Die Verhaftung_Die Schiwoff-Affäre 6_10
Red. Am 19. Dezember 1956 wurde der VPOD-Sekretär Victor Schiwoff verhaftet, später «wegen unwahrer Behauptungen gegen die Interessen der Schweiz zu einem Monat bedingt verurteilt» (Historisches Lexikon der Schweiz), sowohl aus der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft VPOD ausgeschlossen. Sechzig Jahre danach publizieren wir auszugsweise die ihn betreffenden Fichengeschichten aus dem Buch «Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss – Eine literarische Reportage aus dem Kalten Krieg» von Jürgmeier als Serie.
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- Hier finden Sie alle Folgen der Serie «Die Schiwoff-Affäre – vor 60 Jahren»
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HD Läppli an der Generalversammlung der Sektion Luftverkehr VPOD
Womöglich war Elsi S. gwundrig, wie das Fräulein R. aussah. Denkt sich der MannundSchreiber vierzig Jahre danach, denkt es sich aus, muss sich zügeln; er kann «seine Figuren» nicht nach Belieben in Gefühle und Gedanken stürzen, kann sie nicht, gottgleich, in irgendwelche Geschehnisse verwickeln. Denn sie schauen ihm auf die Finger. «So war das nicht!», korrigieren sie, «so bin ich nicht!» Und müssen es besser wissen. Als Elsi S., am 19. Dezember 1956, im Zürcher Bahnhofsbuffet Erster Klasse, dem heutigen Da Capo, nach ihrem Mann Victor Ausschau hielt, hatte der Berichterstatter noch nicht einmal die ersten Schreibversuche mit Setzkasten hinter sich. Weihnachtsgeschenke unter dem Arm, blieb sie etwas ratlos zwischen weissgedeckten Tischen und herumwuselnden Kellnern stehen. Ihr Mann war nirgends zu sehen und kein Gesicht, das zur 1996 von Elsi S. als jugendlich und sympathisch charakterisierten Stimme des Fräulein Rüegg passte. Wobei das mit dem GesichtzurStimme so eine Sache ist, wie der regelmässig erlöschende Blick der Hörerin, die ein Nachtessen mit der geliebten Radiostimme gewonnen hat, verrät.
«Frau S. ans Telefon, bitte!» Polizei. Die geborene W. erschrak. Aber was die Polizeistation Meilen zuhanden des Nachrichtendienstes der Kantonspolizei Zürich bei ihrem Wohnortswechsel von der Goldküste (1) in die Stadt (2), am 8. Oktober 1951, festgehalten hatte, erfuhr sie erst viele Jahre später. «Anlässlich ihres Wegzuges soll sie eine Anzahl gleichartiger kleiner Kisten weggeführt haben. Was die Kisten enthielten, weiss man nicht anzugeben, auf jeden Fall schien dies auffallend.» Es waren übrigens nur Bücher. Als Elsi S. 1956 zum Hörer griff, befürchtete sie einen Unfall.
Vielleicht dachte Victor S. – unterwegs nach Genf zu einer der Tausenden von Gewerkschaftssitzungen oder -besprechungen, an denen er bis zu seiner Pensionierung teilnahm – an diesem Mittwoch des Jahres 1956 zufrieden an die Generalversammlung der Sektion Luftverkehr des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) vom 14. Dezember zurück. Achthundert KollegenmitFrau hatten im Saal gesessen, als der Kabarettist und spätere Nationalrat Alfred Rasser – der seit seiner Chinareise zwei Jahre zuvor durch einen Auftrittsboykott gebeutelt wurde – die Bühne betrat. Dass er dabei die Uniform seiner schwejkähnlichen Figur HD Läppli trug, scheint fraglich, hatte doch der Zentralvorstand der Schweizerischen Offiziersgesellschaft seinen Sektionen empfohlen, «bei ihren kantonalen Militärdirektionen dahin zu wirken, dass A. Rasser das Tragen der Uniform für diese Zwecke verboten wird».
Die gut gelaunten Kollegen wählten Victor S. einstimmig zum vollamtlichen Sekretär der Sektion Luftverkehr, obwohl der Staatsschutz am 21. November «diverse Presseartikel über das Auftauchen des ehemaligen notorischen Kommunisten S. als Sekretär der Sektion Luftfahrt (Swissair-Personal)» registriert hatte und vermutete, «dass es sich hierbei um einen jener famosen Infiltrationsversuche der moskauhörigen PdA handelt, um damit lebenswichtige Posten in der schweiz. Wirtschaft unter Kontrolle zu bekommen».
