Kommentar

Cédric Wermuth will Corona-Krise nutzen

Urs Schnell © zvg

Urs Schnell /  Die Rolle des Staates als Corona-Krisenmanager motiviert den Kandidaten für das SP-Präsidium, eine «Politikwende» vorzuschlagen.

Die öffentlichen Dienste seien vertraute Institutionen und böten deshalb gute Grundlagen, um eine radikale Wende einzuleiten. Im Vordergrund solle der Service public stehen, weil dieser «nicht der Logik der Konkurrenz und der Gewinnorientierung unterworfen» sei. Das postulieren SP-Nationalrat Cédric Wermuth, der am 17. Oktober für das Co-Parteipräsidium der SP kandidiert, zusammen mit Beat Ringger von Denknetz Schweiz in einem 200-seitigen Büchlein.

Wermuth/Ringger machen Vorschläge in elf Teilbereichen. Im Postbereich plädieren sie für eine Rückkehr zum Paketmonopol und für einen Ausbau des feinmaschigen Post-Zustellnetzes zu einer «ökologischen Online-Bestellplattform», quasi einem «grün-sozialen Amazon». Im Bereich der Telekom sollen sich alle BürgerInnen auf einem leistungsfähigen gebührenfreien Internet bewegen können und gebührenfreie mobile Kommunikation erhalten. Die Schweiz soll sich darüber hinaus als Entwicklerin einer Open-Source-Infrastruktur positionieren mit Open-Source-Standarddiensten für Vereine, NGOs und Service-Public-Unternehmen. Das Fernziel: eine Open-Access/Open-Data-Landschaft für Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Museen und Medien. Im Bereich der Energieversorgung müsse die Solarenergie massiv ausgebaut werden mit der Verpflichtung für Hausbesitzer, ihre Dächer zur Verfügung zu stellen. Im weitern sei ein Verbund-Mobilitätsregime zu errichten, auf bestehenden Pfeilern wie dem SBB-GA, dem Mobility Carsharing und dem Langsamverkehr. Der private Autoverkehr sei ebenso zurückzubinden wie der Flugverkehr. Den gemeinnützigen Wohnungsbau wollen die Autoren massiv ausbauen, die Kitas gebührenfrei machen.

Die Vorschläge sind unterschiedlich spannend, rein utopisch für die einen, zwingend diskutierbar wohl für andere. Zu realisieren wären sie, und das sind sich die Autoren bewusst, nur mit Milliarden von Franken an öffentlichen Geldern. Diese Mittel wollen sich Wermuth/Ringger holen durch eine massive Rückverteilung des Reichtums, der in den letzten Jahrzehnten «von unten nach oben und von öffentlich zu privat» erfolgte. Kurz: «Ein Grossteil dieser Geldmittel muss dringend und rasch den Weg zurück in die gesellschaftlichen Nützlichkeitszonen finden – dorthin, wo es an Geld mangelt.» Eines der Unterkapitel ist denn auch überschrieben mit «Rückverteilen, Rückverteilen, Rückverteilen».

Das Problem zur Realisierung der Service-Public-Revolution liegt nicht nur beim Geld. Zum Anpacken und Durchsetzen solcher Vorschläge braucht das Land entsprechende politische Mehrheiten. Wie sonst könnte zum Beispiel der private Bankensektor, dies ein weiterer Vorschlag der Autoren, umstrukturiert und mindestens teilweise zu einem «Service-Public-Finanzdienstleister» werden?

Wichtige Gesetzeseingriffe, auch Änderungen in der Bundesverfassung, wären nötig, um das bereits heute fragile Verhältnis von Service public zu Marktwirtschaft in Wermuth/Ringgers Richtung zu justieren. Wobei «justieren» noch ein harmloses Wort ist. Denn die «Service-Public-Revolution» zielt nicht nur auf einen kürzer- oder längerfristigen Umbau, sondern letzten Endes auf einen wirtschaftlichen Systemwandel. Wie die nötige politische Macht für einen solchen Wandel zu gewinnen ist, darüber findet sich im Büchlein kaum ein Wort. Programmatisches hat der zukünftige Co-Präsident der SP Schweiz in den letzten Monaten zwar einiges verlauten lassen, aber wenig dazu, wie er verlorene WählerInnen zurückholen und neue WählerInnen-Segmente gewinnen will. Das ist ein Grundmangel seines politischen Programms, und er wiegt schwer.
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Beat Ringger/Cédric Wermuth: «Die Service-Public-Revolution: Corona, Klima, Kapitalismus – eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit». Rotpunktverlag, Zürich 2020. In der Schweiz CHF 14.40. In Deutschland 15.00 Euro.
Aus der Verlagsankündigung: Beat Ringger und Cédric Wermuth erheben leidenschaftlich die Stimme gegen eine Politik, die sich unfähig zeigt, den inzwischen mannigfachen Krisen unserer Zeit zu begegnen: Klima, Ungleichheit, Care.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist Journalist und Filmemacher in Bern.

