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«Arena» mit (v.l.) Philipp Gut, Adrian Amstutz, Jonas Projer, Daniel Jositsch, Knackeboul © surf

Die «Arena» und die Bürger

Robert Ruoff /  Der Weg vom alten Polit-Talk zu einer neuen Bürgerdebatte ist lang.

«In der Arena kommen heute die Bürger zu Wort», sagt der Moderator von «10 vor 10», und der «Arena»-Moderator sagt: Im Zentrum stehen «Bürger, ganz normale Zuschauer.» Das war am vergangenen Freitag.

Es ist erwähnenswert, dass die aktive Gegenwart der Bürger einer Erwähnung wert ist. Der Service public wäre doch, wenn man ihn ernst nimmt, im ganz «normalen» Fall ein Gesprächsraum von Bürgern für Bürger. Schweizer und Ausländer.

Der Service public des Schweizer Fernsehens ist zwar häufig zu Besuch bei diesem Volk. Ganz ähnlich wie die SVP zum «Buurezmorge» geht das Schweizer Fernsehen SRF regelmässig zu «de Lüüt» in die Beiz, auf die Alp oder in die Landfrauenküche. Aber nicht in der Politik. Politik im Fernsehen ist Sache der Politiker, Sache einer Kaste. Einmal im Monat ist neuerdings auch die Kultur- oder Literaturkaste vertreten.

Aber das «normale» Volk bleibt Dekor.

Menschen im Dunkeln

Das Volk sitzt in der «Arena» im Dunkeln, und «Die im Dunkeln sieht man nicht», sagte Bert Brecht. Das ist üblich in einer Gesellschaft, die unterscheidet zwischen Volk und Führern. Und daran ändert sich auch nichts, wenn viel über das Volk geredet und geschrieben wird. Das gilt noch mehr für die Ausländer, über die in der Version «kriminelle Ausländer» wegen der Durchsetzungsinitiative seit Wochen gestritten wird.

Aber auch die nicht kriminellen Ausländer kamen in der einschlägigen Fernsehdebatte bis letzten Freitag praktisch nicht vor. «Die Schweiz», hat der irakisch-schweizerische Filmemacher Samir jüngst festgestellt, «ist im Service public weitgehend eine Schweiz ohne Ausländer.» Ausser die Ausländer sind ein Problem.

Nun sollten die Schweizer und ein paar Ausländer also ans Licht gezogen werden. In zwei Sendungen zunächst, als Experiment. Das Team um Jonas Projer hat dafür keinen Aufwand gescheut.

Volk ohne Gesicht

Für die erste Sendung, zur «2. Gotthardröhre», zeichnete die «Arena» im Vorfeld das Pro und Contra der politischen Kaste auf, und die «normalen» Bürger konnten über die sozialen Medien ihre Fragen stellen. Es waren im Ergebnis um die 200 an der Zahl, und davon schafften es vier (in Worten: vier) in die Sendung. In der Form von Schrifteinblendungen. Es war ein keimfreier Auftritt des «Volkes». Viel Aufwand für wenig Ertrag. Sterilisierte Fernsehdemokratie. Man darf sagen: Das Experiment war gescheitert. Das Volk hatte schlicht kein Gesicht.

So war es ganz im Sinne des «Arena»-Leiters, in der zweiten Sendung über die Durchsetzungs-Initiative echtes Volk in die «Arena» zu bringen.

Die Schau der Machtverhältnisse

Das Setting, die Aufteilung des Raums, blieb wie gehabt. Die Vertreter der Kasten hatten ihren Auftritt in der ersten Reihe. Mit Philipp Gut, stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche». Adrian Amstutz, Präsident der SVP-Fraktion in der Bundesversammlung, Daniel Jositsch (SP), Ständerat des Kantons Zürich, und Knackeboul (alias David Lukas Kohler) Rapper und Redaktor (watson.ch). Der frühere Fernsehmoderator («Zambo», «joiz») war in Denken und Sprache immerhin so etwas wie in Vertreter des Volkes.

