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«LadenBistro» in Biel-Bienne, Helfende und Betreute © Katina Anliker

Corona: Auch die freiwilligen Helfer bräuchten Hilfe!

Christian Müller /  Sie haben keine Lobby im Bundeshaus – und ohne Lobby-Einsatz wird in Bundesbern kein Geld gesprochen. Ein Beispiel aus Biel.

Politische Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften kämpfen lauthals um Einfluss auf «Bern». Alle fordern Hilfe. Auch die zuerst vergessenen Selbständig-Erwerbenden sind mittlerweile ein grosses Thema. Vergessen aber gehen jene, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie und vor dem Lockdown des Bundesrates Grosses und Grossartiges leisteten und weiter leisten möchten – aber halt im Stillen und im Kleinen.

Ein anschauliches Beispiel aus Biel

Inmitten der zweisprachigen Stadt Biel-Bienne gibt es an der Jakob-Rosius-Strasse 12 einen Laden, der nicht nur ein Laden ist, und eine Cafeteria, die nicht nur eine Cafeteria ist. Das Lokal nennt sich deshalb «LadenBistro». Man kann hineingehen und sich an einen der paar wenigen Tische setzen und eine kleine Mahlzeit geniessen. Oder aber auch nur einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen. Man kann aber auch hineingehen und zum Beispiel Backwaren kaufen. Oder Kerzen und Kerzenständer. Oder Kinderspielzeug. Oder handgemachten Schmuck. Oder gemalte Grusskarten.

Wofür auch immer man im «LadenBistro» ein paar Franken liegen lässt: Man tut Gutes. Die paar Frauen, die dort hinter der mit Backwaren beladenen Theke stehen, die gleichzeitig der Ladentisch ist, versuchen nämlich – bisher mit erfreulichem Erfolg –, geistig behinderten Mitmenschen eine sinnvolle und sie glücklich machende Beschäftigung zu geben. Auf zweierlei Weisen: Hier werden Produkte verkauft von Werkstätten und Firmen, in denen ebensolche Menschen mitarbeiten dürfen. Und ebensolche Mitmenschen mit einem Handicap dürfen auch im «LadenBistro» selber präsent sein und bei der Bedienung mithelfen – natürlich unter dem Beistand und der Anleitung der anwesenden Frauen des LadenBistro.

Wer profitiert? Und wer arbeitet?

Es sind etwa 35 Werkstätten, in denen Behinderte arbeiten, die gewisse Produkte an das «LadenBistro» in Biel liefern dürfen. Und es sind zwischen 15 und 20 Behinderte, die die Chance erhalten, für ein paar Stunden in der Woche im «LadenBistro» selber anwesend zu sein. Sie sind denn auch die Glücklichen, die die persönliche Betreuung und vor allem auch den Zuspruch der Kundinnen und Kunden zu spüren bekommen. Dank muss nicht einmal ausgesprochen werden. Ein Zulächeln, ein Kopfnicken, ein Handzeichen: Sie spüren, dass jene, die hier ihren Kaffee trinken kommen, ihnen zugetan sind. Es ist nicht das Privileg der Fleissigen und Gescheiten, ob der ihnen gezollten Achtung zufrieden zu sein. Gerade auch Mitmenschen, die geistig beeinträchtigt sind, sind glücklicher, wenn sie etwas tun dürfen, das anderen Freude macht.

Auf der Seite des «LadenBistro» sind es über 30 Helferinnen und Helfer, die freiwillig im Einsatz sind. Nur gerade vier Frauen der Geschäftsleitung – zwei unter dem AHV-Alter, zwei im AHV-Alter – erhalten auch ein kleines Salär: für zusammen 190 Stellenprozent. Aber neben diesen insgesamt gut 6’500 Franken gibt es für das «LadenBistro» auch andere Fixkosten: die Sozial- und Sachversicherungen, vor allem aber die Miete des Lokals. Alles zusammen gut und gerne 10’500 Franken jeden Monat.

Und wer zahlt?

Das «LadenBistro» hat keine kommerziellen Ziele. Ein Gewinn war noch nie in Sicht. Für den Gesamtbetrieb braucht es aber eine den besonderen Verhältnissen angepasste Organisation, strukturierte Abläufe und klare Anleitungen. Es sind verschiedene private Vereinigungen und Stiftungen, die gelegentlich oder sogar regelmässig einen Zuschuss geben: die Gemeinnützige Gesellschaft Biel, die Ruth und Arthur Scherbarth Stiftung Bern, der Rotary Club Biel, insieme Biel-Seeland, Frauenvereine, Kirchgemeinden, die Jeanne Huber Stiftung, Biel, die Odd Fellows oder auch die Soroptimisten Biel. Vor allem aber auch viele private Einzelspender. Die Stadt Biel umgekehrt hat, trotz Gesuchen, bisher noch nie etwas bezahlt. Und: Auch das «Betteln» – keine angenehme Arbeit – gibt Arbeit. Auch diese wird von Freiwilligen geleistet.

Jetzt droht das Aus

Weder in der Langfristplanung noch im Budget allerdings war je eine Pandemie mit einem Lockdown eingeplant. Auch das «LadenBistro» musste am 16. März geschlossen werden. Das Ostergeschäft, üblicherweise eine Zeit mit spürbar höheren Umsätzen, fiel ganz weg. Nur die Fixkosten laufen weiter. Ein Gesuch für Kurzarbeit scheint teilweise bewilligt zu werden, vermutlich für die beiden Frauen, die noch nicht im AHV-Alter sind. Ein Gesuch bei der Glückskette hingegen wurde schnell und gänzlich abgelehnt.

Was tun? Keine politische Partei, kein Wirtschaftsverband und keine Gewerkschaft setzen sich ein für das «LadenBistro» – und für all die Dutzenden anderer, ähnlicher, kleiner und stiller Organisationen, die sich für weniger glückliche Mitmenschen einsetzen. Freiwillig, mit viel Fronarbeit. Sie haben keine Lobby in Bundes-Bern. Sie fallen durch alle Maschen.

Eine traurige Geschichte. Wo doch gerade eine solche Krise zeigen sollte, dass wir mehr zusammenhalten müssen.

Gerade auch junge Leute kommen oft in das «LadenBistro». Sie verstehen, dass solche Institutionen in unserer Gesellschaft wichtig sind (Foto: Anna Katharina Maibach).

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor deutsch und englisch. Ein Onkel des Autors, genannt Berni, war ebenfalls geistig behindert, bevor er seines geschwächten Herzens wegen etwa fünfzigjährig verstarb. Der Aufwand und die notwendige Hingabe für solche Menschen mit Handicap sind dem Autor aus eigenem Erleben vertraut. – Eine der im «LadenBistro» engagierten Frauen gehört auch zu den freiwilligen Helferinnen im administrativen Bereich der Stiftung SSUI, die ihrerseits infosperber.ch betreibt.

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