Kommentar
Die NZZ ist ordnungspolitisch am Stolpern
Der Stein des Anstosses: In Zukunft möchte der Bundesrat nur noch in Ausnahmefällen erlauben, dass Hersteller, Vertreiber und Verkäufer die Preise von Produkten untereinander regeln und obendrein noch die Absatzgebiete untereinander aufteilen. In der Fachsprache ausgedrückt: Vertikalabsprachen sollen künftig wie im EU-Raum grundsätzlich verboten sein, ausser die Konzerne können einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen beweisen.
Die Fakten
Vertikalabsprachen sind eine von mehreren Ursachen, weshalb Produkte in der Schweiz häufig unverschämt teurer sind als im benachbarten Ausland. Das heutige Kartellgesetz lässt die Wettbewerbskommission ins Leere laufen. Deren Direktor Rafael Corazza hat schon mehrmals auf Schwachstellen hingewiesen: «Wir können nichts machen, wenn ein Konzern nur an die eigenen Töchter (in den verschiedenen Ländern) verkauft.» Die Preise der Schweizer Tochtergesellschaft mögen noch so überrissen sein.
Auch der Präsident der Wettbewerbskommission, Vincent Martener, ist ein ausdrücklicher Befürworter der vom Bundesrat vorgeschlagenen Revision.
Der Rundumschlag der NZZ
Normalerweise ist die NZZ schärferem Wettbewerb nicht abhold. Sie vertritt häufig die Meinung, der Markt könne seinen Zweck nur erfüllen, wenn sich in einem scharfen Wettbewerb die Tüchtigsten durchsetzen.
Doch jetzt, wenn es um eine konkrete Verschärfung des Kartellgesetzes geht, sind NZZ-Wirtschaftsredaktor Beat Gygi die Sicherungen durchgebrannt. In einem Leitartikel wirft er dem Bundesrat vor, dem «Treiben der Etatisten und Interventionisten» nachzugeben. Es entstehe der Eindruck, dass sich der Bundesrat und seine Verwaltungsleute «vom hektischen Getue ausländischer Regierungen und Bürokraten» hätten «anstecken» lassen.
Die gleiche Haltung habe bereits «zu einer schrittweisen Aufgabe des Bankkundengeheimnisses geführt», was die «freiheitliche, auf Privatsphäre ausgerichtete Ordnung der Schweiz untergraben» habe.
Vertikalabsprachen sollte die Wettbewerbskommission wie bisher nur dann verbieten dürfen, meint Gygi, wenn die Kommission beweisen kann, dass eine Absprache einen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht. Denn das Ausschalten von Wettbewerb könne auch positive Folgen haben: «Absprachen etwa in Vertriebsnetzen oder Einkaufskooperationen können wirtschaftlich oft effizient sein.»
Schlechte Erfahrungen
Der NZZ scheint der ordnungspolitische Glaube – «Der Markt funktioniert nur mit transparentem Wettbewerb» – abhanden gekommen zu sein.
Es fällt auf: Sobald es um die Post, die SBB oder die Stromwirtschaft oder das Gesundheitswesen geht, prüft die NZZ nicht lange, ob ein staatliches Monopol volkswirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile hat. Sie geht davon aus, dass mehr Wettbewerb zum vorneherein besser ist.
Davon geht die NZZ bei privatwirtschaftlichen Monopolen und wettbewerbswidrigen Absprachen offensichtlich nicht mehr aus.
Doch private Monopole von Konzernen sind x-mal fragwürdiger, weil Monopole übermässige Gewinne ermöglichen, die private Investoren einstecken.
Den angeblich volkswirtschaftlichen Nutzen privater Monopole und horizontaler Absprachen innerhalb einer Branche hatte die Schweiz jahrzehntelang gehegt und gepflegt und geschützt: Das Bankenkartell, das Bierkartell oder das Uhrenkartell fielen darunter. Alle drei Branchen konnten sich dank des Kartellschutzes ausruhen. Ohne Hayek wäre die Schweizer Uhrenindustrie untergegangen, Bierkonzerne mussten sich von ausländischen Brauereien aufkaufen lassen, statt dass die Schweizer ins Ausland expandierten. Und die Banken gerieten in die Krise des Overbanking, deren Folgen noch heute zu spüren sind.
Die NZZ macht es sich überraschend einfach, wenn sie im Ausland nur «hektisches und verantwortungsloses Getue» ortet, von dem sich die Schweiz ja nicht anstecken lassen dürfe. Nicht pauschale Vorurteile, sondern Argumente sind gefragt. Es geht um Milliarden, welche Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten mit überrissenen Preisen ausländischen Konzernen in die Gewinnschatulle schaufeln.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mitglied des Stiftungsrats der Schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz SKS.