Kommentar

Das Staatsbudget schmerzfrei sanieren – eine Anleitung

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Ginge es dem Bundesrat ums Allgemeinwohl, müsste er die Steuern erhöhen. Aber er kürzt lieber Ausgaben im Wert von 4,5 Milliarden.

Beim Kürzen und Streichen gilt: Verzichtbares muss zuerst weg. Doch worauf soll man verzichten, wenn der Bund ein Budgetloch von jährlich 4,5 Milliarden Franken stopfen soll? Dieser Frage musste sich eine vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission stellen. Die Antwort ist bekannt: Das Sparprogramm sieht Kürzungen von über 1,7 Milliarden bei den Sozialausgaben – unter anderem bei Kitas und der AHV vor.

Auch bei den Ausgaben für Verkehr, Bildung und Forschung sowie bei der Klimapolitik sollen 1,4 Milliarden gespart werden. Die Kürzungen seien verkraftbar, und sie seien nötig, damit die Staatsschulden nicht weiter ansteigen. Nur so könne der Bund bei der nächsten (Corona-) Krise handlungsfähig bleiben und sei nicht gezwungen, dann zu sparen, wenn es wirklich weh tue.

Doch dieses Ziel könnte der Bund auch mit Steuererhöhungen erreichen. Auch das hätte Kürzungen und Streichungen zur Folge. Allerdings müssten nicht staatliche, sondern private Ausgaben im Umfang von 4,5 Milliarden gekürzt werden, und jeder Steuerzahler könnte selbst entscheiden, worauf er oder sie verzichten will. Falls die Expertenkommission diese Alternative in Betracht gezogen hat – wofür es wenig Anhaltspunkte gibt –, hätte sie sich überlegen müssen, in welchem Bereich mehr Geld für Verzichtbares ausgegeben wird. Bei den Privaten oder bei der öffentlichen Hand?

Verzichtbares vor allem bei den Privatausgaben

Die Antwort fällt leicht. Man muss nur in Zürich shoppen gehen oder eine beliebige Zeitung aufschlagen und nachlesen, wofür die Reichen ihr Geld ausgeben. 2400 Franken pro Monat für eine Pferdebox, schätzungsweise 100 Millionen Franken für Federers Erst- oder Zweitresidenz samt Bootshaus am Zürichsee, 10’000 Franken für eine Flasche Champagner in einem exklusiven Nachtclub.

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Roger Federers Anwesen in Rapperswil SG: Dürfte am Schluss gegen 100 Millionen Franken kosten.

Im Vergleich dazu sind die von der Expertenkommission entdeckten «Verschwendungen» öffentlicher Gelder bestenfalls Kleinkram. Die Schweiz ist zwar mit öffentlichen Gütern noch immer relativ gut ausgestattet, doch wenn es echte Verschwendung gibt, dann vor allem im privaten Bereich.

Man kann die Frage auch systematisch angehen: Das gesamte Einkommen der Privathaushalte beträgt etwa 560 Milliarden Franken, wovon mindestens 360 Milliarden auf die reichsten 40 Prozent entfallen. Müssten diese die 4,5 Milliarden alleine bezahlen, würde sich ihr Einkommen um 1,25 Prozent verringern. Dafür müssten sie auf gar nichts verzichten. Sie müssten bloss ihre Sparquote von knapp 36 auf 34 Prozent ihres Bruttoeinkommens herabsetzen.

Auch im Rentenalter könnten die oberen 40 Prozent noch gut einen Zehntel ihrer Einkommen auf die hohe Kante legen. Am unteren Ende der Einkommensskala verliert ein Paar mit Kindern schnell einmal einen Zehntel oder mehr des ohnehin bescheidenen verfügbaren Einkommens, wenn die staatlichen Kita-Subventionen gekürzt werden. Das stresst, und dann hängt schnell einmal der Haussegen schief.

