Paul Scherrer Institut

Das «Paul Scherrer Institut» (PSI) in Villigen (AG) erhält Forschungsaufträge von der Nagra, in deren Verwaltungsrat auch der PSI-Vizedirektor sitzt. © PSI, CC BY-SA 4.0

Atom-Filz: Der Nagra-Verwaltungsrat mit den drei Hüten

Kurt Marti /  Nagra-Verwaltungsrat Thierry Strässle trägt gleichzeitig die Hüte des Bundes, der Nagra und des PSI. Kein Problem für den Bund.

Stellen Sie sich vor: Sie bekommen regelmässig Aufträge von einer Organisation, die dafür Geld vom Staat erhält. Weil Sie am besten wissen, wofür Sie das Geld brauchen, wählt Sie der Staat als seine Vertretung in den Verwaltungsrat der Organisation, die das Geld und die Aufträge verteilt. Sie tragen also gleichzeitig die Hüte des Geldgebers, des Geld- und Auftragsverteilers und des Geldempfängers. Ein klassischer Interessenkonflikt.

Kein Problem, sagt auf Anfrage von Infosperber der Bund im Fall der «Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle» (Nagra), welche vom Bund Geld zur Behandlung radioaktiver Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung erhält und mit einem Teil dieses Geldes Forschungsaufträge an das «Paul Scherrer Institut» (PSI) vergibt.

Interessenbindungen sucht man vergeblich

Zusammen mit den Betreibern der Atomkraftwerke ist der Bund Genossenschafter der Nagra und zahlte in den letzten zehn Jahren total 164 Millionen Franken in die Nagra-Kasse ein.

Zu diesem Zweck sitzt im Nagra-Verwaltungsrat auch ein Vertreter der «Schweizerischen Eidgenossenschaft», wie es im Nagra-Geschäftsbericht heisst. Sein Name ist Thierry Strässle. Weitere Angaben zu dessen Person und Interessenbindungen sucht man im Geschäftsbericht und auch auf der Website der Nagra vergeblich.

Kein Wunder, denn Strässle ist nicht nur Vertreter der zahlenden Eidgenossenschaft, sondern auch des Geldempfängers. Er ist nämlich Vizedirektor des PSI, dessen «Labor für Endlagersicherheit» (LES) zum Atomabfall forscht. Das Labor erhielt in den letzten zehn Jahren von der Nagra Forschungsaufträge im Umfang von insgesamt 29 Millionen Franken.

BFE und BAG: «Dem Bund verpflichtet, nicht dem PSI» 

Strässle trägt also gleichzeitig die Hüte des Bundes (Geldgeber), der Nagra (Geld- und Auftragsverteilerin) und des PSI (Geldempfänger). Infosperber konfrontierte deshalb die zuständigen Bundesämter für Energie (BFE) und für Gesundheit (BAG) sowie die Nagra mit diesem offensichtlichen Interessenkonflikt.

Beide Bundesämter sehen darin kein Problem. Denn Strässle sei in seiner Funktion als Nagra-Verwaltungsrat «dem Bund verpflichtet und nicht der Forschungsanstalt PSI». Bei Verwaltungsratsentscheiden über Aufträge an das «Labor für Endlagersicherheit» trete er «in den Ausstand». Gleich lautet die Antwort der Nagra: Durch den Ausstand bei Aufträgen ans PSI-Labor werde «ein Interessenkonflikt vermieden». (siehe Kommentar unten)

Erstaunliche Behauptungen

Zudem behaupten das BFE und das BAG, die Nagra sei eine «privatrechtliche Organisation, die keine staatliche Aufgabe» erfülle und über die der Bund «keine Aufsicht» ausübe. Um die Interessen des Bundes zu wahren, brauche es in der Nagra «eine entsprechend kompetente Vertretung». Diese Voraussetzung sei mit dem PSI-Vizedirektor gegeben.

Dazu ist Folgendes festzuhalten:

  1. Der Bund übt sehr wohl eine Aufsicht über die Nagra aus, nämlich über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi).
  2. Die Behandlung der radioaktiven Abfälle des Bundes ist sehr wohl eine staatliche Aufgabe. Zu diesem Zweck leistet der Bund Beiträge an die Nagra.
  3. Die Bundesverwaltung verfügt offenbar im Bereich der radioaktiven Abfälle nicht über die nötigen Kompetenzen für eine Vertretung im Nagra-Verwaltungsrat.

Das war nicht immer so

Interessant ist der Blick in die Vergangenheit der Nagra. Denn bis im Jahr 2002 liess sich der Bund im Nagra-Verwaltungsrat nicht durch das PSI vertreten, sondern durch einen Vertreter der Bundesverwaltung, nämlich durch BAG-Vizedirektor Bernard Michaud.

Ab dem Jahr 2003 wurde diese Funktion an das PSI delegiert. Bis 2012 nahm diesen Platz PSI-Vizedirektor und Interims-Direktor (2007-2008) Martin Jermann ein, erstaunlicherweise nicht als Vertreter des Bundes, sondern ausdrücklich als Vertreter des PSI.

Im Jahr 2013 übernahm der heutige Vertreter Thierry Strässle dieses Amt, was im Nagra-Geschäftsbericht 2013 als Vertretung der «Schweizerischen Eigenossenschaft (PSI)» deklariert wurde. In den folgenden Geschäftsberichten wurde die Interessenbindung zum PSI weggelassen.

Es braucht unabhängige Kontrollen – vor allem im Atombereich

ktm. Es ist blauäugig zu meinen, mit einer Ausstandspflicht lasse sich der Interessenkonflikt von Nagra-Verwaltungsrat Thierry Strässle vemeiden, der notabene seinen Lohn vom PSI bezieht, das von Nagra-Aufträgen profitiert. Diese Ausstandspflicht ist eine Alibi-Übung.

Der Bund schickt mit Strässle einen Vertreter des atomnahen PSI in den Nagra-Verwaltungsrat, in dem die AKW-Vertreter den Ton angeben, statt eine Person aus der Bundesverwaltung, die verpflichtet ist, dem Nagra-Club der Atomlobbyisten auf die Finger zu schauen.

Umso mehr, als dass es bei der Auftragsvergabe der Nagra nicht nur um Forschungsaufträge ans PSI geht, sondern vor allem um die Suche nach zukünftigen Standorten zur Lagerung der radioaktiven Abfälle der Atomkraftwerke. Diese Verantwortung kann der Bund nicht einfach an das PSI delegieren.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass der Filz in der Atombranche blüht und der Wille in der Bundesverwaltung fehlt, wirksame Massnahmen dagegen zu ergreifen. Infosperber berichtet schon seit Jahren darüber (siehe hier und hier), doch wesentliche Kurskorrekturen blieben aus.

Angesichts des grossen Schadenpotentials der Atomenergie ist diese Ignoranz fahrlässig. Gerade in diesem Bereich braucht es Checks and Balances, also unabhängige Kontrollen.

Von den zuständigen Departementen UVEK und EDI, an deren Spitze zwei SP-Leute stehen, dürfte man da schon etwas mehr Sensibilität erwarten, statt einfach den Atom-Filz weiterhin zu dulden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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