Das Geschäft geht vor
Nun hat Bundesrätin Leuthard also entschieden: Swisscom, Ringier und SRG dürfen an der gemeinsamen patriotischen Werbeplattform «Projekt Tell» weiter bauen.
Die Reaktionen ringsum entsprechen den Eigeninteressen. Die Werbepatrioten des «Projekt Tell» von der Swisscom bis zur SRG freuen sich, dass sie starten können. Die Verleger wollen den Start verhindern und kündigen den Gang vor das Bundesverwaltungsgericht an. Sie verlangen Änderungen des Radio-Fernsehgesetze und «eine seriöse politische Diskussion im Parlament». Nationalrätin Natalie Rickli (SVP) erklärt in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der rechtsbürgerlichen «Aktion Medienfreiheit» genau diese «Service public-Diskussion nunmehr für «obsolet», also hinfällig. Das klingt schon fast ein bisschen wie eine Kriegserklärung. Denn jetzt geht es um einen politischen Eingriff des Parlaments ins Radio-Fernsehgesetz. Und um «No-Billag».
Dabei hat die Bundesrätin gestützt auf das ihr unterstehende Bundesamt für Kommunikation verfügt, dass die SRG keine auf Zielgruppen ausgerichtete Werbung ausstrahlen darf, weil das von der SRG-Konzession nicht gedeckt wäre. Und genau diese gezielte Werbung wäre der teuflische Kern des «Projekt Tell». Aber da darf die SRG also nicht mitmachen, bis der Bundesrat ihre Konzession «anpasst». – Das kommt sowieso in den nächsten zwei Jahren.
Alle Fragen offen
Die Entscheidung von Frau Leuthard legt offen, dass in der Schweizer Medien- und Kommunikationspolitik ein paar wesentliche ordnungspolitische Fragen zügig angepackt und gelöst werden müssten. Und zwar im Interesse von Citoyen und Citoyenne, von Staatsbürgerin und Staatsbürger. Mit einem starken privaten und einem starken öffentlichen Medienbereich.
Die Lobbyisten und Interessenvertreter melden sich schon längst zu Wort. Der Medienunternehmer Roger Schawinski zum Beispiel verlangt im Branchendienst «persönlich» weiterhin grosszügige Werberegelungen für die SRG. Das heisst: der Service public soll auch in Zukunft als grosse Werbeplattform dienen. Gleichzeitig verlangt Schawinski die Klärung von «Grundsatzfragen». Dazu würde allerdings auch die Frage gehören, was denn vom Geist des Service public noch bleibt, wenn die SRG sich weiter nach der Logik des Kommerz entwickelt. Das erwähnt er nicht.
Das Bollwerk gegen rechts
Die Internet-Unternehmerin und Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) verteidigt in der «NZZ am Sonntag» das «Projekt Tell» mit der SRG als Sicherung gegen die drohende Propagandawalze der Blocherschen Rechten. Da hat sie vielleicht zur Hälfte recht. Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass mit dem Zusammenschluss von Ringier, Swisscom und SRG kein Wettbewerb sondern ein Medienmulti entsteht, der das schweizerische publizistische Radio- und Fernsehangebot dominieren kann. Denn schon heute ist die Swisscom der grösste Programmanbieter im Kabel-Fernsehbereich, und heute schon arbeiten SRG und Swisscom im Programmbereich zusammen. Swisscom plus SRG bestimmen, wenn sie nur wollen, gemeinsam den publizistischen Tarif. Da fehlt jede medienpolitische Regulierung. Und, offen gestanden, die Vorstellung, dass Ringier mit seiner Boulevard-Publizistik mit von der Partie ist, macht dem Freund der Service-public-Publizistik auch nicht richtig Freude.
Die Mehrfachzahler
Der Citoyen, der Staatsbürger, wird bei all dem zum Medienkunden, der mehrfach bezahlt.
Er bezahlt mit den Gebühren für den Service public. Er bezahlt für die Werbekosten im Produktpreis. Er bezahlt mit seiner Aufmerksamkeit für eine Werbung, mit der er mehr oder weniger gezielt beschossen wird. Und er bezahlt mit seinen Daten.
Der Medien-, Unterhaltungs- und Technologiekonzern Ringier ist ein professioneller Datensammler. Die Swisscom AG ist als Kabel-, Telefon-, Fernseh- und Internet-Anbieter Nummer Eins ein gewaltiger Datensammler – auch wenn die Swisscom sagt, dass diese Daten eigentlich gar nicht mehr unsere Daten sind. Sie werden ja zunächst «anonymisiert» und dann «aggregiert», also mit anderen Daten auf einen grossen Haufen geworfen, in dem sie quasi verschwinden. Aber es sind, ursprünglich, unsere Daten. Es findet so etwas wie eine Enteignung statt. Der wir heute mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei der Swisscom und anderswo so nebenbei zustimmen.