Die Schweiz spart – überwiegend für die Katz

Rein volkswirtschaftlich wären höhere Steuern für die Reichen statt staatlicher Ausgabenkürzungen sogar ein Segen: Die Schweiz spart ohnehin viel zu viel. Allein in den vergangen zehn Jahren beliefen sich die kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse auf 464 Milliarden Franken (Stand Ende Juni). Doch weil sich unsere Guthaben gegenüber dem Ausland laufend entwerten, hat unser Auslandvermögen dennoch nur um 140 Milliarden zugenommen. Seit Ende Juni hat der Franken weiter an Wert gewonnen. Wenn er am Jahresende noch so stark ist wie heute sind auch diese 140 Milliarden weg. Wir hätten dann für die Katz gespart.

Kleinstmöglicher Schaden für die kleinstmögliche Zahl

Wäre es das Ziel der Wirtschaftspolitik, den kleinstmöglichen Schaden für die kleinstmögliche Zahl von Menschen zu verursachen, dann wäre es im Sinne des Gemeinwohls gewesen, die private statt der öffentlichen Verschwendung einzudämmen: höhere Steuern statt weniger Staatsausgaben.

Doch die Expertenkommission hat darüber nicht oder zumindest nicht ernsthaft nachgedacht. Hätte sie solche Gedanken öffentlich geäussert, wäre sie kaum darum herumgekommen, eine Erhöhung der direkten Bundessteuer vorzuschlagen. Weil diese mit steigenden Einkommen prozentual steigt und die tiefen Einkommen weitgehend verschont, ist sie die Waffe der Wahl gegen die private Verschwendung. Doch das sehen die privaten Verschwender natürlich anders, und ihre Lobby weiss, wie man sich in Bern Gehör verschafft.

PS. Kürzlich wurden Pläne aus dem Finanzdepartement bekannt, wonach Kapitalauszahlungen aus der 2. und der 3. Säule künftig höher besteuert beziehungsweise fiskalisch nicht mehr ganz so stark entlastet werden sollen. Das bringe dem Bund jährlich immerhin 220 Millionen Franken mehr ein.

Doch bereits wird dagegen aus allen Rohren geschossen. Die FDP und die SVP lehnen die Idee «dezidiert» ab. Auch die «Sonntagszeitung» schlug sich mit der dramatisierenden Schlagzeile «Keller-Sutters Angriff auf den Mittelstand und die Grossverdiener» voll auf die Seite ebendieser Grossverdiener. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Expertenkommission vorgeschlagen hätte, die ganzen 4,5 Milliarden mit höheren Steuern zu finanzieren.

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15 Meinungen

  • am 27.10.2024 um 11:16 Uhr
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    Es geht in der Tat um die Frage: mehr Staat oder mehr Eigenverantwortung. Und da sind die Meinungen naturgemäss geteilt. Für mein Empfinden ist es schon ein bisschen ein populistischer Vorschlag, die Neid-Karte zu spielen und bei Roger Federer anklopfen zu wollen. Die Staatsquote nimmt Jahr für Jahr ununterbrochen zu. Überbordende Verwaltung und Subventionen sind keine gute Entwicklung für eine langfristig prosperierende Wirtschaft.

    • am 28.10.2024 um 08:07 Uhr
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      @StefanRoth: Interessante Ablenkung von den grossen Einkommen und Vermögen zu den ‹Einkommens-Schwachen› und diesen etwas verklausuliert indirekt Verantwortungslosigkeit zu unterstellen. Natürlich ist dies nicht ganz falsch, aber vor allem lenkt es von den guten Optionen ab. Die Staatsquote ist auch eine relativ schlechte Vergleichgrösse, weil viele Aufgaben nicht primär durch die ‹Schwachen› verursacht werden: Steigende Umweltkosten werden durch den steigenden Konsum verursacht. Und hier sind die Einkommensstarken, die die Ausbeutung von Mensch und Natur steuern gefordert und hier sind falsche Anreize gesetzt. Progressivere Einkommens- und Vermögenssteuern können einige Fehlanreize dämpfen.

