CO2-Lenkungsabgabe: Warum das Wissen so gering ist
Aktuell ist der Klimaschutz in aller Munde, insbesondere das Instrument der CO2-Lenkungsabgabe. Trotzdem ist das Wissen der Bevölkerung darüber gering, wie eine gfs-Umfrage im Auftrag von swisscleantech zeigt: Zwei Drittel der Bevölkerung sind fälschlicherweise der Ansicht, in der Schweiz werde schon heute eine CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel erhoben. Tatsächlich gibt es heute nur eine CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen (Heizöl und Erdgas), die laut einer Studie eine deutliche Reduktionswirkung hatte (siehe Kasten unten).
Auch über die Verwendung der CO2-Lenkungsabgabe auf Heizöl und Erdgas herrscht Unklarheit: Nur 28 Prozent der Befragten wissen, dass zwei Drittel der Abgabe an die Bevölkerung zurückverteilt werden.
Der geringe Wissensstand der Bevölkerung über die CO2–Lenkungsabgabe hat im Wesentlichen drei Gründe:
1. Bundesverwaltung
Die Rückverteilung der CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen wird gemäss Vorschrift des Bundes über die Krankenkassen abgewickelt. Das ist grundsätzlich eine kostengünstige und effiziente Lösung. Auf der Internet-Seite des zuständigen Bundesamts für Umwelt (BAFU) steht geschrieben: «Die Versicherten erfahren die Höhe des Betrages jeweils gleichzeitig mit der Prämienmitteilung. Der Betrag wird mit der Krankenkassenprämie verrechnet.»
Konkret heisst das: Pro Kopf und Monat wird aktuell am Schluss der Krankenkassen-Police der Betrag von 6,45 Franken abgezogen, mit dem kurzen Vermerk «Verteilung des Ertrages aus Umweltabgabe (VOC und CO2) an die Bevölkerung». Darin ist zur allgemeinen Verwirrung auch noch die weit unbekanntere Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds, VOC) integriert, die zur Bildung von bodennahem Ozon (Sommersmog) beitragen. In den monatlichen beziehungsweise halbjährlichen Prämienabrechnungen findet die Lenkungsabgabe keine Erwähnung.
Wie die gfs-Umfrage zeigt, nimmt die grosse Mehrheit der Bevölkerung von diesem kleinen Betrag von 6,45 Franken keine Notiz. Das ist nicht erstaunlich. Wer nicht will, dass eine Sache bekannt wird, der muss diese möglichst mit anderen Sachen vermischen und gleichzeitig miniaturisieren, das heisst den Gesamtbetrag zerstückeln. Denn eigentlich bekommt beispielsweise eine vierköpfige Familie rund 310 Franken pro Jahr aus dem CO2– und VOC-Abgaben-Topf zurückbezahlt (6,45 Franken x 12 x 4). Die Rückzahlung aus der CO2-Lenkungsabgabe allein beträgt rund 260 Franken pro Jahr (5,40 Franken x 12 x 4; siehe dazu: CO2-Lenkungsabgabe: Zwei Drittel Rückverteilung ausgeblendet, Fussnote 1). Es bleibt schleierhaft, warum nicht dieser Gesamtbetrag kommuniziert wird, inklusive Mechanismus der CO2-Lenkungsabgabe. Ebenso schleierhaft ist die Vermischung verschiedener Abgaben.
2. Parlament
66 Prozent der Bevölkerung sind irrtümlicherweise der Ansicht, es gebe schon heute eine CO2-Lenkungsabgabe auf Benzin und Diesel. Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass im Parlament seit 25 Jahren immer wieder darüber diskutiert wird, allerdings ohne dass eine solche je eingeführt worden wäre. Andererseits wird seit 2005 eine Treibstoff-Abgabe von 1,5 Rappen pro Liter Benzin und Diesel erhoben. Von 2005 bis 2012 hiess diese Abgabe «Klima-Rappen» und seither «CO2-Kompensation». Weil aber diese Abgabe nicht an die Bevölkerung zurückverteilt wird, sondern damit ein ineffizienter Ablasshandel im In- und Ausland subventioniert wird, ist es keine Lenkungsabgabe.
