annahm. Eine linke Mehrheit aus AL, Grünen und SP stimmte dafür. Damit intervenierte der Gemeinderat in eine laufende Ausschreibung des Stadtrats (Exekutive), welcher weitere Flächen für Aussenwerbung im öffentlichen Raum verkaufen wollte.

Die linken Parteien begründeten ihr Postulat damit, dass diese Aussenwerbung viel Strom verbrauche. Aber der Vorstoss zielte auch ganz grundsätzlich auf Werbung im öffentlichen Raum und den ungefragten Verkauf der Aufmerksamkeit von Stadtbewohnern und Passantinnen: Dieser Werbung, heisst es im Postulat, könne «niemand ausweichen, da im Gegensatz zum digitalen Raum keine Adblocker bestehen und im Gegensatz zu Werbung bei z.B. Druckerzeugnissen keine Möglichkeit besteht, den öffentlichen Raum zu meiden.»

Hitzige Debatte zwischen IG und Werbebranche

Die rare Politikdebatte über die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums verläuft hitzig. Mit einem Brief und einer E-Mail an alle Gemeinderätinnen und Gemeinderäte hatten Branchenvertreter noch versucht, den Entscheid vorgängig zu beeinflussen. Die Verbände «Aussenwerbung Schweiz», «Kommunikation Schweiz» und «ADC» wollten den Nutzen der Branche hervorheben. Christoph Marty, CEO von Clear Channel, erwähnte die Steuereinnahmen der Stadt Zürich durch die Aussenwerbeunternehmen APG und Clear Channel und gab an, 50 Prozent der Plakatwerbung würde «von KMU im lokalen und regionalen Gewerbe für ihre Bedürfnisse genutzt».

Christian Hänggi von der «IG Plakat | Raum | Gesellschaft» (IG PRG) reagierte mit einem Blogpost, in welchem er die Branche der Lügen bezichtigte. «Keine Transparenz, keine Quellenangaben, und seit Jahren stellen die Plakatgesellschaften irgendwelche Behauptungen in die Welt, die schwer zu überprüfen sind.» In einer Stichprobe hatte die Interessengemeinschaft nachgezählt und kam auf etwa 3 Prozent KMU-Anteil auf den zufällig ausgewählten Flächen. Als KMU galt: weniger als 250 Mitarbeitende oder Umsatz von weniger als 50 Millionen Franken.

Auf Infosperber-Anfrage zum KMU-Anteil gab Markus Ehrle, CEO der APG und Präsident des Verbands Aussenwerbung Schweiz (AWS) zu: «Der Verband erhebt keine konsolidierten Zahlen.» Die APG selber unterscheide zwischen nationalen und lokalen Verkäufen. Bei der APG betrage der Anteil an lokalen Verkäufen 48 Prozent. Gemäss eigenen Angaben zählten aber auch die Zürcher Kantonalbank (über 5000 Angestellte), die Verkehrsbetriebe VBZ (über 2000 Angestellte) oder die Energiebetriebe EWZ (über 1000 Angestellte) dazu. Die Grösse des Unternehmens – wie im Brief an die Gemeinderatsmitglieder mit der Bezeichnung KMU suggeriert – spielt jedoch keine Rolle.

Gewinne fliessen ins Ausland

Neben ihrer Kundschaft gaben auch die Unternehmen selber zu reden. Christian Hänggi von der IG PRG stört: «Der grösste Teil der Gewinne mit dem lokalen öffentlichen Raum in der Schweiz fliesst ins Ausland.» APG und Clear Channel hoben im Schreiben an die Gemeinderatsmitglieder derweil auch ihre Steuerleistungen hervor. Die APG hat den offiziellen Hauptsitz in Genf, das operative Geschäft aber wird aus Zürich betrieben. Gemäss Geschäftsbericht 2021 ist die französische Familie Decaux Hauptaktionärin, weitere grosse Beteiligungen halten in Luxemburg und den Niederlanden domizilierte Konstrukte.

Die APG gibt an, in der Stadt Zürich Steuern zu bezahlen, was die Stadtverwaltung mit einem Brief tatsächlich verdankte. Gemäss Finanzdepartement der Stadt Zürich, das keine Auskunft zu konkreten Unternehmen gibt, sind Unternehmen in Zürich steuerpflichtig, deren «Sitz oder tatsächliche Verwaltung» sich in der Stadt befindet. Falls sie Liegenschaften oder Betriebsstätten in der Stadt haben, erfolgt eine sogenannte Steuerausscheidung.

Clear Channel Schweiz ist im zugerischen Hünenberg domiziliert und eine Tochtergesellschaft der Clear Channel Outdoor Holding mit Sitz in Texas. Das Unternehmen unterhält eine Filiale in Zürich. Infosperber teilte es auf Anfrage mit: «Wir zahlen direkte Steuern auf den Unternehmensgewinn in Zürich.» In der Stadt Zürich beträgt der Gewinnsteuersatz für Unternehmen etwa 20 Prozent.

