Equity

Die NZZ zum ersten Mal mit Equity © NZZ

Die Schweizer Medien-Konzerne sind phantasielos

Christian Müller /  Sie wollen der SRG die Internet-Werbung verbieten. Dass ihr eigenes Angebot nicht marktgerecht ist, fällt ihnen nicht auf.

Nennen wir ihn Konrad Koller, Dr. Konrad Koller. Er war Professor am Kantonalen Gymnasium in Basel für Französisch und Italienisch, ein sogenannter Romanist also, und er ist seit ein paar Monaten in Pension. Er wohnt in einer Basler Vorortsgemeinde.

Konrad Koller hat eine statistische Lebenserwartung von noch 17 Jahren. Da lohnt es sich darüber nachzudenken, wie er sich seinen Ruhestand optimal einrichten will – auch in finanzieller Hinsicht. Er möchte all die Bücher lesen, die er gekauft hat, die aber noch immer ungelesen im Büchergestell stehen. Und er möchte viel reisen. Und sich das eine oder andere Mal etwas Schönes leisten können. Aber er möchte auch up to date sein, damit er mit seinen zwei Söhnen und den Enkelkindern, und auch mit seinen Freunden wohlinformiert über das Tagesgeschehen diskutieren kann. Und schon ist er beim Thema Zeitungen…

Die Zeitungen sind teuer geworden

Neben der Basler Zeitung hatte er sich in der Vergangenheit die NZZ und die NZZ am Sonntag geleistet. Ein Kombi-Abo kostet mittlerweile aber CHF 698.-. Das ist viel Geld, neben den CHF 462.40 für Radio und Fernsehen und den CHF 389.- für die BaZ. Und eigentlich möchte er «Die Zeit», die er sich gewissermassen als «intellektuelles Dessert» geleistet hatte, auch nicht missen, sprich: nochmals CHF 322.40.

»Irgendwie kann und will ich mir das nicht mehr leisten», sagt er zu seiner Frau. «Ich muss wohl auf den teuersten Brocken, die NZZ, verzichten, zumal sie immer mehr Wirtschaft und Lifestyle bringt, was mich ja eigentlich gar nicht interessiert. Jetzt geben die sogar noch eine Publikation Equity heraus. Jeden Donnerstag, heute mit 22 Seiten. Was soll ich damit anfangen?»

Seine Frau mahnt ihn, keine überschnellen Beschlüsse zu fassen. «Und denk daran», meint sie, «dass die BaZ im Auslandteil auch nicht mehr ist, was sie einmal war. Mit einem Chefredaktor, der den Israelis empfiehlt, endlich Iran zu bombardieren…».

»Wenn man doch nur von der einen Zeitung das eine, von der anderen das Andere haben könnte», seufzt Koller. «Ich habe in Paris und Florenz studiert und interessiere mich auch sonst für die weite Welt. Ich möchte auf den NZZ-Auslandteil wirklich nicht verzichten, und auch nicht auf das Feuilleton. Die neuen französischen Autoren interessieren mich wirklich. Aber was soll ich mit dem Sport und dem Zürcher Regionalteil?» Sagt’s, und verschiebt das Thema, leicht verärgert, auf morgen…

Die Idee ist nicht neu

Schon in den 1980er Jahren wurde auf der Drupa, der Welt grössten Print- und Publishing-Messe in Düsseldorf, eine geniale Maschine gezeigt – als Prototyp. Die Firma Harris beabsichtigte, eine adressgerechte Zeitungsbund-Zuteilmaschine herzustellen: eine riesige Trommel, die über alle einzelnen Bünde einer Zeitung verfügt, aber für jede Zustelladresse nur jene Zeitungsbünde (für Fachleute: Lagen) einsteckt, die von dieser Adresse auch gewünscht werden, frei wählbar vom Abonnenten. Professor Koller hätte, wäre diese Maschine in Serie gegangen, also von der NZZ den Bund «International» und den Bund «Feuilleton» abonnieren können. Aber die Maschine war zu teuer und für die amerikanischen Zeitungen mit Millionenauflage auch zu langsam. Die Tageszeitung blieb ein Gemisch nach dem Prinzip: für jeden etwas, wenn auch für viele viel zu viel.

Heute ist es möglich – digital!

»Vielleicht könnte ich etwas sparen, indem ich einiges nur noch elektronisch beziehe», sagt sich Professor Koller. Ich sitze ja eh jeden Tag am Bildschirm. Doch ein Blick unter www.nzz.ch zeigt: auch das E-paper-Abo kostet CHF 428.-, mit der NZZ am Sonntag zusammen CHF 544.-. Und dann sagt er zu seiner Frau: «Wenn die neue Abo-Rechnung für die NZZ kommt, bitte erinnere mich daran. Ich werde versuchen, ohne NZZ auszukommen.»

Der (unkenntlich gemachte) Fall des Konrad Koller zeigt, warum die Auflage der NZZ rückläufig ist. Sie beschäftigt zwar jede Menge Wirtschaftsjournalisten, die auch immer wieder über die zunehmende «Segmentierung des Marktes» schreiben – die immer kleiner werdenden Zielgruppen in einem zunehmend individualisierten Markt – , aber die eigene Geschäftspolitik dieser Entwicklung anzupassen, dazu fehlt es an Phantasie. Oder an Mut. Denn technisch wäre es heute kein Problem, in der elektronischen Ausgabe die einzelnen Ressorts einzeln anzubieten. Doch um die eigene Haut zu schonen, ist es eben einfacher, zum Beispiel der Konkurrenz, der öffentlich-rechtlichen SRG, die Internet-Werbung zu verbieten…

Wie könnte so ein modernes System aussehen?