Treffpunkt Polizeikaserne statt Bahnhofsbuffet
Victor S. schaute verwundert auf, als die beiden Männer – die erst später einen Namen bekamen – hinter ihn traten und ihm zuraunten: «Folgen Sie uns unauffällig! Wir sind von der Polizei!» Sein Widerstand gegen Beamte war gering. «Mein Zug fährt in einer Viertelstunde», protestierte er, wollte wissen, worum es eigentlich ginge und: «Ist es so wichtig?» Die Vertreter der Staatsgewalt werden bedeutungsvoll genickt und nichts weiter verraten haben. «Sie werden alles noch erfahren. Jetzt müssen Sie mitkommen.» S. folgte am 19. Dezember 1956 wie befohlen, auch wenn er, wie er 1996 berichtet, «keinen blassen Dunst hatte, was das Ganze sollte. Ich war mir sicher, nichts Ungesetzliches getan zu haben», aber «gegen die Polizei kann man ja keinen Widerstand leisten».
Elsi S. war beinahe erleichtert, als ihr eröffnet wurde, ihr Mann werde zwecks einiger Abklärungen in der Polizeikaserne festgehalten, wohin sie sich doch bitte ebenfalls bemühen möge. Froh eilte sie dem unversehrten Victor S. entgegen, nachdem sie vorsorglich die marxistischen Buchgeschenke in einem Schliessfach zurückgelassen hatte.
Statt zum Zmittag im Bahnhofsbuffet traf sich das Ehepaar S. an diesem 19. Dezember des Jahres 1956 hungrig in der Polizeikaserne, woran sich Victor S. nicht mehr zu erinnern vermag. Er wähnte seine Frau die ganze Zeit über zu Hause, aber die beiden sind sich einig: «Er hat das schlechtere … Sie hat das bessere … Gedächtnis.» Elsi S. konnte ihrem Mann nur knapp ein «Hauptsache, du bist heil und ganz» zuflüstern, bevor die gegenseitig Voreingenommenen von H. Fatzer, Inspektor der schweizerischen Bundesanwaltschaft, Inspektor Maurer und vom Gefreiten Irminger, beide beim Zürcher Nachrichtendienst, wieder getrennt wurden. Das Fräulein R., das am Morgen noch so dringend hatte wissen wollen, wo sie den Herrn Doktor S. – es ging um eine Sekretariatsstelle – treffen könne, entpuppte sich als Kryptopolizistin.
In zwei Autos wurde das Ehepaar S. zwecks Hausdurchsuchung zuerst ins VPOD-Sekretariat Glattbrugg, dann in die Wohnung an der Marchwartstrasse 55 in Zürich-Wollishofen gefahren. Der Strassenzustandsbericht von ACS und TCS, den es vermutlich noch nicht gab, hätte an diesem Tag winterliche Verhältnisse mit lokaler Eisglätte melden müssen. Elsi S. erinnert sich, der Gefreite Irminger, von dem sie in einem VW nach Hause chauffiert wurde, habe etwas von Glatteis gebrummt, worauf sie entgegnet habe, bei einem guten Fahrer brauche frau ja keine Angst zu haben. In der Wohnung angelangt, verschwanden zwei der Polizisten mit Victor S. in dessen Büro, während der dritte – es war der Inspektor Maurer – die nächsten Stunden mit der Frau Doktor verbrachte. «Höfliches Geplauder», notiert sie 1996 auf entsprechende Fragen.