      • am 28.10.2024 um 18:57 Uhr
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        Die Steigerung der Staatsquote hat sehr wenig mit den Kosten für die Ausbeutung der Natur zu tun. Okay, da wird hier und dort etwas renaturiert und die ökologische Stromversorgung kostet auch. Aber die Treiber der Staatsquote sind eher die Gesundheits-, Betreuungs- und Bildungskosten sowie die Aufblähung des Beamtenstaats, der deswegen nicht wirklich mehr Output bringt.

      • am 28.10.2024 um 19:20 Uhr
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        @MarkusUrsprung: Die ursprüngliche Frage war ja, ob der Staat sparen oder neue Einnahmequellen erschliessen soll. Die Expertengruppe um Serge Gaillard schlug einen Mix vor, was mir grundsätzlich vernünftig scheint. Bevor wir über die Finanzierung reden, muss aber natürlich klar sein, was alles Staatsaufgabe sein soll. Und da unterscheiden sich unsere Ansichten fundamental. Plakativ könne man es auf den Nenner bringen: «jeder ist seines Glückes Schmied» (ich) versus «der Staat ist des Glücks jedes einzelnen Schmied» (du). Okay, sehr plakativ 🙂

    • am 28.10.2024 um 23:35 Uhr
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      Herr Roth: Allen, die für ein gerechteres Steuersystem eintreten, Neid vorzuwerfen, ist gängige (billige) Praxis.
      Wer von «Eigenverantwortung» redet, bildet sich ja gerne ein, alles aus eigener Kraft geschafft zu haben. Und vergisst dabei, dass auch er (seltener sie) weitgehend auf Staatskosten ausgebildet wurde. Dass nicht alle Eltern ihrem Nachwuchs eine gute Bildung ermöglichen und ein grosses Netzwerk an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen (vielleicht gar ein Startkapitel) mitgeben können, ziehen sie schon gar nicht in Betracht. Frauen wird eine Karriere noch immer schwer gemacht, während man auf ihre Dienste (am liebsten gratis) gerne zurückgreift. Von Chancengleichheit oder einer klassenlosen Gesellschaft kann in der angeblich sozialen Schweiz keine Rede sein.

  • am 27.10.2024 um 12:05 Uhr
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    Danke an Werner Vontobel und Infosperber! Etwas das ich sonst nirgends lese! Und ich stimme für Volksvertreter die diese Vorschläge umsetzen! Gibt es eine Liste? Wer erstellt eine solche Liste?

  • am 27.10.2024 um 13:35 Uhr
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    Seit Jahrzehnten werden für Unternehmen und Reiche Steuern gesenkt. Für das durchschnittliche Volk steigen die Kosten aber an vielen Orten. Dies ändert erst mit einer Rot / Grünen Mehrheit in den Parlamenten.

  • am 27.10.2024 um 15:19 Uhr
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    Treffend beschrieben! Wer heute im NR, STR oder Bundesrat agiert, dem geht es in erster Linie um sein eignes Wohl. Allgemeinwohl ist ein schöner Folklorebegriff.
    In erster Linie geht es offenbar darum, das eigene Fortkommen zu unterfüttern mit möglichst viel Geld. Zahlen muss immer die Masse, nicht die Bestverdiener.
    Degeneration pur!

  • am 27.10.2024 um 17:19 Uhr
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    Danke für diese wichtigen Hinweise, welche die verquere Spardisskussion in die richtigen bahnen lenken könnte, wenn die Leute an den stellschrauben die ideologischen Scheuklappen ablegen würden.

  • am 27.10.2024 um 18:51 Uhr
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    Danke. Brillant, wie immer, Herr Vontobel. Höhere Steuern für die Grossverdiener – undenkbar… Einzig Mehrwertsteuererhöhungen, gerne auch für die Armee, sind für die sogenannt Bürgerlichen kein Problem. Das Gemeinwohl interessiert leider weder die Mehrheit im Bundesrat noch im Parlament, die lieber Klientelpolitik betreibt.

    Viele Zeitungsartikel sowie die Leserdiskussionen zur vorgeschlagenen Erhöhung der Steuern auf Kapitalauszahlungen (und nur darauf) aus der 2. und der 3. Säule sind gänzlich absurd.

