Kommentar
Bundesrat ist hartherzig gegenüber Sans-Papiers
Die vielen Frauen und Männer, die keine gültigen Dokumente besitzen, aber seit Jahren als Familienhilfen, im Gastgewerbe, in Reinigungsfirmen, auf dem Bau oder bei Bauern arbeiten, leben in grosser Unsicherheit –während der Pandemie haben viele die Arbeit verloren –, doch dem Bundesrat ist das gleichgültig. In einem ausführlichen Bericht, den er im Auftrag des Nationalrats kurz vor Jahresende vorlegte und genehmigte, werden auch kleinste Erleichterungen, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, kategorisch abgelehnt.
Sie arbeiten dort, wo Einheimische kaum zu finden sind
In der Schweiz leben nach behördlichen Schätzungen zwischen 58’000 und 105’000 Sans-Papiers. Sie kommen vor allem aus Lateinamerika, aber auch aus Afrika, Asien und europäischen Ländern, die nicht zur EU gehören. Die meisten kamen ohne Dokument in unser Land, einige waren zwar im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung, die jedoch längst abgelaufen ist. Weniger als ein Fünftel sind abgelehnte Asylbewerber, welche die Schweiz hätten verlassen müssen. Diese Menschen verrichten jene unattraktiven Arbeiten, für die es schwierig ist, Personal zu finden, auch weil der Verdienst gering ist. Sie müssen in Kauf nehmen, dass gesetzliche Mindestlöhne oder die Höchstarbeitszeit nicht eingehalten werden, denn wenn sie sich zur Wehr setzten, würden sie als «papierlos» entdeckt und müssten die Schweiz verlassen.
Der 110 Seiten umfassende Bericht des Bundesrats behandelt zahlreiche Vorschläge von Parlamentariern und Organisationen. Die SVP und die Lega verlangten, dass sich Sans-Papiers nicht der AHV und einer Krankenkasse anschliessen dürfen. Der Bundesrat hält jedoch an der Versicherungspflicht fest: Alle in der Schweiz anwesenden Personen seien verpflichtet, ungeachtet ihres rechtlichen Status, an die Sozialversicherungen Beiträge zu leisten. Wären sie davon ausgeschlossen, würden ihre Arbeitgeber finanziell bevorzugt und müssten ihren Teil der Beiträge nicht bezahlen. Damit halte man auch schweizerische Gesetze sowie internationale Abkommen ein. Hingegen sind die Sans-Papiers von Arbeitslosenentschädigungen, Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe ausgeschlossen.
Die Pflicht Sozialbeiträge zu bezahlen, ist auch eine Massnahme, um Schwarzarbeit zu verhindern. In diesem Zusammenhang liest man im Bericht, dass primär die Nachfrage im Rahmen der Schattenwirtschaft illegale Einwanderung auslöst, und nicht umgekehrt illegale Einwanderung Schwarzarbeit hervorrufe.
Der Kanton Genf handelte
In Genf wurde die Situation der Sans-Papiers als unwürdig erachtet. Gewerkschaften und andere Vereinigungen haben ihnen geholfen, ihre Dossiers zu erstellen. Dabei wurden nur jene gut integrierten Personen berücksichtigt, die seit mindestens fünf Jahren im Kanton Genf arbeiteten und finanziell selbständig waren. Der Kanton Genf prüfte im Rahmen dieses Projektes, genannt der «Operation Papyrus», ob es sich bei den rund 3000 Dossiers um Härtefälle gemäss Ausländergesetz handle. Abgewiesene Asylsuchende wurden nicht berücksichtigt. In der Folge unterbreitete der Kanton die Gesuche um eine Aufenthaltsbewilligung dem Staatsekretariat für Migration (SEM) in Bern. Dieses hat seit 2018 insgesamt 2883 Aufenthaltsbewilligungen ausgestellt, nur wenige wurden abgelehnt; über 200 Dossiers sind zurzeit noch hängig. Es handelte sich nicht um eine Kollektivregularisierung, sondern jeder Fall wurde auch vom SEM einzeln geprüft. Es zeigte sich, dass viele Frauen, die bei Familien arbeiteten, danach einen regulären Arbeitsvertrag erhielten und bei den Sozialversicherungen angemeldet wurden, worauf die Einnahmen der AHV in Genf spürbar stiegen. Auch in den anderen Branchen zeigte sich, dass der Anteil der Personen, die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, deutlich gestiegen ist. Das Ergebnis der «Operation Papyrus» kann als gesamthaft positiv gewertet werden, heisst es im Bericht.
Nein des Bundesrats zu jeder Art Erleichterung
Die SP und die Grünen sowie die Eidgenössische Migrationskommission machten zahlreiche Vorschläge, die unsichere Situation der Sans-Papiers zu verbessern. Doch der Bundesrat zeigt keinerlei Empathie und sagte stets Nein. Er hält daran fest, dass die Kantone nur im Falle von «schwerwiegenden persönlichen Härtefällen» ein Gesuch ans SEM einreichen sollen. Aber handelt es sich nicht um «schwerwiegende persönliche Härtefälle», wenn Menschen, die arbeiten, stets in Angst leben müssen, entdeckt und heimgeschickt zu werden? Der Bundesrat besteht gleichzeitig aus rechtlichen Gründen darauf, dass sie Beiträge an die Sozialversicherungen zahlen sollen. Die Sans-Papiers werden also als «normale» Arbeitskräfte anerkannt, doch weigert sich der Bundesrat, ihnen auch einen «normalen» Aufenthaltsstatus zu gewähren. Er selbst spricht von Zielkonflikten, und er weiss auch, dass die Kantone (ausgenommen Genf, Waadt, Basel-Stadt, Zürich und Bern) die Kriterien, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, sehr unterschiedlich interpretieren. Ich würde sagen willkürlich. In der Tat: Manche Kantone schicken kaum Gesuche um Regularisierung von Sans-Papiers an die Bundesbehörden. Es besteht demnach eine unhaltbare Ungleichbehandlung je nach Kanton. Trotzdem erachtet der Bundesrat «das heutige System als angemessen». Wann wird der Druck auf die Behörden endlich wachsen und sie dazu bewegen, den Sans-Papiers ihre Würde zuzuerkennen und ihnen einen menschengerechten Status zu verleihen?
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine.
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Fairerweise müsste Beat Allenbach vermerken dass die meisten Sans-Papiers einmal Papiere hatten diese aber vernichtet haben um eine Rückführung zu verhindern und nicht alle waren an Leib und Leben bedroht.
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