Die Rückkehr
Nun kehrt sie also zurück, Nathalie Wappler, zurück zu SRF nach gerade mal zwei Jahren im fernen deutschen Osten. In Halle, im Grossraum Leipzig, hat sie beim Mitteldeutschen Rundfunk MDR seit 2016 als Programmdirektorin gearbeitet, die Entwicklung des MDR zum Multimediahaus mitgeprägt, die «junge Welle» MDR SPUTNIK für alle Verbreitungswege (Radio, Fernsehen, Online) neu positioniert und MDR KULTUR zu einer Multimediamarke ausgebaut. Ausserdem leitete sie die senderinterne «Arbeitsgruppe zum verstärkten Dialog mit Publikum und Anspruchsgruppen.»
So liest man es in den Abschiedsgrüssen des MDR an die künftige Direktorin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Sie bringt Erfahrungen aus dem deutschen Bundesland Sachsen mit, in dem die Rolle des öffentlichen Radios und Fernsehens für die Demokratie sehr viel weniger selbstverständlich ist als in der Schweiz, und wo das Misstrauen gegenüber den etablierten Medien bisweilen in Hass und Gewalt umschlägt. Das Bemühen um die Verankerung eines öffentlich-rechtlichen Senders in der Gesellschaft ist dort eine ständige Aufgabe. In der Schweiz erscheint diese Verankerung als festes Kernelement – das man auch leicht vergessen kann.
Hier in der Schweiz wird Nathalie Wappler bei ihrem Stellenantritt im Frühling 2019 an dem Punkt ansetzen können, an dem sie vor ihrem Zwischenhalt beim mitteldeutschen Rundfunk MDR aufgehört hat: Die Etappe der «Konvergenz» ist abgeschlossen. Konvergenz hat bei SRF nicht viel mehr bedeutet als das organisatorische Zusammenführen von Radio und Fernsehen und Online.
Alte Zeiten – neue Zeiten
Die Entwicklung des alten Musiksenders DRS 2 zu Radio SRF 2 Kultur hat Nathalie Wappler zunächst energisch vorangetrieben und dann – warum auch immer – mit ein paar harten Personalentscheidungen auf dem Stand abgebrochen, auf dem das Programm heute steht: bei einem mehr oder weniger klassischen Kultursender, der sich aber in jüngster Zeit wieder lebendiger, manchmal sogar fast ein bisschen kühn zeigt (und den ich immer wieder gerne höre). Die Arbeit an den filmischen Eigenproduktionen («Bestatter», «Tatort») hat ebenfalls zu Wapplers Zeiten als SRF-Kulturchefin begonnen. Auch das ging nicht immer ganz geräuschlos ab, aber die Ergebnisse haben der Chefin recht gegeben.
Das dynamische Potential eines wirklich multimedialen Programms, bei dem Audio, Text und Video tatsächlich ineinandergreifen und einander gegenseitig verstärken und vielleicht sogar vertiefen – dieses dynamische Potential muss bei SRF jetzt noch realisiert werden. Und das ist keine technokratische Aufgabe, das ist eine publizistische Aufgabe nach dem vielzitierten Motto: «It’s the content, stupid! – Es it der Inhalt, Dummkopf!» Zu ihren publizistischen Vorstellungen hat Wappler bei ihrer Präsentation als neue SRF-Direktorin ein paar Stichworte in die Diskussion geworfen.
«Publizistisch richtig», sagt sie, sei die Zusammenlegung des Radios (Studio Bern) mit Online und Fernsehen. Aber sie anerkennt auch die grosse Bedeutung der lokalen Verankerung des Radios, weil es mehr als die anderen «Vektoren» (Online und Fernsehen) die Bindung zwischen dem multimedialen Medienhaus und den Nutzer*innen herstelle. Und sie will mit den Kolleginnen und Kollegen in Bern reden.
Ihre klare Stellungnahme für unterschiedliche Herangehensweisen bei den unterschiedlichen Medien – Radio, Fernsehen, Online – wird die Offenheit der Mitarbeitenden stärken, die bisher schon das Gespräch gesucht haben.
Bei aller möglichen Differenz in der Sache: Die Diagnose stimmt. Lösungsideen sind gefragt und die Bereitschaft zum Dialog, verbunden mit der «Wertschätzung» der ganz unterschiedlichen Leistungen in den verschiedenen Medien. Das kann ein entscheidender Beitrag zur Problemlösung sein. Fehlende Wertschätzung zwischen Radio, Fernsehen, Online ist eine Seuche, die sich weltweit beim Aufbau multimedialer Zusammenarbeit immer wieder verbreitet und kreative Entwicklungen behindert oder gar verhindert. Wie die Stimmung bei SRF zeigt.