Innovation und Datenschutz
Der Zürcher IT-Unternehmer und Ständerat Ruedi Noser (FDP) erwähnt in seinem Gastbeitrag in der «NZZ» (3.2.2016) solche Probleme gar nicht. «Wenn sich in der Schweiz nun ein innovatives Joint Venture formiert», schreibt er, «dann geht es um Themen wie Innovation, Big Data, IT usw.» Dass es dabei auch um Datenschutz und Persönlichkeitsrechte und Kommunikationsfreiheit gehen könnte, ist für den liberalen Politiker an dieser Stelle kein Thema.
Die Swisscom hingegen scheint an dieser Stelle mehr Sensibilität zu entwickeln. Sie denkt nach über eine Datenbank, in der die Swisscom-Kunden selber ihre Daten verwalten und nach Wunsch freigeben oder sperren können. Sie konsultiert dabei offenbar auch den Datenschützer, wie man hört. Man dürfte über das Projekt in der nächsten Zeit mehr erfahren. Aber die freiwillige Lösung genügt nicht.
Der Regulierungsbedarf
Es ist offenkundig, welche Grundsatzfragen in der Schweizer Kommunikations- und Medienpolitik unbeantwortet herumliegen. Da ist zuallererst die Kommunikationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger und der Umgang mit ihren Daten. Da ist die Regulierung einer Medienlandschaft, in der Netzanbieter wie die Swisscom eine immer bestimmendere Rolle spielen. Und da ist schliesslich die Frage, ob der Service public seine User immer mehr als manipulierbare zahlende Konsumenten ansprechen soll oder vielleicht doch eher als Citoyens, als mündige Bürger in Staat und Gesellschaft.
Mehr zum Service public finden Sie hier
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF.
…die Verbindung via Ringier zu Axel Springer und somit die Integration des Service Public der SRG in transatlantische Ideologiespähren mit ihren erstickenden neoliberalen TINA Prinzipen, Deutungshoheit zu allen unseren Lebensbereichen, Oekonomie, Gesellschaft, Wissen, Zusammenleben stört voll krass… zersetzende Marktdiktatur ist das.
Mir gefällt folgendes Zitat sehr.
»…The absence of a widely-held, constructive idea of public goods in public discourse denies citizens the ability to have an informed conversation, or to make informed decisions, about things that matter mightily to the quality of their lives and their communities. Its absence robs public policy makers, leaders and managers of the concept that is most central to the reason for their being. The current economics definition of public goods feeds and supports the marketization and privatization of government, and the consequent undermining of governments’ ability to operate…"
“More than a century ago, the effective operation of the public economy was a significant, active concern of economics. But, with the rise of market-centrism and rational choice economics, government was devalued and allowed a role only in cases of “market failure.” The very idea of a valid, valuable public non-market almost disappeared from sight. So today we lack a coherent, comprehensive theory of the public economy“.
Re-thinking the Definition of “Public Goods” , July 9, 2014, June Sekera – rwer.wordpress.com
Zugegeben, ich bin selber etwas überrascht, aber doch eher noch von der Tatsache, dass die SVP sogar jetzt sogar auch noch schuld daran sein soll, dass das gut eidgenössische Kollegen-Konglomerat zwischen staatlichen und kommerziellen Interessenvertretern gefährdet scheint.
Das Konglomerat der vereinigten Gutmenschen, offenbar, und offenbar schafft es der Ringgi aus Zofi immer wieder, mit seinen roten Freunden zusammen, sich erfolgreich dem Wettbewerb zu entziehen, die SVP ist dabei ja alleweil gut genug dazu, als eigentlicher Sündenbock für alles Schlechte und Verwerfliche in diesem Land herzuhalten.
Es geht ja auch um die Abschaffung eines alten Zopfes, der Bewilligung, Radio und Fernsehen konsumieren zu dürfen. Auch wenn der Europ. Gerichtshof vor einigen Jahrzehnten schon festgestellt hat, dass der unbehinderte Empfang von RTV Signalen ein unantatstbares Menschenrecht sei. Und auch die KONZESSION, als SOLCHE, aufgrund eines von mir, im Anschluss auf das Urteil des Gerichtshofes, eingeleiteten Rechtsverfahrens, abgeschafft werden musste, so machte man einfach eine Billag-Gebühr daraus, damit die Kohle weiter fliesst, und so verteilt wird, wie es bin anhin der Fall war.
Vielleicht sind wir einfach zu blöd. Zu blöd dazu, sehen, und erkennen zu wollen, um was es eigentlich geht. Oder dann ist unser Hass auf den Milliardär Blocher derart gross, dass die reine Vernunft einfach gar keine Rolle mehr spielt. Blocher muss weg, dann wird ALLES GUT.
Krank im Kopf, eher doch.
Wenn ich schon das staatlichen Fernsehen mit Gebühren finanziere,
sollte ich die Möglichkeit haben,die mir nicht gewünschte Werbung zu unterdrücken,mit heutiger Technik kein Problem.