Die Suche nach dem Corpus Delicti
Fatzer und Irminger beantworteten S.› Fragen nicht, wollten ohne landesverräterische Unterstützung finden, was sie suchten. Ahnungslos schaute er zu, wie sie Schubladen durchwühlten und degoutiert in den Gesamtausgaben von MarxEngelsLenin blätterten. Schliesslich kapitulierten sie vor den rund zweitausend Büchern, die zwischen Hunderttausenden von Seiten das gesuchte Corpus Delicti zu verbergen vermocht, den beiden Polizisten tagelange Sucharbeiten abgerungen hätten. «Hochanständig, aber bestimmt und mit leicht aggressivem Unterton», so Victor S., verlangten sie, er solle ihnen den Spionagebericht, den er für «den Ungarn» verfasst habe, endlich herausrücken. Erst die Stichworte «Pehr» und «deutsche Wiederaufrüstung» erinnerten den Entgeisterten – «Spionagebericht, da sind Sie an der falschen Adresse!» – an den mit «Oeconomicus» gezeichneten Artikel aus dem Jahre 1952. «Dann habe ich diesen Kasten geöffnet», demonstriert er in seinem Tessiner Dachzimmer – seit seiner Pensionierung 1989 wohnt das Ehepaar S. im Malcantone –, während der Berichterstatter an eben jenem Schreibtisch sitzt, dessen Hängeregister das Duo IrimingerundFatzer 1956 erfolglos inspiziert hatte, «han echli gnoderet und zwei Kopien von diesem Bericht herausgezogen». Auf hauchdünnem Durchschlagspapier – das einem vor Entwicklung neuster Kopiertechniken dazu diente, mit kräftigem Anschlag sechs oder vielleicht sogar acht zunehmend undeutlicher erkennbare Exemplare eines Artikels in die Schreibmaschine zu hämmern –, auf vierzig Jahre altem, fast schon brüchigem Papier liest der Berichterstatter: «Oeconomicus – Die Entwicklung der wirtschaftspolitischen Beziehungen der Schweiz zu Deutschland». Das ist der Text, den S. 1952 – auch aus Protest gegen die deutsche Wiederaufrüstung, die nur wenig mehr als zehn Jahre nach dem grossen Morden mit der Einführung der Wehrpflicht besiegelt wurde – geschrieben hatte. «Das ist es», nickten IrmingerundFatzer, dann erklärten sie seiner Frau – ohne dass das Ehepaar sich verständigen konnte –, sie müssten «Victor mitnehmen – wegen Kollusionsgefahr», die allerdings schon drei Tage später bei der Haftentlassung gebannt schien.
Sie sei ratlos gewesen, «aber ohne jegliche Angst», habe nur gedacht: «Diese Situation kennst du doch aus Büchern!», habe nach möglichen Gründen für die Verhaftung von Vic, wie sie ihren Mann nennt, gesucht … Beim Lesen der Zeitung stiess sie zufällig auf den Namen Pehr, worauf es bei ihr Klick gemacht habe. «Während längerer Zeit durchgeführte polizeiliche Ermittlungen ergaben», so teilte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am Tag der Verhaftung ihres Mannes mit, «dass ein Funktionär der Ungarischen Gesandtschaft in Bern einen Nachrichtendienst organisierte. Der Nachrichtendienst war politischer, militärischer und wirtschaftlicher Natur. Trotz den angewandten raffinierten Methoden ist für die Schweiz kein Schaden entstanden.»
1956 – einer der Höhepunkte des Kalten Krieges: der zwanzigste Parteitag der KPdSU, der den Hoffenden weltweit die letzte Zuflucht nahm, die Verbrechen der Stalinära seien bloss bürgerliche Gräuelpropaganda; der Ungarnaufstand mit all seinen Zwiespältigkeiten; alliierte Bomber über Ägypten; russische Panzer in Budapest. «Davon haben wir nichts gewusst», verteidigten sich KommunistInnen gegen stalinistische Tatsachen. Damit ebneten sie in der Schweiz womöglich den Boden für den Versuch, aufsteigende Schuldgefühle ob der kriegsgewinnlerischen Verstrickung durch Banken und Waffenlieferanten, ob der menschenverachtenden Flüchtlings- und Anpassungspolitik mit einer Ersatzhandlung zu beschwichtigen. Empörung gegen Moskau als verspäteter Widerstand gegen Nazideutschland. Faschismus, Kommunismus, totalitäres Einerlei. Die Steine gegen die Fenster helvetischer Moskowiter – verwandelten sie sich zu Brandsätzen gegen sowjetisches Panzereisen? PdA-Mitglieder mutierten zum Hauptfeind. Die VPOD-Sektion Zürich setzte alle der PdA angehörenden Funktionäre ab und erwog den Ausschluss sämtlicher PdA-Mitglieder.