Zum Beispiel so (am Beispiel der NZZ, zur Vereinfachnung mit runden Prozent-Zahlen dargestellt):

Die ganze Zeitung, das Vollabonnement elektronisch, kostet 100.

Als Basis gilt das Ressort – nennen wir es mal so – «Sockel». Dazu gehören die Frontseite, die Leserbriefseite inkl. Debatte/Meinungen, die Seite Vermischtes, die Wetter-Seite, die Seiten mit den Todesanzeigen. Das zusammen kostet, bei Bezug mindestens eines weiteren Ressorts, nichts. Die Ressorts International, Schweiz, Wirtschaft (inkl. Bärsen/Märkte), Feuilleton, Sport, Region Zürich, Spezialseiten (Digital, Mobil, Medien, Forschung & Technik, Reisen, etc) kosten je 20. Alle Ressorts zusammen, im Modul bestellt, kosten also 140. Wer nur ein Ressort nicht will, fährt mit dem Vollangebot also immer noch besser. Wer zwei nicht haben will, kommt ebenfalls immer noch auf den vollen Preis. Professor Koller zum Beispiel möchte aber nur die Ressorts International, Feuilleton und die Spezialseiten. Mit dem «Sockel» zusammen ergäbe das einen Preis von 60. So viel wäre ihm die in diesen Ressorts gebotene Information noch wert. Und die NZZ würde, statt einen Abonnenten ganz zu verlieren, immer noch CHF 257.- kassieren, statt gar nichts mehr.

Doch Moment: Wo sind dann Style, das Z Magazin und all die anderen Lifestyle-Gefässe? Die sind nicht vergessen gegangen. Die werden ja als Gegenleistung für die Inserenten produziert, um den Verkauf derer Produkte anzukurbeln, sollten also möglichst viele Leserinnen und Leser erreichen. Sie gehören also zum Basis-Angebot, zum Ressort «Sockel», und sind immer dabei.

Ein bisschen komplizierter…

Wir haben dieses Modell einem Abo- und Internet-Spezialisten vorgelegt und eine Beurteilung erbeten. So ganz einfach sei das nicht, meinte der Fachmann. Nicht die Trennung der Ressorts sei das Problem, sondern das Inkasso. Man stelle sich vor, Professor Koller bestelle so ein Individual-Abo am 13. Februar 2013. Er ist ganz glücklich. Dann aber, am 27. April, liest er in der BaZ, die er immer noch hat, wieder so einen unverdaulichen Somm-Kommentar zu einem Schweizer Polit-Thema. Jetzt hängt es ihm aus und er beschliesst, auch den Inland-Teil der NZZ noch dazu zu nehmen. Diese Änderung, so der Branchen-Insider, müsste vom Abodienst der NZZ heute manuell vorgenommen werden. Die NZZ müsste also auch ihre Prozesse anpassen und dem Abonnenten eine Selbstbedienungs-Möglichkeit bieten. Und das koste auch nochmals Geld, wenn auch nur einmalig.

Klar. Das hier vorgestellte Modell ist ein – zur Verständlichkeit leicht vereinfachtes – Beispiel. Die verschiedenen Ressorts müssten zum Beispiel nicht zwingend gleich viel kosten. Aber so oder so: Konzerne wie Tamedia, NZZ oder auch AZ könnten sich den Initial-Aufwand leisten. Und sie sollten sich ihn leisten! Zu oft hat die Branche sich darauf verlassen, dass die Tageszeitung nie sterben wird. Angesichts des Internets aber ist Kreativität gefordert, sind Business Modelle angesagt, um einzelne Stärken der eigenen Redaktion auch jenen verkaufen zu können, denen ein Voll-Abo einfach zu teuer ist.

Ein Versuch der Post läuft

Wer den Einwand hat, dass ein diesbezüglicher Versuch der Schweizerischen Post bereits laufe, hat natürlich Recht. Die Post aber versucht etwas Anderes: Sie möchte Angebote von verschiedenen Anbietern mischen. Das ist logischerweise nicht dasselbe, denn daran sind die Verlage nicht wirklich interessiert. Ich kann ja auch nicht die Gartenterrasse des Restaurants zur Linde am Rheinufer benützen, mein Lieblingsbier aus Prag trinken, und dafür auch noch den Preis zahlen, der für ein Bier in Bulgarien fällig wäre.

Wer kommt als erster?

Der Konkurrenz Fesseln anzulegen, wie dies der Verband der Schweizer Medien, bis vor kurzem noch Verband Schweizer Presse genannt, mit dem Werbeverbot für die SRG-Plattformen anstrebt, ist das eine. Selber etwas Besseres zu bieten, sich dem freien Markt zu stellen, wäre das Andere.

Wer hat den Mut? Wer kommt als erster?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war 25 Jahre Journalist und anschliessend 20 Jahre Verlagsmanager. Heute hat er eine eigene Verlagsberatungsfirma (www.commwork.ch). Er hat verschiedene Zeitungen abonniert. Die NZZ liest er als E-paper.

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