Kommentar
Die faulen Tricks der Olympia-Promoter
Jetzt wird es nur noch peinlich: Mit Polizei und Justiz geht die Berner Regierung gegen die SonntagsZeitung vom 20. Mai 2018 vor, fast wie ein repressives Regime irgendwo in einem Unrechtsstaat. Der Regierungsrat habe bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige erstattet, «um zu klären, wie die falschen Informationen (…) an die Medien gelangt sind», bestätigte dieser in einer Mitteilung. Konkret veröffentlichte die SonntagsZeitung in ihrer Ausgabe vom 20. Mai folgende «Informationen»: Olympia 2026 werde die Berner Steuerzahlenden nach neusten Berechnungen der Kantonsregierung nicht bloss zehn Millionen Franken kosten (wie sie bisher behauptet hatte), sondern zwanzig oder gar dreissig Millionen. Und: Aber diese neusten Zahlen wolle man erst nach der Abstimmung vom 10. Juni im Wallis über einen kantonalen 100-Millionen-Kredit für Olympia 2026 informieren.
Informationen richtig und wichtig
Beide Informationen sind nicht etwa «falsch», sondern ganz im Gegenteil richtig und wichtig: Mit dem Hinweis, sie werde «die konsolidierten Zahlen» erst «voraussichtlich im Juni» publizieren, treibt die ertappte Berner Regierung das Versteckspiel auch jetzt noch weiter. Am Radio haben Regierungsräte zudem selber schon zugegeben, Olympia 2026 werde Bern mehr kosten, als nur 10 Millionen. Und die Angaben der SonntagsZeitung, es könnten gar bis zu dreimal mehr werden, sind solide recherchiert.
Die Erfahrung lehrt sowieso: Mit «nur» dreimal mehr, hätten die Berner Steuerzahlenden noch Glück. Bei Prognosen der Kosten zu Lasten der Öffentlichkeit war rund um solche Grossanlässe schon immer geschummelt worden, dass sich die Balken bogen: So konnte etwa der damalige Schweizer Sportminister Samuel Schmid (SVP) den Räten und der Öffentlichkeit am 27. Februar 2002 auf eine Kommastelle genau vorrechnen, dass die Fussball-Europameisterschaften 2008 (Euro 08) hierzulande «höchstens 10,5 Millionen» Kosten verursachen würden – wovon der Bund 3,5 Millionen übernehmen müsste. Schmid behauptete zudem: «Weitere Kosten, wie sie beispielsweise durch das Engagement der Armee oder der Polizei im Bereich Sicherheit anfallen könnten, werden dem Veranstalter in Rechnung gestellt.»
Schmids heimliche «Lumperei» mit der Uefa
Schön wärs gewesen! Denn vier Jahre und einige Nachrechnungen später stand 2006 fest: Die Euro 08 würde die Öffentlichkeit 182,5 Millionen kosten – also satte 20-mal mehr. Und der Bund sollte davon nicht 3,5 Millionen tragen, sondern 85,5 – also fast 24-mal mehr. Das sorgte für Unmut: Mit solchen Beträgen eine Uefa zu subventionieren, die mit der Euro 08 eine Milliarde Gewinn machen werde, sei «eine Lumperei», ärgerte sich der prominente Berner Finanzpolitiker, SVP-Nationalrat Hermann Weyeneth, damals. SP-Nationalrat Peter Vollmer stellte fest: «Die Uefa macht das Geld, die Kosten zahlt die Öffentlichkeit.»
Es half alles nichts: «Der Unfug kann jetzt kosten, was er will», räumte Weyeneth desillusioniert ein. Das Parlament müsse zustimmen. Der Grund: Schon 2002 hatten Bundesrat und Verwaltung der Uefa heimlich „11 Garantien“ für die Euro 08 unterschrieben, wie die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) später herausfand: Damit habe die Regierung «faktisch eine unbeschränkte Haftung» übernommen, rügte die Kontrollstelle.
Schindluderei mit dem Begriff «Defizitgarantie»
Wie auch jetzt wieder war damals in allen Debatten der Begriff «Defizitgarantie» herumgegeistert. Und wie auch jetzt wurde schon damals mit diesem Wort arge Schindluderei getrieben. Zur Klärung und für alle, denen Olympia-Befürworter in Debatten nun wieder mit diesem Begriff kommen wollen, sei hier mal grundsätzlich festgehalten, was eine «Defizitgarantie» wirklich ist: Da organisiert zum Beispiel der Dorffussballklub ein Grümpelturnier, und der Gemeinderat sagt: «Schaut mal, dass ihr viele Eintritte und toll Bier und Würste verkauft und auch noch den Garagisten und den Baumeister als Sponsoren gewinnen könnt. Aber wenn dann mit diesen Einnahmen doch nicht alles bezahlt werden kann, berappen wir halt den Fehlbetrag (das Defizit) aus der Gemeindekasse.»