Vielfalt nach innen – Vielfalt nach aussen
Wapplers Stichworte – «Wertschätzung, Respekt» – signalisieren, dass nach aussen wirkt, was intern stimmt oder eben nicht stimmt. Wo intern Meinungsvielfalt und kulturelle Vielfalt nicht lebendig werden, können sie auch im Angebot nicht wirklich zum Tragen kommen. Das ist wichtig in einer Situation, in der die Medienkonzentration weit fortgeschritten ist und in weiten Teilen des Landes Monopolsituationen schafft. Es ist besonders wichtig in einem Land, in dem das Gleichgewicht der Kulturen von Genf nach Lausanne, Lugano und Chur, Bern und Zürich für den Zusammenhalt eine entscheidende Rolle spielt. Und es ist entscheidend für die Akzeptanz der SRG. Die Regionen – nicht zuletzt in der Deutschschweiz – reagieren empfindlich auf Verschiebungen des kulturellen und gesellschaftlich-politischen Gleichgewichts.
«Wir müssen einen Service public bieten, den die Menschen erwarten», sagt Nathalie Wappler. Sie wird uns sagen müssen, was sie damit meint. Der Wunsch des Publikums kann dabei nicht der einzige Richtpunkt sein. Es gibt grenzübergreifende Aufgaben des Service public, gemeinsame Werte, die zum Kern des Auftrags gehören. Wie es die MDR-Intendantin Karola Wille in ihrem Glückwunsch an Nathalie Wappler formuliert: «Für unseren gemeinsamen freien Rundfunk und unsere Rolle in den demokratischen Gesellschaften sehe ich in Deutschland wie in unserem Nachbarland Schweiz dieselben grossen Herausforderungen. Wir wollen noch stärker und direkter mit unserem Publikum wie auch mit der gesamten Gesellschaft in den Dialog treten, uns öffnen für berechtigte Anliegen und Kritik.»
Das Verfahren
«Sie war die Beste», sagen sie alle: SRG-Generaldirektor Gilles Marchand, SRG-Verwaltungsrats-Präsident Jean-Michel Cina und Andreas Schefer, Präsident der SRG Deutschschweiz, SRG-Verwaltungsrat und Präsident des fünfköpfigen Nominationsausschusses für die SRF-Direktion. «Nathalie Wappler war die beste», sagen sie. Wir wissen es nicht. Wir können es nur glauben. Genauso, wie es der Regionalvorstand der SRG Deutschschweiz geglaubt hat und der Verwaltungsrat der SRG, also die eigentlich verantwortlichen Gremien. Beide haben am gleichen Tag, nacheinander, getagt, und beide haben nur den einen einzigen Vorschlag erhalten, ohne Alternative: anzunehmen oder abzulehnen, ja oder nein. Viel Raum für Reflexion und Diskussion blieb da nicht.
Der Nominationsausschuss hatte am Anfang eine «long list» von 40 möglichen Kandidaten. Er hat diese Liste zuerst auf acht und dann auf drei mögliche Kandidatinnen und Kandidaten gekürzt und sich schliesslich für Nathalie Wappler entschieden. Dieses ganze Verfahren spricht nicht gegen die künftige Direktorin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Aber es wirft Fragen auf zum Zustand der SRG Deutschschweiz, vielleicht der SRG insgesamt.
Die SRG ist ein öffentliches Medienunternehmen, das sich in jüngster Zeit wieder vermehrt der Transparenz verpflichtet hat. Aber es war ein sehr kleiner Kreis in diesem Nominationsausschuss, von dem immerhin die Namen bekannt sind: Andreas Schefer, Präsident der SRG Deutschschweiz; Esther Gassler-Leuenberger, Mitglied Regionalvorstand Deutschschweiz (Solothurn); Barbara Meili, Präsidentin der SRG Zürich/Schaffhausen; Peter Moor, Präsident der SRG Aargau/Solothurn; Niggi Ullrich, Präsident SRG Region Basel. An den Sitzungen hat auch, seiner Funktion entsprechend, SRG-Generaldirektor Gilles Marchand teilgenommen. Nicht vertreten waren in dieser Kommission die Region Bern/Freiburg/Wallis, die SRG Ostschweiz und die SRG Zentralschweiz. Die Entscheidung über die neue Führung von Schweizer Radio und Fernsehen ist in einem kleinen Kries gefallen, in einer geschlossenen Gesellschaft sozusagen, in einem «Klüngel», wie manche sagen.
Das heisst: Der Regionalvorstand der SRG Deutschschweiz hat auf die praktische Wahrnehmung seiner Verantwortung faktisch verzichtet, soweit er den gesamten Vorauswahl- und Auswahlprozess dem fünfköpfigen Nominierungsausschuss überlassen hat. Er hat, wie schon bei der Entscheidung über die Verlagerung eines grossen Teils der Radioredaktion von Bern nach Zürich, auf die Ausarbeitung einer Alternative – also zumindest eines Zweiertickets – verzichtet. Und er hat vom Verwaltungsrat der SRG, dem eigentlichen Wahlorgan, die gleiche Haltung erwartet. Einmal mehr hat es an einer lebendigen, demokratisch vielfältigen Wahrnehmung der Verantwortung gefehlt. Das mag rechtlich völlig in Ordnung sein. Unternehmenspolitisch wirkt es fragwürdig.