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6 Meinungen

  • am 2.10.2020 um 11:52 Uhr
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    "Gesellschaftliche Nützlichkeitszonen» – ein herrlicher Neusprech. George Orwell hätte es nicht besser gekonnt. Und natürlich definiert die SP, wer und was wieso in diesem Sinn nützlich ist. Will sie jetzt unter die 10%-Schwelle rutschen?

  • am 2.10.2020 um 12:14 Uhr
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    Danke für diesen Bericht. Faszinierend, ich und viele meiner politisch Interessierten haben auf diese mögliche Wende gewartet. Der Raubtierkapitalismus muss enden bevor die Restdemokratie auch noch verschwindet. Viel Leid und Elend hat die unregulierte Hochfinanz in ausgebeutete Familien gebracht. Nicht nur neureiche Hater haben dem Markt soviel Kapital durch Horten entrissen, dass die Wirtschaft geschädigt und die Demokratie von Ueberreichen politisch manipuliert wurde. Ein Beispiel: Nachdem ich über 75’000 Fr. für Zahnarztkosten ausgegeben hatte, lies ich mir mit 38 Jahren alle Zähne entfernen und eine Prothese machen. Seither habe ich pro Jahr im Schnitt nur noch Fr.- 500.- Zahnarztkosten. Bekannte aus der Arbeiterklasse lassen sich defekte Zähne ziehen oder entfernen diese selber. Wenn dann zuviele fehlen, gibts eine Prothese. Nur der restliche obere Mittelstand kann sich noch eine anständige Zahnmedizin leisten. Danke ihr Milliardäre für das Leid und Elend.

  • am 5.10.2020 um 12:03 Uhr
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    Nein.
    DIESER Sozialismus hat seine Existenzberechtigung verwirkt und vor allem ist er als Egoistisch enttarnt.

    Wer sich ein Recht einbedingt eventuell nicht zu Erkranken und
    durch seine Ideologie, die totalitäre Solidarität den Menschen auferlegt
    mit Massnahmen, Millionen von Menschen Ihrer Existenz und Einkommen beraubt, diese in unseren Breitegraden die Verschuldung und in die Sozialhilfe treibt.

    Das ist der Putsch des Sozialismus in den Demokratien zur Installation
    Ihres neuen Kommunismus, der nennt sich Staatskapitalismus.

  • am 6.10.2020 um 14:24 Uhr
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    @marchand: Nein, diesen Sozialismus wollen wir wirklich nicht, aber Ihr antikommunistisches Geschwätz auch nicht! Antikommunismus ist bloss eine Ausrede gegen Verbesserungen.

  • am 14.10.2020 um 21:24 Uhr
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    SP und «Politikwende"?
    Da fangen Hühner eher an, Milch zu geben.

    Da sei doch die Lobby vor.

    Die Sozen «schrödern». H( Hallo Gazpro!m) lieber rum.Auch wenn ich Herrn Wermut vielleicht sogar eine echte Motivation in diese Richtung zutraue.

  • am 14.10.2020 um 21:46 Uhr
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    Paul Jud

    Nein @marchand hat , für meine Begriffe, keinem Antikommunusmus das Wort geredet.
    Sehr wohl aber Tasachen beschrieben :"Wer sich ein Recht einbedingt eventuell nicht zu Erkranken und durch seine Ideologie, die totalitäre Solidarität den Menschen auferlegt mit Massnahmen, die Millionen von Menschen ihrer Existenz und Einkommen beraubt, diese in unseren Breitegraden in die Verschuldung und in die Sozialhilfe treibt……."
    .-Die heutigen «Sozialisten» tun genau das.
    Staats(monoponopolistischer)Kapitalismus ist übrigens ein marxistischer Begriff, also mitnichten «Antikommunismus ».
    Der gemeine Neoliberale oder Rechte will nur unsere Arbeitskraft und unsern Mehrwert,und dssd wirs Maul halten, ansonsten juckt ihn das Wohl und Wehe der Menschen nicht.
    Der » Sozialist » will das alles auch, verpackt es aber hinter schönen Worten. Zusätzlich möchte er aber auch noch unsere Gedanken kontrollieren.
    Bevor jetzt irgendwelche Rechten Hurra schreien:
    Meine Sozenkritik kommt aus der Bakuninschen Ecke.

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