Genau das ist eine Defizitgarantie. Im Falle der Euro 08 oder nun der Olympischen Winterspiele 2026 würde das heissen: Zuerst werden sämtliche Einnahmen der Veranstaltung (Sponsoren, TV-Rechte, Werbeflächen usw.) zusammengerechnet. Dann werden alle Kosten (Organisation, Platz- und Hallenmieten, Bauten, Unterkünfte für Athleten, Medienleute und Offizielle, Energiekosten und Sicherheitsaufwand in Vollkostenrechnung! usw.) aufgerechnet und aus den Gesamteinnahmen bezahlt. Und erst wenn danach noch ein Fehlbetrag (Defizit) bleibt, übernehmen Bund, Kantone und Austragung-Städte dieses Defizit.
Gewinne privat – die Kosten dem Staat
Schön wärs! Denn mit einer solchen Defizitgarantie haben Fussball- oder Olympia-Grossanlässe nicht im Entferntesten etwas zu tun. Die teils korrupten, teils fast mafiösen, jedenfalls undemokratisch-dubiosen Organisationen wie Uefa, Fifa oder das IOK (Internationales Olympisches Komitee) nämlich arbeiten mit Erpressung. Sie sagen interessierten Austragungsorten: Ihr übernehmt alle Kosten – wir diktieren die Bedingungen und streichen die Profite ein. Sonst könnt ihr uns vergessen. Konkret waren 2002 diese Forderungen eben jene «11 Garantien», welche die EFK dann schroff rügen musste.
Die «zuständigen» Politiker unterschreiben meist dennoch gerne, weil sie sich an solchen Grossanlässen in weltweit ausstrahlenden Kameras sonnen können. Und die Kosten tragen sie ja nie selber. 2002 wurden die naiven Regierungsleute in Bern noch dadurch übertölpelt, dass die Uefa ein Konstrukt namens «Euro 2008 SA» zwischen sich und die öffentlichen Hände schob, mit dem sie sich gegen Forderungen (Schmid: «Weitere Kosten werden dem Veranstalter in Rechnung gestellt.») der Allgemeinheit abschotten konnte. Und so ihre Milliarden-Profite ins Trockene brachte.
SP-Genosse Stöckli auf Abwegen
Auch mit Olympia 2026 in Sion ist wieder so ein Dreh geplant. So oder so sind all diese Anlässe veritable und abschreckende Schulbeispiele für das Prinzip «Profite privat – die Kosten dem Staat». Und der Gipfel des Unfugs: Uefa, IOK und Fifa residieren alle in luxuriösen Palästen am Genfersee oder in Zürich. Und dies steuerbefreit, weil ja «gemeinnützig». Angesichts der Millionensaläre ihrer Bosse dürften sie indes kaum ein Zewo-Gütesiegel bekommen.
Ganz im Gegenteil liefen schon grossangelegte Strafuntersuchungen etwa gegen die Fifa. Das IOK steht auch immer wieder im Verdacht der Korruption. Eine Partei, die konstant die Öffentlichkeit gegen solche Machenschaften verteidigt, ist die SP. Doch siehe da: Ausgerechnet der Berner SP-Ständerat Hans Stöckli kämpft nun auf der anderen Seite vehement für den umstrittenen Olympia-Anlass von 2026, der nur wenigen nützt – aber von allen mit Milliarden bezahlt werden soll. Dabei ist er sich nicht zu schade, auch unsere direkte Demokratie mit Füssen zu treten.
Die faule Ausrede von der «fehlenden Zeit»
Der Nationalrat hatte nämlich im Februar schon einer Motion der Bündner SP-Nationalrätin Silvia Semadeni mit 92 zu 87 Stimmen knapp zugestimmt. Sie verlangte, jene fast eine Milliarde Franken, die der Bundesrat für Olympia 2026 dem IOK als Subvention (unter dem Deckmäntelchen der Defizitgarantie) zukommen lassen will, müsse in ein referendumsfähiges Gesetz gepackt werden – und das Schweizer Volk darüber abstimmen. Wohlwissend, dass dabei ein klares Nein heraus käme, kämpft Stöckli im Ständerat nun wie kein anderer gegen eine Volksabstimmung. Sein Hauptargument: Dafür reiche leider die Zeit nicht mehr.