Die SRG von 2018 hat ganz offenkundig diese Schattenseite: Diskussionen finden in einem Arkanbereich statt, in abgeschirmten Beratungsräumen. Welche Interessen sich hinter einer solchen Politik verbergen, und welche vernünftige Unternehmensräson mit einem solchen Verfahren geschützt werden soll, ist nicht zu erkennen. Aber das ganze Verfahren trägt zum wiederholten Male die Züge einer einigermassen geschlossenen Gesellschaft.
Andere Elemente verstärken diesen Eindruck. Das Medienhaus betreibt eine breite, artifizielle Eigenwerbung, irgendwo zwischen Produktwerbung und Programmtrailer. Die Trägerschaft erscheint vor allem als Public-Relations-Organisation der professionellen Programm-Organisation. Als Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Professionellen, die klar und unmissverständlich – und öffentlich – Diskussion einfordert und Vorstellungen deutlich macht, tritt sie zumindest in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung. Und so fragen sich manche, ob man sich nicht besser abwendet von dieser Organisation und nach Alternativen Ausschau hält.
So wie die Jungen das tun, die nicht mehr protestieren oder an Alternativen arbeiten. Sie gehen einfach weg und holen sich, was sie wollen, da, wo sie es finden. Manchmal ist es, mehr oder minder zufällig, auch ein Produkt der SRG auf Youtube oder Instagram.
Die Herausforderung
Nathalie Wappler wird es nicht leicht haben, wenn sie das umsetzen will, was sie angedeutet hat. Sie übernimmt einen Sender in der Krise. Das Publikum ist überaltert. Die Publikumsbeziehung ist durchzogen von Public Relations, Marketing und technokratischer Orientierung auf Distribution. Das Programm ist nicht frei von Populismus, bis hinein in zentrale politische Sendungen wie die «Arena». Ein fassbarer Begriff des Service public ist schwer zu finden. Und Nathalie Wappler wird eintreten in betonierte technologische und organisatorische und personelle Strukturen, die sie nicht selber geschaffen hat. Bei all dem sind die Mittel begrenzt und in ihrer Höhe bedroht.
Es ist ihr Glück zu wünschen. Glück bei dem Versuch, im Haus und im Programm Gemeinschaft zu bilden durch kreative, kontroverse und schliesslich konstruktive Auseinandersetzungen mit viel Meinungsvielfalt. Glück und Erfolg bei der Förderung eines Journalismus, der sich an Grundwerten orientiert, die zunehmend auch in der Schweiz in Frage gestellt werden. Und der bereit und in der Lage ist, diese Werte auch im Programmangebot zum Tragen zu bringen.
Die künftige Direktorin wird den Freiraum brauchen, den man ihr offenbar zugesichert hat, um die Strukturen zu schaffen, die sie für ihre Ziele braucht. Freiraum für Entscheidungen, um diesen Sender substantiell zu öffnen für die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, der er in ihrer kulturellen Vielfalt und in der direktdemokratischen Entscheidungsfindung verpflichtet ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter der SRG bzw. DRS/SRF.
SRG und Service public
Warum recherchiert die SRG nicht, was der tatsächliche und der potenzielle SRG-Kunde konkret von der SRG erwarten? Dazu reichen Einschaltquoten für SRG-Sendungen nicht und schon gar nicht die Meinungen der SRG-affinen Programmkommissionen und Trägerschaften. Meines Erachtens erwartet die Mehrheit zum Beispiel eine leichte Gebührenreduktion und weniger Werbung zum Preis einer Reduktion von bildungsfernen Programmteilen (Gewaltdarstellungen, Formel-1- und Töffrennen) sowie Unterhaltung, welche auch Private und ausländische Sender anbieten (können).
Alex Schneider: Es gibt eben nicht den Kunden der SRG sondern grundsätzlich 8 Millionen Menschen in diesem Land denen die SRG gerecht werden muss. Wollen Sie die alle befragen? Und haben Sie das Gefühl, die SRG wüsste dann, was «das Publikum» will? Wohl kaum. Auch Ihre Ansicht ist eine Einzelmeinung.
Zum Wahlverfahren: Wer würde sich wohl bewerben, wenn die Wahl sozusagen in eine öffentliche Castingshow ausartet? Vermutlich kaum die Fähigsten. So wie ich Frau Wappler einschätze, hätte sie sich das kaum angetan. Vielleicht hätte man dann eine grosse Chance verpasst. Warten wirs mal ab.
Zur Überalterung: Lineares Fernsehen war schon immer eine Alterfrage. Je älter, desto TV-affiner sind die Menschen. Das war schon vor 20 Jahren so, als ich das einmal für SRF recherchiert hatte. Es wäre sinnvoll, die Entwicklung der Altersstruktur der wichtigsten Programme zu analysieren. Dann würden wir unsere Urteile auf dem Boden von Fakten fällen können.