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Ueli Maurer in Duckmäuser-Rolle am Rande des G20-Gipfels © «Tagesschau», SRF

Die Schweiz muss G20-Gast werden

Viktor Parma /  Schweiz und G20 passen noch immer nicht zueinander. Die Gründe sind gerade in Hamburg sichtbar geworden - deutlicher denn je.

Am Rande des G20-Gipfels in Hamburg machte Bundesrat Ueli Maurer in Hamburg gute Miene zum bösen Spiel. Er trat für die Schweiz in jener Duckmäuser-Rolle auf, an die sie sich bei solchen Gipfeln gewöhnt hat, die ihr aber von Jahr zu Jahr schlechter zu Gesicht zu steht. Besser würde das Land von der G20 in Zukunft für sich den Status eines vollwertigen Gaststaats beanspruchen.

«Wir sind gut, aber klein»

Mickrige fünf Journalisten erschienen zur Medienkonferenz Ueli Maurers am Freitagabend, 7. Juli 2017, im Hotel Barcelò, unweit des Hamburger Hauptbahnhofs, einem der Brennpunkte jener Tage der Krawalle. Bundesrat Maurer und Jörg Gasser, sein Staatssekretär für internationale Finanzfragen, die am Rande des G20-Gipfels zu einem Arbeitsessen der Finanzminister eingeladen waren, sprachen über absehbare Themen wie die Umsetzung vereinbarter Standards der steuerlichen Zusammenarbeit und der Finanzmarktregulierung. «Wir dürfen uns nicht überschätzen», meinte Ueli Maurer, «wir sind neutral und können Nischen füllen. Wir sind gut, aber klein.» Im Medienrummel rund um Gipfel und Chaos ging der nüchterne Auftritt des eidgenössischen Fachministers praktisch unter.

Die kleinstaatliche Bescheidenheit, die Ueli Maurer in Hamburg für die Schweiz beanspruchte, war freilich auch taktisch motiviert. Ganz andere Akzente setzte der gleiche Ueli Maurer nur eine Woche vorher als humorvoller Festredner in der Schweizer Botschaft in Berlin. Da tat er, als könne sich die Schweiz punkto Wirtschaftskraft selbst mit dem Gastgeberland des G20-Gipfels messen. Zwar exportiere Deutschland noch etwas mehr Güter in die Schweiz als umgekehrt, erklärte Maurer in seiner mit Zahlen gespickten Ansprache zum 150-Jahre-Jubiläum der Schweizer Vertretung in Berlin, doch habe die Schweiz in Deutschland deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen und mehr Geld direkt investiert. Augenzwinkernd drohte der SVP-Politiker: «Sie spüren ein bisschen unsere wirtschaftliche Potenz!» Die 1500 Gäste – Deutsche wie Schweizer – applaudierten begeistert.

Doppelstrategie als politisches Kalkül

Die Doppelstrategie der monetären Grossmacht Schweiz, die zwar wirtschaftlich auftrumpft, sich aber politisch aus «fremden Händeln» heraushält, entspringt auch politischem Kalkül. Die Schweiz regiert, wenn es ums Geld geht, die Welt von jeher mit. Sie ist mit der Weltwirtschaft eng verwoben und lebt – ein Spitzenwert – fast zur Hälfte vom Auslandgeschäft. Politisch hingegen respektiert sie Gepflogenheiten der Altvordern und huldigt gern einer anachronistisch anmutenden Enthaltsamkeit. Ihr Verhältnis zur G20, der Gruppe der 20 angeblich potentesten Industrie- und Schwellenländer, ist hoffnungslos verkorkst, dies seit dem Upgrading der G20 im Jahre 2008 von der blossen Fachkonferenz der Finanzminister dieser Länder zum jährlichen Gipfeltreffen ihrer Staats- und Regierungschefs.

Diese Aufwertung der G20 war nötig, weil die Weltwirtschaft nach der Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008 am Abgrund stand und auf Rettung durch sofort handlungsfähige Regierungen angewiesen war. In dieser Notsituation veränderte US-Präsident George W. Bush am Ende seiner Amtszeit kurzerhand die Weltmechanik und legte mit dem ersten Gipfel der G20-Spitzen in Washington die Basis für das neue globale Krisenmanagement.

