Die Angstmacherei mit Arbeitslosen hat Tradition
Die Tagesschau überbrachte gestern ihren 700’000 Zusschauerinnen und Zuschauern die schlechte Nachricht: «In der Schweiz hat die Arbeitslosigkeit im November wieder zugenommen. Die Arbeitslosenquote ist zum zweiten Mal in Folge wieder angestiegen.» Die Quote liege jetzt bei 3,1 Prozent.
«Mehr Arbeitslose in der Schweiz», titelte die NZZ, «Weniger Jobs und mehr Arbeitslose» der Blick.
Arbeitslosigkeit hat abgenommen
Diese Schlagzeilen und Zahlen sind gleich zweifach irreführend.
1. Leicht zugenommen hat die Arbeitslosigkeit im November lediglich im Vergleich mit dem Vormonat Oktober. Doch Vergleiche von Monat zu Monat sagen in der Arbeitslosenstatistik wenig aus. Von Oktober bis Dezember nimmt die Beschäftigung aus saisonalen Gründen jedes Jahr ab und steigt im Frühjahr wieder an. Im Winter wird weniger gebaut und in der Landwirtschaft sind die Ernten eingefahren. Im November und Dezember liegt auch der Tourismus brach. Ein Rückgang der Beschäftigten in den letzten Monaten des Jahres ist also normal. Am Verbreiten dieser Monatsveränderungen kann nur ein Interesse haben, wer unnötig Angst schüren will, zum Beispiel um die Lohnverhandlungen zugunsten der Arbeitgeber zu beeinflussen.
Über die effektive Entwicklung der Beschäftigungslage geben Jahresvergleiche Auskunft. Wie das Seco ebenfalls gestern mitteilte, gab es im November 2011 über 20’000 weniger Arbeitslose als im November 2010. Das sind 14,5 Prozent weniger. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ging sogar um 38 Prozent zurück. Erfreuliche Nachrichten also.
2. Die Arbeitslosenquote betrug im November keineswegs 3,1 Prozent, wie die Tagesschau und die meisten Zeitungen dem Seco nachplapperten. Die Arbeitslosenquote berechnet sich aus der Zahl der bei den RAF registrierten Arbeitslosen geteilt durch die Zahl der Erwerbspersonen. Allerdings benutzt das Seco nicht die heutige Zahl der Erwerbstätigen, sondern die aus dem Jahr 2000 (letzte Volkszählung). Seit 2000 hat die Bevölkerung in der Schweiz jedoch um rund eine halbe Million zugenommen, wovon rund die Hälfte erwerbstätig ist.
Der tatsächliche Anteil von registrierten Arbeitslosen an den Erwerbspersonen ist heute entsprechend geringer, nämlich nur 2,6 Prozent. Die 3,1 Prozent sind also eine 20-prozentige Übertreibung.
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Bei keiner Statistik berücksichtigt sind die Ausgesteuerten und diejenigen, die eigentlich eine Erwerbsarbeit möchten, sich jedoch bei keinem RAF melden. Weil die Bezugsdauer für die Arbeitslosenentschädigung in diesem Jahr gekürzt wurde, wird es im 2011 etwa einen Drittel mehr neu Ausgesteuerte geben als im Jahr 2010.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Gibt es denn Zahlen zu den im letzten Absatz genannten «nicht arbeitslosen» Personen, die eigentlich mitgezählt werden müssten? Vielleicht würde ja dieser Faktor die Aussage im Titel relativieren.
Wie erwähnt gab es im 2011 etwa einen Drittel mehr neu Ausgesteuerte als im Jahr 2010. Das ist allerdings im Wesentlichen darauf zurück zu führen, dass die Dauer der Arbeitslosenentschädigung gekürzt wurde. Ob es bei vergleichbarer statistischer Erfassung etwas mehr Ausgesteuerte gab, wird man in der definitiven Statistik von 2011 sehen. Möglicherweise gibt es tatsächlich mehr Erberbssuchende und -willige als ein Jahr zuvor. Nur: Die Tagesschau bezog sich ausschliesslich auf die Zahl der bei den RAFs registrierten Arbeitslosen.