Wie das Setting blieb auch die etablierte Hierarchie: Die erste Viertelstunde parlierte die Kaste unter sich, wandte dem «Volk» auf den hinteren Bänken den Rücken zu und verkörperte die Machtverhältnisse, die sich auch in den Service public-Medien stetig reproduzieren. Eine gleichberechtigte Diskussion sieht anders aus – vom grossen Ideal des «herrschaftsfreien Dialogs» gar nicht zu reden.

Die geschulten Zwischenrufer

So schneidet – als eines von etlichen Beispielen aus dieser «Arena» – der SVP-Fraktionschef dem jungen Schweizer Sohn tamilischer Einwanderer das Wort ab, wenn dieser von den Ängsten seiner Eltern erzählt. Das könnte das Publikum vor den Bildschirmen zuhause möglicherweise berühren.

Bis der Moderator den Politiker einigermassen barsch zum Schweigen bringt. Zu Recht.

Es gibt diese schlechte Gewohnheit, dieses üble Medientraining, in dem Politiker – vor allem der SVP und der politischen Rechten, wie es scheint – darin geschult werden, dem Gegner nach einem halben Satz bereits ins Wort zu fallen. Vor allem, wenn dieser dabei ist, ein starkes Argument vorzutragen. Sie holen bereits Luft, wenn die anderen zu sprechen beginnen. Und sie ziehen darüber hinaus Gewinn aus einer Kameraregie, die sie sofort und gross ins Bild bringt, wenn sie sich einschalten. Das gibt ihnen Präsenz. Die Sprechenden sind nicht mehr zu sehen, und ihre Argumente sind dann sowieso nicht mehr verständlich.

Es braucht dann nicht einmal mehr die schon übliche Doppelvertretung der SVP-Positionen, um dieses gefühlte zeitliche Übergewicht der rechtsnationalen Präsenz in der «Arena» zu erzeugen. Und die regelmässige Überraschung, wenn dieser Seite am Ende der Sendung noch etwas mehr Redezeit zusteht.

Es wäre von Interesse zu sehen, wie sich die Redeanteile bemessen, wenn die Redezeit den Unterbrechern zugerechnet wird, sobald sie der Gegenseite ins Wort fallen – und nicht erst, wenn der Moderator das Wort erteilt.
Und es wäre mit Sicherheit ein Gewinn für eine aufgeklärte Debatte, wenn die mitteleuropäischen Höflichkeitsformen auch in der «Arena» wieder durchgesetzt würden. Das Spektakel des verbalen Schlagabtausches bringt nicht nur keinen Erkenntnisgewinn, es ist mittlerweile nur noch öde und trägt mit einiger Sicherheit bei zu sinkenden Einschaltquoten.

Die aufgeklärte Debatte

Wenn jemand zu einer aufgeklärten Debatte in dieser «Arena» beigetragen hat, dann waren es in der Tat immer wieder die «ganz normalen Bürger». Es war der Busfahrer, der von den Ansprüchen, die er an sich selber stellt, persönlich und beruflich, die Ansprüche an die Ausländer ableitet, die bei uns leben, wohnen und arbeiten. Das macht ihn zum Befürworter der Initiative. Und auf der Gegenseite war es der italienische Secondo mit dem breiten Berndeutsch, der nach 50 Jahren nun doch den Antrag auf einen Schweizer Pass gestellt hat, weil er nicht nur mitarbeiten und mitreden sondern auch mit abstimmen möchte. Und der über die Angst sprach, ohne jede kriminelle Absicht erfasst zu werden von den Ausschaffungsgründen, zum Beispiel durch Verkehrsdelikte.

