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Die Schweizer Justiz sei interessengeleitet, schreibt der Deutsche Journalisten-Verband © pixabay

CumEx: Schweizer Behörden bedrohen Pressefreiheit

Tobias Tscherrig /  Journalisten zeigen den Steuerzahlern von Europa, dass sie massiv bestohlen wurden. Ermittlungen laufen – gegen einen Journalisten.

Eine Bande von Bankern und Anwälten hat die Staatskassen von zwölf europäischen Staaten ausgeplündert. Mit CumEx– und ähnlichen Aktiengeschäften erleichterten sie die Öffentliche Hand um mindestens 55 Milliarden Euro. Die Schadenssumme – wovon der grösste Teil verschwunden ist – ist nicht nur gigantisch hoch, sie macht aus der CumEx-Affäre den bisher grössten Steuerraubzug in der Geschichte Europas.

Es waren Journalisten aus zwölf Ländern, die unter der Leitung des Recherchezentrums «Correctiv» während einem Jahr recherchierten, 180’000 Seiten Material auswerteten, mit Insidern sprachen und im Finanzzentrum London verdeckt ermittelten. Nur dank ihnen und ihrer Arbeit weiss die Öffentlichkeit seit Oktober 2018, dass sie während Jahren massiv bestohlen wurde.

Politik profitiert, Journalist verliert?
Die Quittung für diese Arbeit: Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt bereits seit Monaten wegen des «Verdachts der Anstiftung zum Verrat von Betriebsgeheimnissen» gegen «Correctiv»-Chefredakteur Oliver Schröm, der die internationalen Recherchen geleitet hatte. Auch ein mutmasslicher Informant wurde vernommen.

Weil Schröm seine Arbeit als Journalist machte, die Öffentlichkeit über einen krassen Missstand informierte und die EU-Länder über ein milliardenschweres Wirtschaftsverbrechen in Kenntnis setzte, wird gegen ihn ermittelt.

Dabei wurde Schröm im November sogar vom EU-Parlament nach Brüssel geladen, um das Ausmass der Recherchen zu präsentieren und Lösungen aufzuzeigen, wie CumEx und ähnliche steuergetriebene Aktiengeschäfte verhindert werden könnten. Die Vorschläge von Schröm und seinem Team flossen dann in eine Resolution ein, die das EU-Parlament wenig später verabschiedete.

Im schlimmsten Fall droht Schröm eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine empfindliche Geldstrafe. «Wir haben mit unseren Recherchen den Steuerzahlern gezeigt, dass sie bestohlen wurden und werden dafür nun vom Staat verfolgt. Das ist absurd», so David Schraven, Publisher von «Correctiv» in einer Medienmitteilung.

Strafanzeige aus Zürich
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg beziehen sich auf frühere Recherchen von Oliver Schröm. Dieser gehörte 2014 zu den ersten Journalisten, die interne Unterlagen einsehen konnten und anschliessend über CumEx-Geschäfte berichteten. Immer wieder auch über die Basler Privatbank J. Safra Sarasin, die tief in den Skandal verstrickt ist und erst kürzlich zu einer Rückzahlung von 45 Millionen Euro verpflichtet wurde.

Nach der Veröffentlichung von Schröms Recherchen liess die Zürcher Staatsanwaltschaft zwei frühere Mitarbeiter der Bank verhaften. Sie wurden verdächtigt, Informanten des Journalisten zu sein. Aufgrund einer Anzeige der Bank Sarasin gegen Schröm, ermittelte die Zürcher Staatsanwaltschaft auch gegen den Journalisten. Der Vorwurf: Wirtschaftlicher Nachrichtendienst und Verletzung des Geschäftsgeheimnisses. Schröm soll einen Mitarbeiter dazu angestiftet haben, die CumEx-Geschäfte der Schweizer Bank öffentlich zu machen, was eine Verletzung des Bankgeheimnisses darstelle.

Im März 2018, vier Jahre nach Beginn der Ermittlungen gegen Schröm, bat die Behörde aus Zürich die Staatsanwaltschaft Hamburg um Übernahme des Verfahrens. Dies, nachdem die Zürcher Staatsanwaltschaft mit Medienanfragen aus Deutschland und der Schweiz konfrontiert worden sei, die darauf abzielten, dass «die Schweizer Behörden mit fragwürdigen Methoden gegen einen deutschen Whistleblower vorgegangen war, der einst den CumEx-Skandal ins Rollen gebracht hatte», schreibt «Correctiv».

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des «Verdachts der Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen und unbefugter Verwertung». Das sei wohl das erste Mal, dass ein Paragraph aus dem Wettbewerbsrecht gegen einen Journalisten angewandt werde, kommentiert «Correctiv».