Schwarze und graue Listen erzwingen Weissgeldstrategie

Erfolgreich lancierte der zweite Gipfel, 2009 in London, staatliche Konjunkturspritzen von historisch beispiellosem Umfang. Zudem proklamierte er «unverzüglich» und «weltweit» die «lückenlose» Regulierung «aller» Finanzmärkte, stockte die Mittel des Weltwährungsfonds massiv auf, verbesserte die Bankenregulierung («Basel III») und setzte die Schweiz und andere «nicht kooperative» Steueroasen auf «schwarze» und «graue» Listen, bis sie dem geballten G20-Druck nachgaben und nolens volens einer Weissgeldstrategie zustimmten. Per saldo haben die G20-Beschlüsse ihr Ziel erreicht: Sie haben das Schlimmste verhütet – den Ausbruch einer neuen Weltwirtschaftskrise wie in den Dreissigerjahren mit all ihren verheerenden Folgen.

Völkerrechtlich betrachtet, sind die G20-Gipfel ein Monstrum. Sie stellen 170 andere souveräne Staaten, darunter die Schweiz, am laufenden Band vor vollendete Tatsachen. Doch waren die G20, als es darauf ankam, wirklich handlungsfähig. Kein Land der Erde freilich reagierte auf ihre Beschlüsse so geschockt, ja verstockt wie die Schweiz. Wo immer Staatssekretär Gasser heute ausländische Amtskollegen auf die schwierige Vergangenheitsbewältigung vieler Steuerhinterzieher anzusprechen versucht, bekommt er nur eines zu hören: «Wie bitte? Ihr diskutiert bei Euch immer noch darüber?»

Die Schweiz hat in ihrem Verhältnis zur G20 bis heute nicht Tritt gefasst. Oft genug scheiterte die Landesregierung dabei an inländischen Widersachern. Ende 2011 kandidierte Philipp Hildebrand als Nationalbankchef für den Vorsitz des Finanzstabilitätsrats, des Financial Stability Board (FSB), das zwei Jahre zuvor von der G20 gegründet worden war, um auf globaler Ebene die Arbeit der nationalen Finanzregulierer zu koordinieren. Hildebrand, von der offiziellen Schweiz unterstützt, hatte intakte Wahlchancen, wurde aber Anfang 2012, im letzten Moment, durch Insiderhandelsvorwürfe im Inland zu Fall gebracht. Beim FSB wurde daraufhin sein Gegenkandidat Mark Carney, damals kanadischer und heute britischer Notenbankchef, zum neuen Chef gewählt.

Monetäre Grossmacht Schweiz – eine widerspenstige Steueroase

Lange musste die widerspenstige, mit ihrem Schicksal hadernde Steueroase Schweiz froh sein, wurde sie von der G20 bei der Vorbereitung der Gipfel auch nur beiläufig angehört – ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Potenz. Das Bruttoinlandprodukt der Schweiz (650 Milliarden Dollar, Rang 19 auf der Liste aller Länder) übertrifft sogar jenes der G20-Mitglieder Südafrika, Argentinien und Saudiarabien. Zu Recht hat die Schweiz nie auch nur versucht, diesen Ländern die G20-Mitgliedschaft streitig zu machen – das wäre aussichtslos gewesen. Zu Unrecht aber vernachlässigte sie deshalb auch ihre Chancen, von einem der jährlich wechselnden Vorsitzländer einmal offiziell als Gastland eingeladen zu werden.

Bei genauerem Hinsehen sind an G20-Gipfeln nämlich nicht nur 20 Staaten vertreten, sondern jeweils rund 25: ausser den G20-Mitgliedern auch Gastländer, die jedes Vorsitzland nach eigenem Gusto auswählen darf. So erhalten Drittländer eine Chance auf Mitsprache im innersten Kreis. Staaten wie Norwegen, die Niederlande, Tschechien und Chile nehmen sie, wenn sie können, gerne wahr. Spanien hat es als Sonderfall bei der G20 gar zum Dauergast gebracht.