«Kuckucksei im Neste des VPOD»
Der Bannstrahl traf auch Victor S., obwohl er – «mit dem Herzen immer Kommunist» – in jenen Tagen noch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war. «Ich war ja in diesem kapitalistischen Land, mit dieser antikommunistischen Bevölkerung, in dieser für mich fast gefährlichen Umwelt zu einem klandestinen Verhalten gezwungen», charakterisiert er 1996 das Klima jener Jahre. So hatte er schon 1953 vergeblich versucht, eine Stelle bei den Zürcher Verkehrsbetrieben zu retten, den zutreffenden Verdacht, er sei Kommunist, mit einer schriftlichen Erklärung zu entkräften. «Die Behauptung, ich sei heute ein Mitläufer der Partei der Arbeit, ist unwahr. Ich bin Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und bekenne mich zu ihrem Programm. Richtig ist, dass ich 1945 als 20-jähriger Maturand der damals neugegründeten Partei der Arbeit beitrat. Nach anderthalb Jahren, als ich erkannte, dass es sich um eine kommunistische Organisation handelte, trat ich wieder aus. Ich distanziere mich heute in aller Form von dieser Partei.» Der bekennende Kommunist – ein Staatsfeind, der um seine materielle Existenz bangen musste; der heimliche Kommunist – ein feiger Lügner, das war und ist die Falle in einem Land, dem die Oppositionellen in selbstmörderischer Offenheit Freiheit und Demokratie bescheinigen sollen. Wer nichts zu verbergen hat, vermummt sich nicht. Vorsichtige, das heisst ganz Durchtriebene werden von angestellten und freiwilligen Staatsschützern geoutet.
Copyright: Urs Maltry (gezeichnet 1994), www.maltry-art.ch
Mit seinem russischen Namen und dem Imitsch des kommunistischen Wolfs im sozialdemokratischen Schafspelz bot sich Victor S. 1956 als Blitzableiter für ohnmächtige Wut geradezu an. Er, der in dem mit «Oeconomicus» gezeichneten Bericht – kurzsichtig vor Dankbarkeit gegenüber dem Befreier und Hoffnungsträger Sowjetunion – noch 1952 den «grossen Stalin» beschworen hatte, in jenem Bericht, den die Bundespolizei, jetzt, viereinhalb Jahre später, kurz nach Chruschtschows Abrechnung mit dem «roten Zaren», unmittelbar nach dem Einmarsch der Sowjettruppen in Budapest im November 56, aus der Schublade und in schweizerische Schlagzeilen zerrte. Die Bundesanwaltschaft überliess der Presse die heikelsten Passagen des insgesamt eher trockenen Papiers über schweizerische Aussen- und Wirtschaftspolitik, in dem S. unter anderem namhafte Arbeiterführer des «vollendeten Verrats» bezichtigte, womit das «Kuckucksei im Neste des VPOD» (Basler AZ) Sozialdemokraten und Gewerkschafter zur Weissglut trieb. Stolz zeigt der Patriot Victor S. eine von General Guisan unterzeichnete Urkunde. Unter der Überschrift «Kriegsmobilmachung 1939-1945» ein Soldat, gezeichnet vor trutzigem Fels, das Gewehr im Anschlag, hinter helvetischem Grenzstein, darunter der Dank an Füsilier Victor S. Füs. KP I/65: «Die Armee hat ihre Aufgabe erfüllt. Durch ihre Wachsamkeit bewahrte sie unser Land vor den Leiden des Krieges. Soldat, getreu dem Fahneneide standest du auf deinem Posten. Du hast den Dank der Heimat verdient.» Elf Jahre danach wurde der Patriot zum Landesverräter. «Ein kommunistischer Speichellecker und Denunziant», titelte das Badener Tagblatt. «Die Bundesanwaltschaft», so wusste die Basler AZ am 31. Dezember zu berichten, «wird dem Bundesrat die Ermächtigung zur Strafverfolgung des S., jedenfalls wegen verbotenen politischen Nachrichtendienstes beantragen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt politischer Nachrichtendienst im Sinne von Art. 272 (3) Strafgesetzbuch auch dann vor, wenn die übermittelten Nachrichten für die betreffenden Personen keinen Nachteil zur Folge hatten. Ob und wieweit noch andere Straftatbestände vorliegen, wird zurzeit noch geprüft.» Zuerst aber kamen Gerichtsferien, Weihnachten, Sylvester, Neujahr, Feiertage. «Zum bevorstehenden Weihnachtsfest», schrieb deshalb der Präsident der VPOD-Sektion Luftverkehr – deren Sekretär S. von der Verbandsleitung, «bis zur definitiven Abklärung in seinen Funktionen eingestellt» worden war –, seine «besten Wünsche» entbot der Gewerkschaftsfunktionär der «lieben Familie S., hoffend und wünschend, dass Ihnen recht inhaltsreiche und besinnliche Weihnachtsstunden beschieden sein mögen. Es ist aber auch am Platze, wenn ich Euch beiden für all das danke, was Ihr im verflossenen Jahr zum Segen anderer vollbracht habt. Ich denke an die vielen Stunden der Entbehrung, die Sie, liebe Frau S. auf sich genommen haben, weilte Ihr Gatte doch recht oft und lang in die Nacht hinein bei uns in Glattbrugg. Ich möchte aber auch danken für die prächtige Arbeit, die Victor in diesem Jahr vollbracht hat. Schmutzige und hässige Presseangriffe haben Sie nicht davon abhalten können, unbeirrbar den vorgezeichneten Weg zu gehen. An der Schwelle des Jahreswechsels danke ich Euch beiden für all das und ich hoffe sehr, dass das kommende Jahr Erleichterung bringen möge. Mit herzlichen Grüssen und frohen Wünschen. Ihr Richard N.»