Überraschung allenthalben

Der Entscheid des Gemeinderats wurde auf beiden Seiten mit Überraschung quittiert. Christian Hänggi von der IG PRG schrieb: «Die Annahme des Postulats ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber ein bemerkenswerter. Nachdem der Stadtrat seit 15 Jahren alles, was von der IG Plakat | Raum | Gesellschaft kam, abgeschmettert hat, fühlen wir uns heute endlich ein wenig bestätigt.»

Die Werbebranche hingegen reagierte bestürzt auf den Entscheid und befürchtet eine Signalwirkung für die ganze Schweiz. Gegenüber Infosperber bedauerte Markus Ehrle von AWS, «dass eine Mehrheit des Gemeinderates unsere Argumente in dieser leider ideologiebasierten Diskussion nicht anerkannte und auf Symbolpolitik setzt». Und Jürg Bachmann, Präsident von Kommunikation Schweiz, sprach gar von einer Einschränkung der Informationsfreiheit.

Mit dem Gemeinderatsbeschluss ist die politische Auseinandersetzung um Aussenwerbung tatsächlich erst am Anfang. Noch gibt es viele offene Fragen. Wie viel Aussenwerbung soll Zürich nun zulassen? Welcher Art soll sie sein? Wer bestimmt das? Und zu welchem Preis? Diese Fragen durfte der Stadtrat bisher allesamt selber und nach eigenem Geschmack beantworten. Damit ist jetzt Schluss. Bis spätestens September 2024 muss er dem Gemeinderat aufzeigen, wie er dessen Forderung umsetzen kann.

SP-Gemeinderätin Anna Graff, welche das Postulat einreichte, hofft auf eine raschere Antwort. Ihre Erwartung ist klar: «Die Überweisung unseres dringlichen Postulats gibt dem Stadtrat eine klare Vorgabe, dass keine Konzessionen für digitale Werbeträger mehr gegeben werden sollen. Konzessionen für analoge Flächen können demnach auch nur gegeben werden, wenn die Gesamtwerbefläche nicht zunimmt. Das Geschäft signalisiert aber sicher auch auf eine allgemeinere Art eine Kritik an Aussenwerbung, welcher sich der Stadtrat nun bewusst sein dürfte.»

Werbebildschirmverbot geplant

Diese Kritik kommt in einem weiteren Postulat von SP, Grünen und AL noch deutlicher zum Ausdruck. Der Vorstoss muss zwar zuerst noch im Gemeinderat diskutiert werden. Aber auch angesichts der linken Mehrheitsverhältnisse im Rat ist sein Inhalt brisant: Der Stadtrat soll prüfen, wie Werbescreens und Leuchtdrehsäulen gleich auf privatem und öffentlichem Grund ganz aus der Stadt verbannt werden können.

SP-Gemeinderätin Anna Graff nennt diese «aufmerksamkeitspsychologisch besonders invasiv und energetisch besonders unsinnig». Sie bestreitet jedoch, dass SP, Grüne und AL Aussenwerbung ganz verbieten wollen: «Natürlich sind die Vorstösse nicht zuletzt durch eine Kritik an Aussenwerbung im Allgemeinen begründet. Die Forderung nach einem solchen Verbot liegt aber aktuell nicht auf dem Tisch.» 

Fest steht in jedem Fall: Es geht um eine Einnahmequelle für die Stadtverwaltung. Wie Infosperber bereits bekanntmachte, bringen alleine die bereits existierenden 47 Werbescreens der Stadt jährlich 10 Millionen Franken ein. Und in der Debatte im Gemeinderat wies FDP-Stadtrat Michael Baumer darauf hin, dass die Verkehrsbetriebe VBZ bis Ende 2028 mit 100 Millionen Franken Werbeeinnahmen rechneten. Was er indes verschwieg: Dieser Werbeertrag beläuft sich gemäss Geschäftsbericht 2021 auf 3 bis 4 Prozent der jährlichen Einnahmen der VBZ. Zudem gibt der Betrieb der öffentlichen Hand einen knappen Viertel davon auch gleich wieder für eigene Werbung aus.

Weiterführende Informationen

  • Werbescreens erobern die Schweiz aus Hinterzimmern, Infosperber, 16.2.22
  • Werbescreens: Wegen Stromverbrauch Ausbau-Stopp gefordert, Infosperber, 30.6.22

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor lebt und arbeitet in Zürich.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 30.09.2022 um 23:38 Uhr
    Permalink

    was ist schlecht an Geld verdienen? m.e. ist es erfreulich, wenn der Staat und Staatsunternehmen Werbeeinnahmen generieren, anstatt von Steuergelder zu leben.

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