Schlau wusste sich auch Singapur zunehmend den Status eines Stammgasts zu sichern. Der südostasiatische Bankenstaat, der als Finanzplatz global mit der Schweiz rivalisiert, verschaffte sich bei der G20 dadurch Gewicht und Gehör, dass er eine Global Governance Group (3G), ein buntscheckiges Bündnis von rund 30 Zwergstaaten, Schwellenländern und Steueroasen, gründete, darin auch die Schweiz einband und nun als 3G-Wortführer an den Gipfeln legitimiert ist.

Schlaues Singapur trickst Schweiz aus

In Hamburg mischte sich Lee Hsien Loong, weltläufiger Premierminister der Republik Singapur, eines Stadtstaats mit 5,5 Millionen Einwohnern und knapp 300 Milliarden Dollar Bruttoinlandprodukt (Rang 37), mit den Spitzen der Weltmächte, als wäre er einer der ihren. Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte den ältesten Sohn von Singapurs autoritärem Staatsgründer Lee Kuan Yew schon in ihrer Begrüssung vor den Medien in Berlin an seine Rolle im G20-Kontext: «Singapur setzt sich als Vorsitz der Global Governance Group sehr stark dafür ein, dass die Interessen kleiner und mittlerer Länder nicht vergessen werden.» Doch vergass der Gast in seiner langfädigen Dankesrede fast seine Funktion als 3G-Vorsitzender auch nur zu erwähnen. Umso mehr schmeichelte er der Gastgeberin des G20-Gipfels persönlich: «Die Bundeskanzlerin ist eine gute Freundin, und ich weiss ihren Rat, ihre Freundschaft, ihre Erkenntnisse sehr zu schätzen.» Kurz, die Schweiz hat sich in ihrer damaligen Empörung über die G20-Arroganz zu allem Überfluss auch noch von falschen Freunden einwickeln lassen.

Schlechte Karten hatte Bern indes gerade bei jenen westlichen und prowestlichen Demokratien, welche die G20-Gipfel der ersten Jahre präsidierten: bei den USA, Grossbritannien, Kanada, Südkorea, Frankreich und Mexiko. 2013 glaubte die Schweiz endlich einen ersten Durchbruch geschafft zu haben – ausgerechnet dank Russland. Das russische Präsidium war das erste, das die Schweiz auf Ministerebene wenigstens zu Arbeiten des Finanzsegments heranzog. «Dank dieser Teilnahme wurde die Schweiz von der G20 als wichtiger Akteur auf internationaler Ebene im Finanzbereich anerkannt», jubelte der Bundesrat in seinem Bericht ans Parlament. Doch wurden die Eidgenossen dann gleich wieder übergangen, 2014 vom australischen und 2015 vom türkischen G20-Präsidium. Dank China waren sie 2016 beim Finanzsegment erneut dabei, und 2017 war Deutschland der erste westliche Gastgeber, der sie zum Finance Track einlud. Nun hofft man in Bern, 2018 vom argentinischen Gastgeber wieder berücksichtigt zu werden und so die Mitwirkung am Finanzsegment verstetigen zu können.

G20 nicht dem Finanzdepartement überlassen

Die Schweiz schadet allerdings den eigenen Interessen, wenn sie sich am Rande der Gipfel auf die «bescheidene» Teilnahme am Finanzsegment versteift. Beharrlich benimmt sich die Schweiz, als gehe es ihr ums Geld allein. Sie handelt so, als stünden bei der G20 immer noch Finanzfragen im Mittelpunkt, nicht andere, darüber weit hinausreichende Themen wie etwa Klima und drohende Handelskriege. Innerhalb der Berner Mechanik bedient die Schweizer G20-Taktik eher Machtinteressen des Finanzdepartements, weniger solche des Aussenministeriums, von jenen des Bundespräsidiums und der breiten politischen Öffentlichkeit zu schweigen.

Will die Schweiz bei der G20 doch noch Tritt fassen, muss sie offiziell auf den Status eines Gastlandes hinarbeiten. So wird sie eines Tages die Gesamtheit ihrer Interessen und Überzeugungen auch bei diesen Gipfeln vertreten können – wie bereits an den Uno-Vollversammlungen, an deren Rand sich jeden Herbst die Staats- und Regierungschefs der Welt begegnen und der jeweilige Bundespräsident, oft begleitet von andern Mitgliedern des Bundesrats, für die Schweiz in ihrer Vielfalt einstehen kann.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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