Sperberauge
Die Schweiz und ihre Füdlibürger
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich fliege aus Prinzip nicht mehr mit Swiss. Seit ich einmal aus verkehrstechnischen Gründen eine Maschine nach Zürich verpasste und mir die Dame am Schalter erklärte, das Ticket sei jetzt natürlich verloren, die Flughafentaxe in Zürich könne ich aber zurückverlangen, denn diese müsse die Swiss in dem Fall nicht bezahlen, und seit die Swiss sich dann geweigert hat, mir diese zurückzubezahlen, ist diese Fluggesellschaft für mich «gestorben». Aber das ist eine andere Geschichte.
Ja, es gab Jahre, da bin ich oft geflogen. 1994 zum Beispiel waren es über 100 Flüge in einem Jahr. Und zum Beispiel im Jahr 1999 war ich nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada, in Argentinien, in Südafrika und in Australien. Ich reiste – und flog – gerne, weil ich dabei ja immer auch Neues kennenlernte: andere Menschen, andere Kulturen, andere Mentalitäten, andere Küchen.
Neues kennenlernen? Tempi passati. Die meisten Leute, die heute in die Ferien fahren, suchen zwar die Sonne und das Meer, aber sonst möchten sie möglichst viel so haben, wie es zuhause ist. Nicht zufällig preisen in Spanien die Touristen-Restaurants ihre Menues in Deutsch an. «Würstel» steht jetzt auf den Schiefertafeln draussen vor den Lokalen, und nicht mehr «Tortillas».
Auf diese Werbe-Karte setzt jetzt auch die Swiss, die, wie es der Name sagt, der deutschen Lufthansa gehört. Sie hat bei der Zürcher Werbeagentur Publicis eine neue Werbekampagne ausarbeiten lassen. Dabei sollen vor allem die typischen «Schweizer Werte» wie «Qualitätsbewusstsein», «Zuverlässigkeit» oder «Gastfreundschaft» betont werden.
Der Werbe- und Medien-Branchendienst persoenlich.com schreibt nach einem Gespräch mit der Agentur Publicis dazu wörtlich: »Wer Swiss fliege, solle das Gefühl erhalten, die Schweiz nicht zu verlassen, sondern sie mitnehmen zu können, etwa mit kulinarischen Spezialitäten aus allen Regionen der Schweiz, Schweizer Flugzeug-Intérieur, helvetische Beiträge in der Bordunterhaltung. All dies soll der neue Markenclaim abrunden: Made of Switzerland.»
Man merke: Wer fliegt, soll «das Gefühl erhalten, die Schweiz nicht zu verlassen»!
Die neue Kampagne der Swiss war dem Branchendienst persoenlich.com heute Freitag einen Sonder-Newsletter mit ++Breaking News++ wert.
Der deutsche Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat der Schweiz einmal gedroht, die Kavallerie vorbeizuschicken. War nicht besonders freundlich. Nun hält uns die (deutsche) Swiss den Spiegel vor und zeigt uns, was für Füdlibürger wir in Wirklichkeit sind. Selbst wenn wir fliegen, wollen wir die Schweiz nicht verlassen – oder aber sie gleich mitnehmen.
Ob das jetzt freundlicher ist?
Kleiner Nachtrag:
Peinlich: Die neue Markenkampagne der Swiss ist, wie gemeldet wird, auch noch abgekupfert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Was mich an der Schweizer Publizistik nervt. ist diese ständige Abwertung des Eigenen. Ich als Ausländer lese schließlich Schweizer Medien nicht, um zu erfahren, wie schrecklich die Schweiz und die Schweizer sind. Was mich interessiert, ist: was kann ich in der Schweiz und bei den Schweizern Erfreuliches entdecken, und wie und wo?
@Rainer Möller: Sie haben den letzten Satz übersehen, lieber Herr Möller, denn es ist eigentlich eine Kritik an den Deutschen (den deutschen Managern der Swiss), die meinen, uns Schweizer als solche Füdlibürger behandeln zu müssen. Wobei es diese Schweizer Füdlibürger natürlich gibt… – Und vergessen Sie nicht: Selbstkritik ist die Voraussetzung jeder positiven Fortentwicklung. Sich dauernd auf die eigenen Schultern zu klopfen und zu sagen, dass sie die Besten sind, überlassen wir doch lieber den US-Amerikanern. Die beiden gegenwärtigen Präsidentschaftskandidaten machen deutlich, wohin das führt.
Fliegen und ja nicht das Gefühl haben, die Schweiz zu verlassen! Am brillantesten ist die Kritik, welche den Kritisierten am eigenen Wort nimmt. Christian Müller hat es nicht verlernt. Ich hätte allerdings die allzu persönlichen Bemerkungen ganz am Anfang weggelassen, damit die berechtigte Kritik nicht als Revanche interpretiert werden muss.
@Möller. Gesunde Patrioten, zum Beispiel Gottfried Keller, haben das Füdlibürgertum nicht selten so kritisiert, wie es Christian Müller in diesem Beitrag praktiziert. Unkritischer Patriotismus ist nach meiner Meinung unjournalistisch.
Man mag sich auch nach Jahren immer noch darüber aufregen, dass Schweizer Staatslenker unsere nationale Airline (…) den Deutschen für nen Appel und ein Ei verschenkt haben. Man mag sich darüber entsetzen, dass immer mehr Deutsche Luftkutscher in unseren Swiss-Flugkanzeln ein «Grützi mittenander» ins Mikrophon hauchen. Auch dass Herr Christian Müller als ehemaliger Vielflieger schlechte Erfahrungen mit dem Swiss-Bodenpersonal gemacht hat, gehört zu den Erlebnissen der verkraftbaren zwanzig Prozent der Unzufriedenen.
Nur darf man zwei Sachen nicht ausblenden: Zum einen wissen die Statthalter der Lufthanseaten, wie man Airline macht, und zum Zweiten ist es genau das oft beklagte Füdlibürgertum (es sind immer die anderen), welches unser Nationalsymbol ohne Not dem Kranich zum Frass vorlegte. Zur Erinnerung: Die stolze Swissair von damals wäre heute nicht überlebensfähig. Dazu brauchte es einen schmerzhaften, aber durchaus heilsamen Input vom Grossen Kanton. Was uns bleibt ist das Schweizerkreuz und ein bisschen Folklore in der Swiss-Kabine. Wären wir nicht gelernte Füdlibürger, dann würden wir (der Staat, die Banken und die Reichen) uns die Swiss zurückkaufen und sie wieder Swissair nennen. Aber dazu fehlt uns der Mut. Wir haben hierzulande zwar hunderttausende Zillionäre, aber keiner hat den Mut, der Schweiz etwas zurückzugeben. Swissair war immerhin Identität. Aber die Gier ist grösser. Und genau deshalb wird Lufthansa noch viele Jahre mit «unserer Swiss» Geld verdienen.