Der neue Bahnhof Bern – wer soll das bezahlen?
Nach jahrelangem Schlingerkurs hat sich die vom Kanton Bern geführte Projektgruppe «Zukunft Bahnhof Bern» (ZBB) quasi in letzter Minute für ein konkretes zweistufiges Ausbauprojekt entschieden. Gebaut werden sollen in einer ersten Etappe 2016-2025 unter der bestehenden SBB-Gleishalle ein neuer Bahnhof für die Meterspurbahn Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS), als Ersatz für den bestehenden querliegenden Tiefbahnhof mit ebenfalls vier Geleisen, der heute an der Kapazitätsgrenze läuft. Und ein neuer West-Zugang zum Bahnhof zwischen der heutigen Unterführung und der 2005 als Lösung in hoher Zeitnot erstelle Holz-»Welle» bei der Schanzenbrücke.
Zweite Etappe: Pläne radikal verändert
Für den RBS-Bahnhof werden Kosten von 520 Millionen, für die neuen Publikumszugänge Kosten von 350 Millionen Franken veranschlagt. Der neue RBS-Bahnhof entspricht grundsätzlich den 2008 präsentierten Plänen, die zurückgezogen wurden, als ein ETH-Gutachten das Kosten-Nutzen-Verhältnis als ungenügend taxierte.
Die zweite nach 2025 zu realisierende Etappe ist gegenüber den Plänen von 2008 radikal verändert. Für den Normalspurbetrieb der SBB und der von der BLS geführten Berner-S-Bahn ist kein Tiefbahnhof mehr vorgesehen. Die SBB wollen ihren Normalspurbahnhof jetzt auf dem heutigen Gleisniveau im Hügel unter dem Universitätshauptgebäude um vier Geleise erweitern.
Bund zahlt grundsätzlich die Hälfte
Die Berner Projektentscheide kommen in letzter Minute: 2013 fallen wichtige Entscheide über die landesweite Finanzierung von Bahninfrastrukturprojekten durch den Bund. Beim seit 2006 bestehenden Infrastrukturfonds für Agglomerationen wird der Bundesrat im Frühsommer seine Vorschläge vorlegen, welche Projekte der Bund für die zweite Generation ab 2015 unterstützt soll.
Anschliessend wird das Parlament entscheiden. Landesweit sind Projekte mit Gesamtkosten von 20 Milliarden angemeldet. Der Bund zahlt grundsätzlich die Hälfte der Projektkosten. Vorgesehen sind Bundesausgaben von insgesamt 1,9 Milliarden. Die Unterstützungsgelder des Bundes sind damit um das fünffache «überzeichnet».
Parallel dazu laufen Entscheide über ein neues Finanzierungspaket für die Bahninfrastruktur bis 2030 (Fabi), das als Gegenvorschlag gegen die Initiative des VCS bezeichnet wird. Sie verlangt eine Neuverteilung der Mineralölabgaben zugunsten des ÖV. In der Dezembersession hat der Ständerat den vom Bundesrat vorgeschlagenen Fabi-Finanzierungsplafond von 3,5 auf 6,4 Milliarden erhöht. Der Kanton Bern steht beim Fabi mit dem Projekt eines dritten Geleises zwischen Gümligen und Münsingen bereits mit über 600 Millionen in der Warteschlange.
Ohne Bund geht es nicht
An einer Medienkonferenz machte die Berner Baudirektorin Barbara Egger klar, dass das Berner Bahnhof-Projekt ohne Bundesgeld nicht realisierbar ist. Die prekäre Finanzlage des Kantons dürfe aber nicht dazu führen, dass Bern seine Infrastruktur den Entwicklungen nicht mehr anpassen könne. Der Kanton Bern habe für seinen Beitrag an die erste Etappe des Bahnhofausbaus 300 Millionen den Finanzplan gestellt. Egger sieht einem harten Verteilkampf entgegen. Konkret nennt sie als Konkurrenzprojekt die Pläne für einen Durchgangs-Tiefbahnhofs Luzern.
Barbara Egger setzt auf kraftvolles Lobbying in Bundesbern. Zu diesem Zweck seien «strategische Führungsgremien» am Werk. Bisher sei Zürich vom Bund besonders grosszügig gefördert worden, jetzt erwarte sie «Solidarität» mit dem zweitgrössten Kanton, dem zweitgrössten Bahnknoten des Landes und mit der Bundeshauptstadt. Sie habe «auf höchster Ebene gute Kontakte», sagte Barbara Egger.
Stunde der Wahrheit steht noch bevor
»Ein wichtiger Meilenstein» sei mit der Variantenwahl erreicht, sagte die Berner Baudirektorin. Tatsache ist aber, dass die Stunde der Wahrheit für die Berner Bahnhofplanung noch bevorsteht: Auf Bundesebene im Kampf um Geld. Egger zeigt sich zuversichtlich: «Unsere Chancen stehen gut, weil wir ein gutes Projekt haben.»
Genau da ist die Achillesferse des Berner Projekts: Es besteht im Hauptteil aus einem Ersatz-Kopfbahnhof mit vier Geleisen für einen bestehenden viergleisigen Schmalspurbahnhof. Die RBS ist zwar nicht irgendeine Schmalspurbahn, sondern das effizienteste, vielgenutzte Glied der Berner S-Bahn. Aber: 520 Millionen Franken für den Ersatz eines Kopfbahnhofs ohne wesentliche zusätzliche Verkehrsleistung? Da stellt sich unweigerlich die Frage nach der Kosten-Nutzenrelation.
