Kommentar

Das Zyankali–Modell

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Robert Ruoff /  Die noch immer nicht sanierte AHV kann problemlos nachhaltig finanziert werden. Man muss nur eine klare, radikale Lösung anwenden

Eigentlich finde ich es ja schade, dass er nicht mehr in der Landesregierung sitzt.* Pascal Couchepin ist ein Mann von Welt, ein Mann der Kultur, der Bildung, der Weltoffenheit. Diese Eigenschaften sind zwar noch keine Garantie für politischen Erfolg, aber sie tun gut: dem Land und der Regierung. Und mit seinen pointierten Bemerkungen war er vielleicht grade da am nächsten an der Wirklichkeit, wo er das grösste Wehgeschrei ausgelöst hat. Sein Klartext war manchmal wohltuend in der Heimat des vorsichtigen Abwägens.

Mit seinen politischen Vorschlägen war er hingegen nicht immer sehr erfolgreich. Manchen schienen sie zu einfach, manchen zu radikal – aber vielleicht waren sie nicht radikal genug. Und auf den einen Lösungsvorschlag, den ich ihm schon längst hätte vorlegen wollen, kann er nun leider nicht mehr eintreten: das Zyankali-Modell. Es wäre auf jeden Fall wirksamer als die neueste Initiativ-Idee seiner FDP: die Partei will offenbar ernsthaft einen Verfassungsgrundsatz, der ultimativ die Sanierung der AHV verlangt – oder dann (automatisch) die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre. Dieser verzweifelte, völlig illiberale Zangenangriff auf den Sozialstaat – nach dem Motto: «Mehr Staat, weniger Freiheit!» – wird ja wohl ohnehin eine Zangengeburt. Er kommt in einer Zeit, in der sich bei allen Fachleuten und klar denkenden Laien die Einsicht durchsetzt, dass das flexible Rentenalter die Lösung ist, die der wirtschaftlichen Entwicklung, der Lage auf dem Arbeitsmarkt, dem Stand der AHV-Kasse und den Bedürfnissen der Generation «50plus» entspricht (siehe zum Beispiel: Charlotte Jacquemart in der «NZZ am Sonntag» oder Frank A. Meyers politische Runde in den «SonntagsBlick Standpunkten»). – An welcher Lobby scheitert diese Lösung eigentlich?

Das Zyankali-Modell

Aber eben: das Zyankali-Modell. Die Vorstellung lässt mich nicht los, seit ich vor ein paar Jahren dieses Gespräch geführt habe mit dem Direktor der Rehabilitationsklinik, in der ich mich wieder aufgebaut habe nach einer By-Pass Operation (eine chirurgische Verjüngungskur, sehr empfehlenswert, und wenn man zu den 2 Prozent gehört, bei denen es nicht klappt, ist man auch die Sorgen los). Der Reha-Direktor hat mir damals die Geschichte erzählt von seinem Vater, der den 90. oder 95. oder 100. Geburtstag feierte. Der Bürgermeister kam, brachte die goldene Uhr, die der Vater nicht mehr brauchte, oder eine symbolische Summe Geldes, oder beides, und gratulierte im Namen der Gemeinde. Was der Vater freundlich entgegennahm mit der Bemerkung: «Warum feiert ihr eigentlich? Ich mache Euch doch nur noch Kosten? – Ihr solltet mir nicht Geld und Blumen bringen sondern eine Zyankali-Tablette. Dann kann ich meinem Leben ein Ende machen, wenn es an der Zeit ist, und ihr seid die Lasten los.» Die Reaktion des Bürgermeisters ist nicht bekannt, aber der alte Mann pflegte offenkundig eine souveräne Heiterkeit.

Er hat damit ein Modell in die Welt gesetzt. Dass unsere Politik nicht in der Lage ist, die AHV auf gutem Niveau zu sanieren, dürfte schon bald erwiesen sein. Dass die Solidarität des sogenannten Generationenvertrags in einer Zeit des gnadenlosen Verteilungskampfes keinen grossen Wert mehr darstellt, wird immer offenkundiger. Also ist radikale Vereinfachung angesagt: Nicht das Rentenalter wird erhöht, sondern die Auszahlung der AHV-Rente wird begrenzt, nach Massgabe der verfügbaren Mittel: Vielleicht reicht es zurzeit noch für die Rentenempfänger bis zum 85. Lebensjahr, vielleicht ein bisschen länger – vielleicht bald nicht mehr so lang. Diese Entscheidung sollte zur Vereinfachung des Verfahrens in der Kompetenz des Bundesrates liegen, durch eine einfache Verordnung. Auf jeden Fall: keine Parlaments-Debatte, kein Referendum!

Zum gegebenen Zeitpunkt, wenn die Rentenzahlung endet, wird statt der Rente eine Zyankali-Tablette per A-Post zugestellt. Die Empfänger können selbstverständlich frei bestimmen, ob und wann sie die Tablette einnehmen wollen, ob sie es alleine tun oder sich in Würde (lat.: Dignitas) zum schulmedizinischen Ausgang (lat.: Exitus) begleiten lassen wollen. Die Zukunft der AHV wäre damit dauerhaft gesichert und ein Problem von Ewigkeitswert vom Tisch. Der Kanton Zürich hat mit seiner Suizidvereinbarung mit Exit für eine solche Regelung ja schon Massstäbe gesetzt. Und der Bundesrat hat nun auch eingesehen, dass er sich diesen Gedanken nicht entziehen kann; er geht mit einem Doppelvorschlag zur Sterbebegleitung in die Vernehmlassung. Das Ganze muss ja schliesslich und endlich – at the end of the day, wie die Engländer sagen – nur juristisch und bürokratisch sauber geregelt werden. Oder?

*Der Artikel wurde im September 2010 verfasst


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