«Interessengeleitete Schweizer Justiz»
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die Ermittlungen gegen «Correctiv»-Chefredakteur Schröm massiv. Die CumEx-Recherchen hätten gezeigt, wie Banken systematisch den Staat und seine Bürger betrüge. «Die Staatsanwaltschaft Hamburg macht sich zum Handlanger einer interessengeleiteten Schweizer Justiz», sagt Frank Überall, Vorsitzender des DJV gegenüber «Correctiv». Das Ziel sei es, investigative Journalisten und ihre Informanten aus der teils hochkriminell agierenden Bankenbranche zum Schweigen zu bringen.

«Correctiv» reagierte auf die Ermittlungen mit einem Offenen Brief, der an Bundesjustizministerin Katarina Barley und Bundesfinanzminister Olaf Schulz adressiert ist. Darin werden sie aufgefordert, die Strafverfolgung gegen Journalisten zu beenden und stattdessen die wahren Schuldigen vor Gericht zu bringen. Das seien die Menschen, «die unsere Steuern gestohlen haben».

«Correctiv» wertet die Ermittlungen als Angriff auf die Pressefreiheit und schreibt: «Der Versuch, eine ganze Redaktion mundtot zu machen, ist ein Missbrauch des Strafrechts. Es ist erschreckend, dass deutsche Behörden sich von den Tätern dazu instrumentalisieren lassen.» Die CumEx-Geschäfte seien das Verbrechen, nicht ihre Enthüllung.

Über Correctiv

Correctiv ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. Mit Büros in Essen und Berlin und einem Team von 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, finanziert Correctiv investigativen Journalismus und Bildungsangebote hauptsächlich über Mitgliedsbeiträge und Zuwendungen von Stiftungen.

Die Ergebnisse werden in Kooperationen an Zeitungen und Zeitschriften, an Radio- und Fernsehsender weitergereicht und auf correctiv.org veröffentlicht.

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8 Meinungen

  • am 12.12.2018 um 12:10 Uhr
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    Es ist und bleibt immer dieselbe Geschichte, auch in der Schweiz. Nicht die Täter werden primär verfolgt, sondern die Überbringer der Botschaft. Ich erinnere mich an den Fall in Bern als ein Beamter aus der kantonalen Finanzverwaltung das Fehlverhalten eines hochrangigen Regierungsmitgliedes (unberechtigte Spesenbezüge) intern meldete und nie etwas unternommen wurde. In der Folge ging er mit der Geschichte in die Öffentlichkeit und wurde wegen Amtsgeheimissverletzung sofort polizeilich gesucht. Obwohl sich das Fehlverhalten des Regierungsmitgliedes beweisen liess, den Schaden aus der Geschichte hatte am Ende der aufrichtige, ehrliche «Whistleblower».

  • am 12.12.2018 um 12:34 Uhr
    Permalink

    Die Cum-Ex-Diebstähle am Staat gehören zum Übelsten, was in der neueren west-europäischen Geschichte je ablief: Riesige Steuer-Betrügereien. Und die Schweizer Banken (nicht nur die (nicht mehr schweizerische) Privat-Bank Sarasin) standen auch dieses Mal wieder mitten drin.
    – Es geht um Hunderte von Milliarden EUR.
    – Nicht nur unsere ’sauberen Banken›, auch unsere Behörden spielten eine ober-lausige Rolle, die Einen beim Betrügen, die Anderen beim Schützen der Betrüger bzw. beim Verhindern der Aufklärung.

    Wie ist sowas in einem ‹Rechtsstaat› nur möglich? Und: Wie lang noch decken wir unsere Banken bei solchen Geschäften?

  • am 12.12.2018 um 14:12 Uhr
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    Herr Tscherrig scheint ja sehr angetan zu sein von den Verlautbarungen des Herrn Schröm und des DJV. Ok, das sei ihm unbenommen. Allerdings: Kritischen, hinterfragenden Journalismus stelle ich mir anders vor. Einfach Verlautbarungen unkommentiert zu kolportieren, das kann auch ein Praktikant/eine Praktikantin auf der Redaktion.
    Beispiel: Wenn der DJV zwei Bundesminister auffordert, «die Strafverfolgung gegen Journalisten zu beenden», so ist das eine Ungeheuerlichkeit. In jedem zivilisierten Land sind die Strafverfolgungsbehörden absolut UNABHÄNGIG von der Exekutive und haben keine Weisungen entgegenzunehmen. Herrn Tscherrig ist dies keine Nachfrage, keine kritische Zeile wert. Und weiter: Der DJV unterstellt der «Schweizer Justiz», sie sei «interessengeleitet». So so. Da hätte man vielleicht nachfragen können, Herr Tscherrig. WEN GENAU meint denn der DJV ? «Schweizer Justiz» ist ein unscharfer Begriff. Streng genommen fallen nur die Gerichte darunter, in der weniger präzisen Journalistensprache alle, die irgendwie mit Strafverfolung zu tun haben: Polizei, Untersuchungsrichter, Staatsanwaltschaft usw. Ja, wer jetzt ist «interessengebunden» ? Aus dem Zusamnenhang ist offenbar die StA Zürich gemeint, die im Interesse der Banken handeln soll. Auch ein deftiger Vorwurf, den man vielleicht hinterfragen sollte. Aber nada, einfach kolportieren. Schwach, ganz schwach.