Mit dem Klima-Rappen und der CO2-Kompensation hat die Erdöl-Lobby zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits hat sie erfolgreich eine wirksame CO2-Lenkungsabgabe verhindert und andererseits ist in der Bevölkerung offenbar der falsche Eindruck entstanden, es gebe eine CO2-Lenkungsabgabe auf Benzin und Diesel.
Auch in der aktuellen Beratung des CO2-Gesetzes im Parlament ist erneut von einer Benzin-Abgabe von 12 Rappen pro Liter die Rede, ohne dass klar kommuniziert wird, dass es sich dabei wiederum nicht um eine CO2-Lenkungsabgabe handelt, sondern um die Weiterführung des Klima-Rappens beziehungsweise der CO2-Kompensation, also des altbekannten Verhinderungs-Vehikels der Erdöl-Lobby.
Um das Kommunikations-Chaos komplett zu machen, hat der Ständerat parallel zur Revision des CO2-Gesetzes ein Postulat zur Abklärung einer zukünftigen CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffen an den Bundesrat überwiesen. Damit wurde die CO2-Lenkungsabgabe erneut auf die lange Bank geschoben.
Zudem zeigte sich, dass bürgerliche PolitikerInnen die Fehlinformation über Lenkungsabgaben verbreiteten, dass diese den Armen mehr weh täten als den Reichen (siehe dazu Infosperber: hier und hier).
3. Medien
Auch in den Schweizer Medien wird selten auf die politischen Hintergründe des Klima-Rappens und der CO2-Kompensation hingewiesen. Dass der Klima-Rappen das erfolgreiche Vehikel der fossilen Lobby zur Verhinderung einer CO2-Lenkungsabgabe ist, bleibt der Bevölkerung meist unbekannt. Auch aus diesem Grund gehen zwei Drittel der Bevölkerung davon aus, dass es bereits eine CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffe gibt.
Ein Beispiel, dass die CO2-Kompensation mit einer CO2-Lenkungsabgabe verwechselt wird, ist ein Bericht von 20 Minuten vom 20. September 2019. Dort konnte man lesen: «Soll Benzin und Diesel teurer werden? Neben fossilen Brennstoffen sollen neu auch Treibstoffe mit einer Lenkungsabgabe besteuert werden. Die Einnahmen sollen gleichmässig an die Bevölkerung beziehungsweise an Unternehmen zurückverteilt werden. Der Nationalrat hatte im Dezember 2018 eine solche Abgabe von acht Rappen pro Liter noch abgelehnt.» Bei dieser Abgabe von acht Rappen handelte es sich eben nicht um eine Lenkungsabgabe, sondern um die oben erwähnte CO2-Kompensation.
Einen weiteren Lapsus leisteten sich diverse Schweizer Medien. Im November 2019 schlugen sie wegen der geplanten Erhöhung der CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen (Heizöl und Erdgas) Alarm: «Milliarden Mehrkosten für Mieter und Eigner», stand beispielsweise in den Tamedia-Blättern Tagesanzeiger, Bund, Berner Zeitung und Basler Zeitung. «Steigt die CO2-Abgabe, kostet die Wohnung 485 Franken mehr», behauptete Newsnet. «Wohnung 90 m2 unsaniert: 486 Fr. Mehrkosten», malte die SRF-Sendung 10vor10 an die Wand. Und: «Wer wird von diesem Total von 1,4 Milliarden wie viel tragen müssen?», fragten besorgt die Aargauer Zeitung, die Luzerner Zeitung, das St. Galler Tagblatt und weitere CH Media-Blätter.
Alle diese Berichte hatten einen gravierenden Haken: Sie ignorierten die Tatsache, dass zwei Drittel der CO2-Lenkungsabgabe auf Brennstoffen an die Bevölkerung zurückbezahlt werden. Dabei stützten sich die erwähnten Medien kritiklos auf die Zahlen der Immobilienberatungs-Firma Iazi, welche in ihrer schriftlichen Präsentation die Zweidrittel-Rückzahlungen an die Bevölkerung ebenfalls ausblendete.