Eine faule Ausrede, wie das Beispiel der Kampfjetbeschaffung zeigt: Eine Vorlage im Sinne Semadenis hätte schon im März oder könnte noch jetzt in beiden Räten mit obligatorischem Referendum verabschiedet und spätestens im Dezember dem Volk vorgelegt werden (können). Wenn Regierung und Parlament nur wollten. (Jaja, da kommen nun sicher juristisch und staatspolitisch bemäntelte Formaleinwände der Olympia-Anhänger.) Beim Kampfjetkauf hingegen wollten sie: Der Bundesrat verabschiedete die Botschaft zur Anti-F/A-Initiative Ende Oktober 1992. Im März 93 kam sie schon in die Räte. Anfang Juni 93 stimmte das Volk darüber ab – gegen das Volksbegehren und für den F/A-18. Zeitbedarf für alles: Ein halbes Jahr.
Hoffnung auf Vernunft im Wallis
Möglich wäre es also. Aber vorab viele Ständeräte wollen das Schweizer Volk beim Entscheid über dessen Steuer-Milliarde für Olympia 2026 partout draussen halten. Dafür können nun am 10. Juni die Walliserinnen und Walliser über eine zusätzliche kantonale Subvention von 100 Millionen ans IOK abstimmen. Erste Umfragen zeigen, dass in diesem Berg-und-Tal-Kanton durchaus Hoffnung auf Vernunft besteht: 58 % wollen Nein sagen und nur 42 % sich dem IOK-Diktat (Garantien) beugen.
Nach der Enthüllung der SonntagsZeitung über die neuen Kostenberechnungen in Bern dämmert es zudem mancher und manchem im Wallis, dass sich die 100 Olympia-Millionen aus ihrer Staatskasse noch vor 2020 rasch in 200 oder gar 300 Millionen vermehren könnten. Was Wunder wollten die Berner Olympia-Promoter um SP-Ständerat Hans Stöckli (Hansdampf an allen Olympia-Kassen) und den mehrheitlich bürgerlichen Regierungsrat ihre galoppierenden Olympiakosten bis zum 10. Juni unter dem Deckel halten. Nun ist ihr ebenso unsägliches wie undemokratisches Versteckspielchen aufgeflogen. Sie stehen ertappt da und sind hässig. Deswegen allerdings gleich den Berner Justizapparat auf die «bösen Medien» loszulassen – das ist dann doch eher unsportlich und sehr peinlich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wenn zu erwartende Beträge zu irgendwas bekannt gegeben werden, so lehrt die Erfahrung, dass man sie mindestens verdoppeln oder verdreifachen muss. Zum Einen, weil immer drunter geschätzt wird. Zum anderen, weil wir gar nicht wissen, was das alles in den nächsten acht Jahren kosten wird.
Trotzdem finde ich, dass die Schweiz durchaus einen solchen Grossanlass veranstalten kann. Ich würde mich freuen und, weil ich dann schon pensioniert bin, sogar gerne als Volontärin mitmachen. Wir sollten nicht immer alles in Grund und Boden hauen. Ein bisschen mehr Enthusiasmus täte uns allen ab und zu gut, bei aller berechtigten Kritik.
Wenn die Informationen über die Kosten des Kantons Bern wirklich falsch wären, wäre es naheliegender sie zu widerlegen. Die Strafanzeige lässt dagegen darauf schliessen, dass sie stimmen. Noch bei jedem «Superevent» sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen. Die genauen vertraglichen Regelungen mit dem IOK sind immer noch unter Verschluss.
Dass sich Hans Stöckli, seines Zeichens SP-Ständerat des Kantons Bern, mit seinem realitätsblinden Engagement für Olympia 2026 im Wallis völlig ins Abseits manövriert hat und offenbar bedenkenlos bereit ist, das Stimmvolk von der Mitbestimmung beim bundesrätlichen Milliardenkredit für Olympia auszuschliessen ist das Eine. Das Andere ist die oberpeinliche Trickserei unseres Bundesrats, welcher sich nicht zu schade ist, sein versprochenes Milliardengeschenk für Sion 2026 mit einem läppischen Rabatt von 6 Milliönchen auf 994 Millionen zu drücken. Das dumme Buebetrickli erinnert frappant an die Marktschreierei an der Chilbi, wo der «Billige Jakob» seine Plastikhosenträger für 9 Franken 99 an den Mann zu bringen versucht. Ein Politspektakel von deprimierender Würdelosigkeit. Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Walliser Stimmbürger dieser Posse mit ihrem NEIN am 10. Juni das verdiente Ende bereiten.