Brüssel verspielt immer mehr Kredit
«Nein, das darf ich nicht», sagt die Drogistin hinter ihrer Theke. Und sie blickt plötzlich sehr misstrauisch drein. In die Petrolflasche, auf der noch eine fast neue Etikette ihres Geschäftes prangt, einfach einen halben Liter Petrol nachfüllen – das gehe nun nicht mehr: «Wegen dieser EU muss da nun ein ganzer Sermon mitsamt neuen Symbolen drauf», erklärte sie. Und während sie im Lager hinten die Flasche nachfüllt und die neue Etikette aufklebt, wettert sie noch etwas weiter über «diese EU».
Tierkadaver im Futter – statt Rüstabfälle
Sie habe schon befürchtet, da komme einer dieser «Testkäufer», meinte die Fachfrau dann. Die kontrollierten inkognito die Einhaltung der seit Dezember geltenden, neuen EU-Regeln. In Zürich hätten sie einen Drogisten schon mit 1000 Franken gebüsst. Die Busse kann der Drogistenverband nicht bestätigen. Wohl aber, dass kantonale Kontrolleure unterwegs seien «wie normale Kunden». Die zuständigen Zürcher Stellen dementieren beides.
So oder so zählt die leicht genervte Drogistin sicher nicht zu jenen 19 Prozent der Schweizer Bevölkerung, die immer noch meinen, unser Land sollte der EU beitreten. Diesen historischen Tiefstwert hat soeben die ETH ermittelt, und dabei mit minus 12% innert Jahresfrist einen veritablen Absturz festgestellt. Auf dem Land vor allem: Da schütteln Bauern und Schweinemäster ihre Köpfe darüber, dass sie ab 1. Juli jährlich 200 000 Tonnen Küchenabfälle und Speiseresten (Schweinesuppe) nicht mehr an Schweizer Schweine verfüttert dürfen.
Die Futtermittelhändler hätten das Verbot des sinnvollen Recyclings gegen eine unliebsame Konkurrenz durchgedrückt – zuerst in Brüssel und nun auch in der Schweiz. Mit dem Segen Brüssels (und der willfährigen Bundesverwaltung) wollten diese Futtermittelverkäufer nun auch wieder verarbeitete Tierkadaver in ihr kommerzielles Tierfutter mischen. Die Schweizer Bauern hingegen sollen ihren eigenen Sauen nicht einmal mehr die Rüstabfälle aus ihrer eigenen Küche in den Trog schütten dürfen. Landwirte spotten: «Auch das wird kontrolliert.»
«Bilatrine» im Kartoffelacker
Und sie nennen weitere Beispiele: Einer privat durchgesetzten EU-Norm wegen, die hierzulande «SwissGAP-Checkliste» heisst, sollten sie jetzt zu Feldarbeiten stets ein mobiles WC auf die Äcker mitführen. Tatsächlich verlangt der Punkt 9.1.6 der Liste für «die Erntearbeiter im näheren Arbeitsumfeld (max. 500m) Zugang zu Toiletten und Waschmöglichkeiten». Solches ärgert die Schweizer Bauern umso mehr, als der Nationalrat kürzlich einem Importverbot für Gemüse zugestimmt hat, das im EU-Land Spanien «unter unmenschlichen Bedingungen für die Landarbeiter» produziert wird. Schon kursiert der böse Witz, da würden die «Bilateralen» nun tatsächlich zu einer «Bilatrine».
Zunehmender EU-Überdruss derweil auch an den Universitäten. Konkret über das fragwürdige «Bologna-System», das der Schweiz ohne politische Debatte und Abstimmung kalt aufoktroyiert worden ist – und seither alle Universitäten verschult und arg nach unten nivelliert hat. «Ich bin noch ein angesehener Ingenieur HTL», sagt heute mancher ältere zu seinem jüngeren Bruder: «Du hingegen wirst nur noch ein Master of Irgendwas.»
51% der EU-Bürger gegen die EU
Mit ihrem Ansinnen in Autos künftig 12 jährige Siebtklässler an Kindersitzen festzuzurren, verspielten sich die Brüsseler Funktionäre und ihre bilateralen Nachvollzieher in Bern unter den Automobilisten viel Kredit. Und dieser Kredit schwindet allenthalben auch in der EU selber: Lediglich «49 % der Europäer» sähen die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU «positiv», berichtet der prominente Deutsche Autor Hans Magnus Enzensberger in seinem neusten Buch. Titel: «Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas». Und: «Nur noch 42% der Bürger schenken den EU-Institutionen ihr Vertrauen». Was Wunder wächst der Neid auf die EU-abstinente Schweiz in unseren Nachbarländern.
Parlament bremst Bundesrat
Und auch im Parlament des Nichtmitgliedes Schweiz greift von links bis rechts zusehends Misstrauen gegen die EU um sich: Mit klarer Mehrheit haben die Volksvertreter im Nationalrat der Landesregierung soeben verboten, mit Brüssel weiter über ein Landwirtschafts-Abkommen zu verhandeln. Ein Antrag, die Handelsliberalisierungen unter dem Titel «Cassis de Dijon» mit der EU wieder aufzuheben scheiterte im Nationalrat mit 94 zu 87 Stimmen nur knapp.
Doch am «EU-Beitrittsgesuch», das der Bundesrat am 20. Mai 1992 nach Brüssel geschickt hat, halten Parlamentarier fest: Beide Räte haben einen Rückzug des Gesuchs jetzt erneut wuchtig verworfen. Im Gesuch steht das, was inzwischen über 80 % der Schweizerinnen und Schweizer nicht mehr wollen, wörtlich so: «Die Schweizer Regierung hat die Ehre, hiermit den Beitritt der Eidgenossenschaft zur Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft zu verlangen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
War auch schon in Brüssel - schöne Altstadt!