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Atomkraftwerk Leibstadt: Nuklearforum Schweiz setzt Fragezeichen © Nawi112/CC

Die Atomlobby hat Kreide gefressen

Kurt Marti /  Nach der Katastrophe von Fukushima verpassten die PR-Profis der Atomlobby eine neue Strategie: Diskutieren und auf Zeit spielen.

Die Atomlobby ist seit Fukushima erstaunlich handzahm geworden. Neue Atomkraftwerke sind in der Öffentlichkeit kein Thema mehr. Die Atomwirtschaft will die atomkritische Mehrheit in der Bevölkerung nicht vor den Kopf stossen. Im Internet pflegt sie den Energiedialog und verweist auf die vermeintlichen Sachzwänge, welche sich angeblich mit dem Atomausstieg ergeben. Dahinter steckt eine gezielte PR-Strategie.

Hinter dem Nuklearforum steckt die PR-Agentur Burson-Marsteller

Die Atomlobbyisten setzen heute auffällig viele Fragezeichen: «Schweizer Stromzukunft mit oder ohne Kernenergie?» oder «Strom ohne Atom: Wie geht es der Energiewende?» So zahm tönt es heute vom Nuklearforum Schweiz. Die Atomlobby hat Kreide gefressen. Sie will Zeit gewinnen und hofft auf bessere, politische Bedingungen. Diese neue Strategie ist kein Zufall, denn hinter dem Nuklearforum steckt die internationale PR-Agentur Burson-Marsteller, welche weltweit für die Atomlobby und die Gentech-Branche Krisenbewältigung betreibt.

Die Geschäftsstelle des Nuklearforums wird seit 2006 vom Berner Büro von Burson Marsteller geleitet. Das Redaktionsteam von Burson-Marsteller ist verantwortlich für die elektronischen und gedruckten Publikationen. Zudem organisiert Burson-Marsteller Veranstaltungen und dient als Informationsstelle für die Medien. Präsidiert wird das Nuklearforum von der Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger. Finanziert wird das Forum von seinen Mitgliedern aus der Strom- und Atomwirtschaft. Erstaunlicherweise ist auch das Bundesamt für Energie (BFE) dabei und entlarvt sich damit selbst.

Die «Frauen für Energie» werden von der PR-Agentur Farner gesteuert

Neben dem Nuklearforum gibt es ein gutes Dutzend weitere atomfreundliche Organisationen, beispielsweise die «Frauen für Energie» (FFE). Auch die FFE kommen auf Taubenfüssen daher, wenn es um die Atomenergie geht. Wie das Nuklearforum stellt das FFE vorerst schüchterne Fragen, um schlussendlich die Sachzwänge ohne AKW aufzuzeigen: Windkraftwerke verschandeln die Landschaft, Wasserkraftwerke zerstören den Lebensraum der Fische und Biomasse setzt Feinstaub frei. Zudem ist die Solarenergie noch nicht rentabel. Folglich braucht es die Atomenergie.

Präsidentin der FFE ist die abgewählte Aargauer CVP-Nationalrätin Esther Egger und Geschäftsführerin ist Noëmi Baumann, welche früher für Burson-Marsteller gearbeitet hat. Ihre Telefonnummer führt direkt in die Zürcher Zentrale der PR-Agentur «Farner Consulting».

Axpo-Chef stellt sich zähneknirschend «hinter die AKW-Ausstiegsstrategie»

Auch die Stromkonzerne Alpiq und Axpo pflegen auf separaten Internet-Plattformen den Energiedialog. Alpiq tritt mit der Internetseite www.immergenugstrom.ch auf. Dankbar nimmt die Internetseite den Widerstand der Umweltorganisationen gegen Wind- und Wasserkraftwerke auf. So reiht sich ein Beweis an den anderen, dass der Atomausstieg schlussendlich nicht realistisch ist.

Der Stromkonzern Axpo setzt auf die Internetseite www.energiedialog.ch, welche von den Web-Profis von «Blogwerk» betrieben wird. Auch die Axpo-Plattform freut sich über die angedrohten Initiativen der Umweltverbände. Prominent tritt Axpo-Chef Heinz Karrer auf. Auch er hat von den PR-Profis gelernt: Vor Fukushima forderte er neue Atomkraftwerke, jetzt stellt er sich zähneknirschend «hinter die AKW-Ausstiegsstrategie». Doch er ist «nicht begeistert». Zumindest möchte er «eine Verlängerung der Laufzeiten für Beznau I und II».