Fazit: Der geringe Wissensstand in der Bevölkerung über die CO2-Lenkungsabgabe ist die Folge einer ungenügenden Kommunikation seitens der Bundesverwaltung, aber auch der jahrzehntelangen Verwirrtaktik des eidgenössischen Parlaments sowie des geringen Wissensstandes diverser Redaktionen. Das führt dazu, dass die fossile Lobby leichtes Spiel hat, die Bevölkerung hinters Licht zu führen.
Deshalb ist der Forderung des Nationalen Forschungsprogramms NFP «Energie» zuzustimmen, dass die Wissensdefizite abgebaut werden müssen, was laut NFP «nicht nur für Bürgerinnen und Bürger» gilt, «sondern auch für Entscheider in Politik und Wirtschaft.»
CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen
ktm. Im Gegensatz zu den Treibstoffen (Benzin, Diesel) werden die Brennstoffe (Heizöl, Erdgas) seit 2008 mit einer CO2-Lenkungsabgabe belastet, was wesentlich zur Senkung der CO2-Emissionen um rund 28% seit 1990 beitrug. Der CO2-Ausstoss der Treibstoffe hingegen stieg um 3,3% an, statt gemäss den Zielen des Bundes um 10% zu sinken (Stand 2018).
Eine Studie des Beratungsbüros Ecoplan vom Juni 2017 im Auftrag des Bundesrats kam aufgrund der Erfahrungen mit der CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen zum Schluss, dass diese «eine zwei- bis dreimal so hohe CO2-Reduktionswirkung» hatte als andere Instrumente, wie etwa «das Gebäudeprogramm und die Zielvereinbarungen zusammen».
Zwei Drittel der Einnahmen dieser CO2-Lenkungsabgabe werden an die Bevölkerung zurückbezahlt. Das macht aktuell für eine vierköpfige Familie rund 260 Franken pro Jahr (Berechnung siehe unten). Ein Drittel des Ertrags der Abgabe fliesst in die energetische Sanierung von Gebäuden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).
"Diese Lenkungsabgabe wird zu zwei Dritteln via Krankenkassen an die Haushalte zurückbezahlt.» Frage: Wann und in welcher Form werden die Mitglieder der Krankenkassen informiert, was es mit der Rückvergütung auf sich hat? Wenn diese Information nicht sauber gemacht wird, haben wir wieder die gleiche Situation von Ahnungslosigkeit wie bei der Lenkungsabgabe… Überlässt man das den Kassen oder ist da nicht der Bund in der Pflicht?
Zu erwähnen bliebe, dass zwischen 2015 und 2017 Prämienkorrekturen nach KVG in jenen Kantonen vorgenommen worden sind, die in den Vorjahren von zu tiefen Prämien profitierten. Diese Beträgen wurden meines Erachtens unzulässigerweise mit der CO2-Rückerstattung verrechnet. Das fördert weder Glaubwürdigeit noch Transparenz dieses Rückerstattungs-Mechanismus.
Herzlichen Dank für diesen Bericht. Ich persönlich habe gegen den Bericht von 10 vor 10 Beschwerde eingereicht, welche aus formellen Gründen abgelehnt wurde. Das dramatische an der ganzen Geschichte ist, dass eine Direkte Demokratie an Ihre Grenzen kommt, wenn Medien gemeinsam den gleichen Unsinn verbreiten. Ich boykottiere seit langem, die erwähnten Medien. Wie können wir gemeinsam, gegen solchen Medienschaffende antreten, letzlich zum Erhalt eine funktionierenden Direkten Demokratie.
Wo geld herumliegt wird schindluder getrieben (gilt nicht nur für co2, sondern für alle spezialfinanzierungen). Oder anders gesagt: subventionen sind der ersatz des marktes durch den irrtum. Ein drittel der durch die co2 abgabe eingenommenen gelder geht in einen fördertopf. Der wird dann wieder über subventionen ausgeschüttet. Dabei bewilligen die politiker die subventionen locker, da das geld ja «vorhanden sei». Gegen rückverteilte lenkungsabgaben wäre wenig einzuwenden. Kaum sind lenkungsabgaben jedoch politisch bewilligt, werden teile davon abgezwackt und linksgrünen ideologen (wozu auch das bundesamt für energie gehört) als spielwiese zur verfügung gestellt. Diese freuen sich dann, dass sie damit den ihrer meinung nach «sowieso notwendigen gesellschaftsumbau» finanzieren können. Deshalb sind leider alle projekte für weitere abgaben politisch zu bekämpfen. Denn es gibt keinen schutz davor, dass ein als lenkungsabgabe verkauftes instrument (dem auch leute zustimmen können die für eine tiefe staatsquote sind) später in eine steuer umgewandelt wird.