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- Der nächste Teil der Serie «Die Schiwoff-Affäre – vor 60 Jahren» erscheint in wenigen Tagen.
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(1) So sagen die ZürcherInnen dem rechten Ufer des Zürichsees, weil dort, grob gesagt, die reicheren Leute wohnen.
(2) Damit ist in grossen Teilen der Agglomeration Zürich und zum Teil auch darüber hinaus die Stadt Zürich gemeint, die einfach als «d‘Stadt» bezeichnet wird.
(3) «1. Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer anderen Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet, wird mit Gefängnis bestraft.
2. In schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Als schwerer Fall gilt es insbesondere, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden.»
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Victor S.: Victor Schiwoff, geboren am 22. November 1924 in Meiringen. Der Vater war Russe, die Mutter Polin; beide schlossen ihr Medizinstudium in Zürich ab. Kurz vor Matura-Abschluss wurde Victor Schiwoff vom Militär einberufen – 300 Aktivdiensttage. 1945 als jüngstes Parteimitglied bei der Gründung der Partei der Arbeit dabei. 1946 den Matura-Abschluss nachgeholt. 1947 bis 1951 Studium mit Abschluss als Dr. rer. pol. Nach verschiedenen Tätigkeiten 1954 erste Arbeiten für den VPOD, u.a. die Studie zum 50-Jahr-Jubiläum «Das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst», 1955 Wahl zum Sekretär der VPOD-Sektion Luftverkehr, 1956 die sogenannte «Schiwoff-Affäre», mit Ausschluss aus VPOD. Nach einer kurzen Zeit der Stellenlosigkeit verschiedene Arbeiten, u.a. als Hilfsmaler und Packer in einer Buchhandlung. 1960 bis 1971 Redaktor beim «Vorwärts» in Genf, wo er als Mitglied der PdA in den Gemeinderat von Meyrin und in den Grossrat des Kantons Genf gewählt wurde. 1971 bis zu seiner Pensionierung 1989 Zentralsekretär VPOD, in Zürich. Am 5. April 2006 gestorben.
Elsi S.: Elsi Schiwoff, geborene Wettstein. Am 3. Januar 1925 in Meilen geboren. Ausbildung: Handelsmatura in Neuenburg, Latein-Matur in Zürich, Diplom für französische Sprache und Zivilisation an der Sorbonne in Paris. Tätigkeit als Verwaltungsangestellte in Treuhandbüros, Wohn-Bau-Genossenschaft und Gewerkschaft GBI. Politisches Engagement: hauptsächlich in Genf-Cointrin. Am 20. März 2004 gestorben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Das Buch «Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss – Eine literarische Reportage aus dem Kalten Krieg» von Jürgmeier ist 2002 im Chronos-Verlag, Zürich, erschienen.
Kein Kommunist war gezwungen, seine Überzeugung zu verheimlichen – es sei denn, er wollte unbedingt in sicherheitsrelevanten Einrichtungen (Verkehrsbetrieben, Luftfahrt) arbeiten. Und das wollte Schiwoff offenbar unbedingt (wieso eigentlich)?
Und soso, er war noch bis 1956 ein überzeugter Stalinist – aber für das «Vaterland aller Werktätigen» zu spionieren wäre ihm gar nie in den Sinn gekommen? Das lag so fern, dass er sich nicht mal gedanklich damit beschäftigt hat? Würd man ja gerne mal genauer wissen (Je sorgfältiger das Thema hier ausgeklammert wird, desto mehr sollte man als Leser nachhaken. Hat Jürgmeier sich vielleicht nicht getraut, ihn zu fragen? Weil er die Antwort nicht wissen wollte?)