Silvio Borner lieferte, was man von ihm und seinen Leuten erwartete

Karrer weiss ganz genau: Wenn es gelingt, die Laufzeiten der älteren AKWs um rund zehn Jahre zu verlängern, dann ist die Atomlobby über den Berg. Dann hat der atomkritische Wind längst gedreht und die Stromkonzerne können neue Atomkraftwerke planen und bauen. Das ist auch die insgeheime Strategie der PR-Profis von Burson-Marsteller und der Farner Consulting: Im Moment setzt man auf Appeasement, stellt geduldig Fragen und verunsichert die Bevölkerung. Dann braucht man nur noch abzuwarten bis sich der Tschernobyl-Effekt einstellt. Innert weniger Jahre schmolz Ende der 80er Jahr die atomkritische Mehrheit wie Schnee an der Frühlingssonne. Zweimal lehnte die Bevölkerung danach den Atomausstieg ab.

Die Stromkonzerne, das heisst letztlich die StromkonsumentInnen, finanzieren auch den Lobby-Verband «swisselectric», welcher beim Basler Institut für Wirtschaftsstudien eine Studie mit dem Titel «Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Energiestrategie 2050 des Bundesrates» in Auftrag gab. Obermentor der Studie war der neoliberale Ökonom Silvio Borner, welcher mit seinen Leuten genau das lieferte, was man von ihm erwartete: Die Energiewende wird an «technologischen Grenzen» und «volkswirtschaftlichen Kosten» scheitern. Deshalb müssen die alten Kernkraftwerke «laufend erneuert werden» und können «ohne weiteres 60 Jahre in Betrieb bleiben».

Auch die ecomomiesuisse und der Stromverband VSE machen mit

Selbstverständlich leistet auch die economiesuisse ihren Beitrag zur langfristigen Renaissance der Atomenergie. Auf ihrer Internet-Plattform www.energiedebatte.ch stellt sie bloss Fragen und freut sich über die grünen Hürden: «Wer bezahlt die Energieumbau? Scheitert die Energiewende am Netz? Neue Krisen bei den Erneuerbaren. Grüne Hürden für Wasserkraft».

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) versteht sich seit Jahrzehnten auf Prognosen und hat sich immer grossartig verschätzt. Auch der neue VSE-Direktor Michael Frank macht da keine Ausnahme. Auf der Internetseite www.strom.ch skizziert er die Stromzukunft bis 2050. Seine Folgerung ist keine Überraschung: Der Atomausstieg führt zur Stromlücke. Doch wie der frischgebackene VSE-Direktor diese Lücke fabriziert, ist schon hohe Schule der Manipulation (siehe Link unten). Mit ein paar Strichen konstruiert er fast eine Verdoppelung des Stromverbrauchs von heute rund 60 Terrawattstunden (TWh) auf rund 110 TWh. Dabei ist das Stromsparen bereits inbegriffen. Zum Vergleich: Der Bundesrat geht in seinen Prognosen von einem Anstieg von 60 TWh auf 75 TWh aus.

Zirkusreifer Spagat von Urs Schwaller und Pirmin Bischof

Einzig die «Aktion für vernünftige Energiepolitik der Schweiz» (AVES) führte sich im Atom-Konzert wie immer rüppelhaft auf und stampfte die Energiestrategie von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard in Grund und Boden. Der Atomausstieg sei ein «Wunschtraum» auf der Basis von «Zahlen-Jongliererei». Die AVES lehnt Gaskraftwerke, Stromimporte und die Subventionen für die erneuerbaren Energien ab. Stattdessen propagiert sie neue Atomkraftwerke der 3. Generation.

Dieses Verhalten der AVES erstaunt niemanden. Die Mitgliederliste hingegen erzeugt grosse Fragezeichen. Unter den Atomlobbyisten sind nämlich auch acht CVP-Parlamentarier. Allen voran CVP-Fraktionschef Urs Schwaller und der CVP-Ständerat Pirmin Bischof. Schwaller hat bekanntlich vor einem Jahr im Ständerat eine Motion für den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie eingereicht und Bischof hat im Nationalrat eine analoge Motion unterschrieben. Gleichzeitig sitzt Bischof im Verwaltungsrat des AKW Gösgen. Der energiepolitische Spagat von Schwaller und Bischof ist wirklich aussergewöhnlich elastisch, ja sogar zirkusreif.

Ohne Laufzeitbeschränkung der AKW verpufft der Fukushima-Effekt

Ohne konkrete Laufzeitbeschränkung für alle fünf Schweizer AKW wird es Bundesrätin Doris Leuthard genau so ergehen, wie ihren Vorgängern Adolf Ogi und Flavio Cotti Anfang der 90er Jahre: Ogi bleibt als Eierkocher in bester Erinnerung und Cotti als Initiator der CO2-Abgabe auf Treibstoffen, welche bis heute von der Erdöl- und Autolobby verhindert wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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