    Nicht wichtig, aber ich würde ja gerne mal wissen, welche Trolle infosperber-Artikel (wahrscheinlich gewohnheitsmässig) als «nicht-nützlich» bewerten.

  • am 28.10.2024 um 05:28 Uhr
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    Und immer wieder saust der neoliberale Presslufthammer nieder. Unter Führung der ideologisch übersteuerten Finanz-, pardon Banken-Ministerin aus St. Gallen vollzieht sich die seit den 90er Jahren systematisch vorangetriebene Demontage des nie wirklich existenten Sozialstaates Schweiz. Und immer wieder mit der gleichen blödsinnigen, nie irgendwo belegten Behauptung: die Schonung der Reichen zahlt sich durch deren Reinvestitionen zugunsten der Volkswirtschaft aus. Mit der neoliberalen Schimäre wird die real existierende Verarmung immer breiterer Bevölkerungskreise als notwendiger, kollektiver Opfergang herbeigelogen. Und die Kälber wählen dann weiterhin ihre Metzger selber, während die Klickmedien dazu die Musik spielen. Warum wohl steuert Europa geradewegs in den neuen Faschismus? Und weshalb sollte sich dabei die Schweiz – unter Führung ihrer rechten bis rechtsextremen Mehrheit – als Sonderfall herausstellen?

    • am 28.10.2024 um 16:24 Uhr
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      Sie sehen die Gefahr sehr richtig. Im Moment passieren weltweit Rechtsrutsche wo weniger Begabten irgend welchen Führern zujubeln. Das ist eine extrem gefährliche Entwicklung. Wir wissen wie es damals rauskam. Ich rufe laut : Wehrte den Anfängen.

  • am 28.10.2024 um 11:22 Uhr
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    Die Idee von Herrn Vontobel die Federers&Co. an die steuerlich Kandare zu nehmen, würde ich unterstützen. Die Verdienstmöglichkeiten im kapitalistischen Westen sind pervers geworden. Und zerstören Städte (siehe Artikel im Tagi über Seattle), wandeln das Klima und zerfressen Gesellschaften. Gut verdienen sollte, wer etwas fürs Gemeinwohl beiträgt, nicht wer die Leute ausbeutet. Lehrer zum Beispiel oder Dachdecker. Der Sanitär und der Assistenzarzt, die Pflegefachfrau. Die Spekulanten von Blackrock jedenfalls nicht.

  • am 29.10.2024 um 00:13 Uhr
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    Die Grundforderung, 4.5 Milliarden sparen, ist unsinnig wenn man nicht darüber nachdenkt, wer sich für denselben Betrag verschulden soll. Möchte man als Staat die Wirtschaft am laufen halten, kann man bloss auf die Sparrealität der Privaten & Unternehmen reagieren…insofern auch die Schuldenbremse völlig unlogisch.
    Das Problem von dauerhaften Leistungsbilanzüberschüssen (Nettoexport) ist dass sie letztendlich zu Krieg führen. Dass Länder wettbewerbsfähig sein wollen heisst wettbewerbsfähiger als andere Länder, d.h. günstiger produzieren als andere Länder, d.h. Land A produziert für die Welt (A+B), Land B hat immer mehr Arbeitslose, das führt bei klugen Politikern zu Wirtschafskrieg (Handelsblockaden, Zölle, etc.), falls nicht gibts Massenverelendung von Land B und in der Folge den klassischen Krieg. Gibt selbst in der ganz jungen Geschichte diverse Beispiele!

  • am 29.10.2024 um 10:34 Uhr
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    Zurzeit läuft von rechtsbürgerlichen Kreisen ein Hallali für Einsparungen im Sozial- und Bildungswesen. Die heiligen Kühe, Armee und Landwirtschaft , werden hier nicht tangiert. Sogar umgekehrt : Denen wir Geld unnötigerweise hinter her geschmissen. Diese Entwicklung ist ein Armutszeugnis einer humanen Schweiz und widerspricht deren Werten.

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