  • am 12.12.2018 um 19:38 Uhr
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     „Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen” 
    Aha! Eine kriminelle Handlung ist ein schützenswertes Geschäftsgeheimnis, wenn es eine Bank betrifft. Gilt das auch für die Mafia? Alle sind gleich, manche sind gleicher.
    Für trickreiche Gangster braucht es halt trickreiche Investigation.Das Resultat zählt, oder «der Zweck heiligt die Mittel».
    Diese Journalisten verdienen einen Orden!!!

  • am 12.12.2018 um 19:53 Uhr
    Permalink

    Unglaublich, und wie beschämend, dass die Schweizer Behörden sich so instrumentalisieren lassen! Ich hoffe, der internationale Druck bewirkt, dass die Anklage fallen gelassen wird.

  • am 12.12.2018 um 20:41 Uhr
    Permalink

    „Der Überbringer schlechter Nachrichten wird geköpft.» ( Jeremia 15,10.15-21)

  • am 13.12.2018 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Fehr

    Lassen Sie mich raten. Weiterführend haben Sie z.B. die ARD Panorama Doku zum Thema.. das Insider-Interview oder auch die Artikel auf correctiv nicht gelesen oder angeschaut?

    Das einzig schwache ist, wenn Menschen Mut, Leidenschaft und Verantwortung übernehmen um Sachverhalte und Machenschaften aufzudecken und die eigentlich, unabhängig journalistische Arbeit übernehmen, welche von den eigentlichen Mainstream Medien, sowie Strafverfolgungsbehörden eben nicht wahrgenommen wird. Um als hypokritische Krönung danach selber, juristisch verfolgt zu werden.

    Viel deutlicher kann sich die Interessensgebundenheit von Medien, Behörden und Beteiligten ja nicht mehr zeigen. Und viel kritischer, gewissenhafter und unabhängiger kann Journalismus und Recherche nicht sein.

    Das einzig ungeheuerlich Schwache hier ist ihr oberflächlich subjektiver und abschätziger Kommentar.

    Es handelt sich erwiesenermassen um illegale Geschäftspraktiken. Organisierte Kriminalität im richtig grossen Stil. Schwarz auf Weiss.

    Ihr Kommentar hingegen, ist eine absolut diametrale Verdrehung der eigentlichen Fragestellung, Problematik und Sachlage. Wenn ausnahmsweise die kritischen Informationen schon auf dem Silbertablett serviert werden sollte man sich vielleicht auch ein wenig informieren.

    Ausser man will das vielleicht gar nicht und ist in seiner eigenen Meinung und in seinen Kommentaren selber schon voreingenommen und sowieso auch interessensgebunden. Nicht wahr? 🙂

  • am 18.12.2018 um 18:00 Uhr
    Permalink

    Sorry wenn ich hier ein bisschen abdrifte. Die Berichterstattung über cum ex und cum cum ist sehr wichtig, keine Frage und danke dafür. Aber es ist einfach seltsam. Die cum ex Machenschaften sind seit Jahren bekannt. Viele kleine Medienplattformen wie der Insiedeparadeplatz oder NouvisoTV haben schon vor Jahren darüber berichtet. Und jetzt auf einmal startet die Rakete? Correctiv ist evt. alles andere als unabhängig, auch wenn sie sich so nennen. Scheint so, als ob nur die richtige Medienplattform darüber berichten muss, damit es wahr genommen wird. Alles andere wird ignoriert. Damit mir hier mal keiner unterstellt, dass die cum ex nicht schon Jahren bekannt sind, habe ich mal ein paar Klicks auf Google gemacht:

    https://www.gruene-bundestag.de/finanzen/millionaere-pluenderten-staatskasse-18-02-2016.html

    https://www.youtube.com/watch?v=Xbm8aaFBnJw

    Die krasse Reaktion auf die Correctiv Recherchen sind deshalb um so fragwürdiger. Wieso diese krasse Reaktion auf alten Wein in neuen Schläuchen? Mir scheint es, als ob an Correctiv ein Exempel statuiert wird, um den «seriösen» Medien die Grenzen auf zu zeigen.

    Bzl. Correctiv:
    https://www.rubikon.news/artikel/heuchler-und-hochstapler-1-4

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