Eine CO2-Lenkungsabgabe ist aus folgenden Gründen nicht zielführend:
Jede menschliche Tätigkeit ist mit Energieumsatz verbunden. Die verschiedenen Energieformen (thermisch, elektrisch, kinetisch, potentiell, nuklear etc.) lassen sich mit der heutigen Technik problemlos ineinander umwandeln. Ob die Energie in einem Flugzeug, im Internet (Stichwort: Klimakiller Internet), beim Reisen, beim Konsumieren (Erdbeeren aus Südafrika, Wein aus Argentinien, Billigkleider aus Bangladesh), im Transport (Onlinehandel, Billigprodukte aus China), mit ständig neuen Mobiltelefonen usw. umgesetzt wird, spielt für den Klimawandel keine Rolle.
Dass unser ungebremster Energieumsatz zum Kollaps führen muss, hat der Club of Rome bereits vor fünfzig Jahren vorausgesagt.
Die einzig wirksame, wirtschaftlich und gesellschaftlich verkraftbare Massnahme wäre deshalb, die Energie (Liter Brenn- oder Treibstoff, Kilowattstunde, Joule, kcal) voraussehbar jedes Jahr langsam zu erhöhen, zum Beispiel um fünf Prozent pro Jahr. Selbstverständlich müssten die Mehrkosten wie bei der CO2-Abgabe den Konsumenten zurückerstattet werden. Der Klimawandel betrifft alle, nicht nur die Anderen! Wer viel Energie braucht, würde jedes Jahr mehr für seine Umweltbelastung zahlen, wer wenig braucht, würde jedes Jahr mit höheren Rückerstattungen belohnt.
Ohne Erhöhung des Energiepreises und Abnahme des Energieumsatzes werden die Klimaziele nicht erreicht werden, der Planet wird zurückschlagen, wie es im Infosperber einmal hiess.
"Wetten, dass folgende Initiative mehrheitsfähig wäre: Erstens, Einführung einer allgemeinen, von allen zu bezahlenden Klimaabgabe von 40 Franken pro Tonne CO2, was rund 200 Franken pro Kopf und Jahr entspricht. Zweitens, Verwendung der Einnahmen zur Senkung anderer Steuern, insbesondere jener, die besonders grosse volkswirtschaftliche und soziale Kosten bringen. Drittens: Durchforstung und Abschaffung von überflüssigen Regulierungen und Subventionen.“ (Prof. R. Eichenberger, D. Stadelmann in Ökonomenstimme vom 31.1.2020)
@Ueli Feller, ich kann nicht verstehen, warum Sie die CO2-Lenkungsabgabe ablehnen. Diese bewirkt doch nämlich genau das, was Sie anschliessend beschreiben, nämlich eine Verteuerung von Benzin, Diesel, Heizöl usw. und alle Produkte, die mit diesen Energieformen hergestellt werden.
Wenn die CO2-Abgabe möglichst weit «vorne» eingezogen wird, idealerweise bei den Erdölfirmen, jedoch spätestens an der Grenze, muss man sich keine Gedanken mehr darüber machen, welche Produkte wie viel CO2 in Form von Grauer Energie enthalten.
Vielen Dank an Kurt Marti für diese Klarstellung! Er erwähnt drei Gründe, warum es betreffend CO2-Abgabe ein derartiges Durcheinander in den Köpfen gibt: Bundesverwaltung, Parlament und Medien. Und unter seinem Artikel findet man dann die Leserbriefe, wo das Durcheinander fröhlich Urständ feiert! Sorgfältig Lesen und logisch Denken ist schwieriger als man denkt. (Kurt Marti zumindest kann beides.)
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