Der vorgefertigte, vorgestanzte Stehsatz der Politik ist dem gegenüber nur noch von begrenztem Interesse. Bewegend und spannend wird die «Arena» – und das hat diese Sendung klar gezeigt – wenn wir den Menschen im Studio zusehen können beim Verfertigen der Gedanken. Wenn die Menschen auch und gerade in der Polit-Diskussion zuhören, vielleicht sogar nachdenken und in ihrer Rede eingehen auf die Argumente der Gegenseite, kurz: wenn Sie bereit sind, ein echtes Gespräch zu führen. Es gibt kaum etwas Spannenderes und Anregenderes.

So gesehen war das «Arena»–Experiment verdienstvoll. Es hat zumindest angedeutet, was die Konfrontation der Kasten mit den «normalen Bürgern» bringen könnte – die in unserem Land übrigens nicht nur alle vier Jahre der Souverän sind. Auch dieses Bewusstsein könnte eine solche Sendung wieder reaktivieren.

Das braucht allerdings eine neue «Arena». Vielleicht sogar eine neue SRG.

Ein zeitgemässer Service public

Wenn das Modell der Publikumsbeteiligung tragfähig werden soll, muss sich die «Arena» – und die Medienarbeit der SRG insgesamt – stark und stetig vernetzen mit der Bevölkerung, die sie tragen soll. Sie kann nicht von Aufrufen zur Mitwirkung leben wie in dieser «Arena». Das Risiko der Mobilisierung von Parteigängern ist schon bei diesem Experiment spürbar geworden. Sie muss in der Lage sein, Bürgerinnen und Bürger beizuziehen, die nicht schon mit festgezurrten Parteimeinungen antreten. Menschen mit gesellschaftlichem Engagement, und mit eigenständiger Fachkenntnis und der notwendigen Ausdrucksfähigkeit.

Es gibt diese Menschen. Auch in der Schweiz. Das gesellschaftspolitische Engagement von Menschen aller Schichten und Klassen, aller Berufe und ganz unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Religionen und Alters- und Kaufkraftklassen, Frauen und Männer – kurz: das Engagement der Menschen in der Debatte um die Durchsetzungsinitiative zeigt das mit Macht. Es gibt eine Zivilgesellschaft, die sich bewegen lässt zu Stellungnahme und Engagement.

Auch für die Medien funktioniert dieses «Community Building», nicht nur in einem Weltblatt wie dem britischen «Guardian».

«Community Building» im Fernsehen

Das Schweizer Fernsehen hat im Wahlkampf 2015 mit der «politbox» gezeigt, dass das geht und wie es geht. Das Format, das junge Menschen und alte Menschen, Frauen und Männer, Eingeborene und Eingewanderte zur Information und zur Debatte zusammenbringt, ist entwicklungsfähig. Wenn es nicht zu lange eingemottet sondern zügig weiter praktiziert wird, zum Beispiel mit der «Arena», entsteht bei den Gebührenzahlern und den Bürgerinnen und Bürgern vielleicht sogar die Idee, dass die SRG tatsächlich ihr Medienhaus ist.

***

Mehr zum Service public hier im Dossier


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter der SRG.

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von TV-Sendungen

Fehler passieren überall. Beim nationalen Fernseh-Sender sind sie besonders ärgerlich. Lob und Tadel.

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Eine Meinung zu

  • am 23.02.2016 um 18:56 Uhr
    Permalink

    Ich finde Ruoff’s Analyse trifft im allgemeinen. Ich sage «im allgemeinen», weil ich die letzte Arena nicht konsumierte und wohl auch die künftigen auslassen werde. Projer macht das besser als seine Vorgänger, (abgesehen von der Einrichtung). Doch die zunehmende «Bäägerei» dieser kaum erträglichen SVP-Classe-politique muss ich mir nicht antun. Die Meinungen sind gemacht, die Arena dient wie im alten Rom dem Kampf, immerhin anstelle der Tötung kommen nur Totschlag-Argumente. Projer tut mir leid, er hat einen unmöglichen Job. Die Sendung gehört endlich abgeschafft und zwar bevor sie den Zischtigsclub noch mehr mit-verseucht!

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