Diese Frage ist nicht neu. Als das ZBB-Leitorgan ihr Projekt 2008 in der ersten Version mit Gesamtkosten für die erste Etappe von rund einer Milliarde vorstellte, wurde Kritik laut, die Kosten seien unverhältnismässig. Eggers Partner: die SBB, BLS, RBS, die Post und die Stadt Bern standen zwar stramm hinter dem Projekt.
Moritz Leuenberger stellte kritische Fragen
Aber die Bundesbehörden hatte Egger nicht unter Kontrolle halten können: Das Verkehrsdepartement (damals noch unter Moritz Leuenberger und mit Generalsekretär Hans Werder an der Spitze der Verwaltung) stellte unbequeme Fragen. Bundesparlamentarier, so der Tessiner SP-Nationalrat Fabio Pedrina und der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen verlangten eine Expertise. Monatelang hatte sich die Baudirektorin vehement dagegen gewehrt, dass ihr jemand dreinreden könnte.
Schliesslich musste sie einem Auftrag an ETH-Professor Ulrich Weidmann für eine Gutachten zustimmen. Als Weidmann dann im Frühjahr 2009 in seiner Expertise zum Ergebnis kam, das RBS-Projekt habe zu hohe Kosten und einen zu geringen verkehrspolitischen Nutzen schien das ZBB-Projekt tot.
Barbara Egger gab nicht auf
Aber Barbara Egger liess sich nicht unterkriegen: Mit eiserner Faust hielt sie ihre Partner hinter dem RBS-Projekt zusammen. Zwei Jahre lang liess das ZBB-Leitorgan viele Varianten prüfen. Aber wirklich andere Ideen, die das RBS-Konzept hätten in Frage stellen können, wurden stets an den Rand geschoben.
Eine Überraschung ist es deshalb nicht, dass jetzt am Schluss ein Projekt präsentiert wurde, das in der ersten Etappe grundsätzlich dem entspricht, was man 2008 schon vorgeschlagen hatte. Baudirektorin Egger sagte, das neue Projekt habe mit den Plänen von 2008 «nicht mehr viel zu tun». Das stimmt nur für die zweite Etappe des Ausbaus der Normalspur. In der ersten Etappe soll unter der SBB-Geleisehalle ein RBS-Kopfbahnhof gebaut werden, als Ersatz für den alten Kopfbahnhof.
Neues Projekt ist 200 Millionen billiger
Das neue Projekt ist rund 200 Millionen billiger als 2008, vor allem deshalb, weil die damals vorgesehene Verlängerung Richtung Inselspital nicht gebaut wird. 2008 hatte es geheissen, Stumpengleise gegen Westen seien nötig, um ankommende Züge temporär wegstellen zu können. Jetzt braucht man das nicht mehr. Mit den Gleisverlängerungen Richtung Insel hatte man 2008 auch versprochen, dass die RBS später einmal über den Hauptbahnhof hinaus Richtung Westen weiterfahren könnte.
Gutachter Weidmann hatte solche Vorinvestitionen in eine ferne Zukunft als verkehrspolitisch nicht sinnvoll bezeichnet. Im neuen Projekt wird jetzt offiziell ein reiner Kopfbahnhof gebaut. Allerderdings liess man die Berner Gemeinderätin Regula Rytz an der Medienkonferenz doch wieder diskret anmerken, ein Vorteil der gewählten Variante sei die Möglichkeit, später einmal Richtung Inselspital weiter zu fahren.
Planungsprozess erinnert an Lötschberg-Neat]
So erinnert der Planungsprozess in Sachen RBS-Tiefbahnhof an die Mauscheleien in der Planung des Lötschberg-Basistunnels: Da hatte das Volk einmal ein Projekt mit zwei Geleisen, neuen Zufahrtsstrecken und einem Autoverlad Heustrich-Gampel als Rawilersatz genehmigt. Als der finanzielle Verteilkampf mit dem Gotthard ernst wurde, speckte man die Lötschbergroute ab: Grösstenteils nur noch eingleisig, keine neuen Zufahrtstunnels, kein Autoverlad mehr. So abgemagert brachte man den Neat-Tunnel am Lötschberg durchs Parlament und durch die zweite Volksabstimmung.
Kaum wurde gebohrt, kamen die Stimmen wieder, ein eingleisiger Hochleistungstunnel sei Unsinn. Schon bald werden hunderte Millionen für den Vollausbau auf den Bund zukommen. Beim Lötschbergtunnel wird das toleriert. Er ist ein Riesenerfolg. Ob die Lötschberg-Methode beim Tiefbahnhof für die RBS auch klappt? Wenn der Bund zahlt, wird man sich bald einmal über den grossen Bahnhof für die kleine Bahn freuen und die Kosten vergessen. Aber wenn der Bund am Schluss finden sollte, Luzern brauche einen nationalen Tiefbahnhof, und in Bern liessen sich die RBS-Probleme auch billiger lösen, stünde man vor einem Scherbenhaufen.
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NACHTRAG
Siehe «Rotgrüne Regierung hebelt Demokratie aus» vom 4.1.2013
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Der Text erscheint auch auf "Journal B" und in der "Tageswoche".
Ich hätte so gerne einen Rolls-Royce ! ! !
Kann ich den auch vom Bund sponsern lassen 🙂