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VSE-Direktor Michael Frank: «Man kann es der Wasserkraft nicht verargen» © srf

Blackout: «Bin nicht verantwortlich»-Kakophonie

Kurt Marti /  Die Strombranche und die Stromaufsicht reden dauernd von der Versorgungssicherheit. Doch um die Verantwortung drücken sie sich.

Das SRF-Wirtschaftsmagazin ECO hat die Kritik von Infosperber an der Strombranche aufgegriffen und diese mit den Fakten konfrontiert. Dabei kam ECO im Beitrag vom letzten Montag zum Schluss: «Stromproduzenten haben kurzfristige Profite vor Versorgungssicherheit gestellt und damit die Gefahr eines Blackouts erhöht.»

«Keine gesetzliche Verpflichtung»

Skandalös ist die Stellungnahme von Michael Frank, Direktor des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der gegenüber ECO die Verantwortung für die vorzeitige Leerung der Stauseen von sich wies und keck behauptete, man könne es der Wasserkraft «nicht verargen», dass sie «Markt-Opportunitäten» nütze, wenn einmal ein Markt funktioniere. Es gebe «keine gesetzliche Verpflichtung der Wasserkraft für die Versorgungssicherheit zu sorgen».

Überhaupt gleichen die Reaktionen der Strombranche auf die Blackout-Drohung der Swissgrid einer Kakophonie. Während der VSE kurz nach der Publikation der Hiobsbotschaft ins Blackout-Konzert einstimmte und den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und die Subventionierung der Wasserkraft verlangte, erklärte die Axpo gegenüber der Handelszeitung vom 17. Dezember 2015, die Blackout-Warnung der Swissgrid sei «nicht nachvollziehbar». Dabei sitzt Axpo-CEO Andrew Walo im Swissgrid-Verwaltungsrat und die Axpo ist Mitglied des VSE.

«Von Markt überhaupt keine Ahnung»

Ausgerechnet der VSE als Spitzenverband der Stromlobby foutiert sich mit den Aussagen seines Direktors Frank um die Versorgungssicherheit, die er der Bevölkerung stets dann unter die Nase reibt, wenn es um den Fortbetrieb der Atomkraftwerke oder den Ausbau der Wasserkraft geht.

Zur Relativierung der Behauptung von VSE-Direktor Frank blendete ECO auf die Session des Ständerats vom September 2015 zurück, als der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler erklärte: «Sie können wählen, ob die Ergänzungs- und Ausgleichsenergie auch in Zukunft von der inländischen Wasserkraft stammen soll oder aus importierter Bandenergie von ausländischen AKWs oder Kohlekraftwerken.» Mit dieser Begründung verlangte Engler jährlich 120 Millionen Franken Subventionen für die Wasserkraft und setzte sich durch.


CVP-Ständerat Stefan Engler: Wasserkraft-Subventionen für Versorgungssicherheit

Auch der Hinweis von VSE-Direktor Frank auf den funktionierenden Markt stösst auf Kritik. Der Energie-Experte Heini Glauser, ehemaliges Mitglied der Arbeitsgruppe Leitungen und Versorgungssicherheit (AG LVS) des Bundes, schüttelte im ECO über solche Behauptungen nur den Kopf: «In einem funktionierenden Markt müssten die Player doch abschätzen, wieviel sie an Reserven behalten müssen, wenn es wirklich Kältephasen gibt und die Preise explodieren, damit sie dann den Joker spielen können. Wer aber schon bei einem leicht erhöhten Preis alles verbraucht und mit leeren Händen dasteht, wenn es wirklich kalt wird, der hat doch von Markt überhaupt keine Ahnung.»


Energie-Experte Heini Glauser: «Den Joker spielen, wenn es wirklich Kältephasen gibt»

ElCom-Präsident Schmid hätte lieber keine Kritik

In die unerträgliche Kakophonie der Unverantwortlichkeit stimmte am VSE-Kongress von letzter Woche in Bern auch der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom), Carlo Schmid, ein: «Es gibt niemanden mehr, der einen Gesamtüberblick und eine Gesamtverantwortung hat.» Die Mitglieder der ElCom werden vom Bundesrat gewählt und sind laut Stromversorgungsgesetz (StromVG) für die Überwachung der Versorgungssicherheit zuständig.


ElCom-Präsident Carlo Schmid: «Schuld und Sühne» im Moment «verfrüht»

Grosse Mühe hat ElCom-Präsident Schmid auch mit der öffentlichen Kritik, insbesondere von Infosperber. Laut Schmid sind nämlich Diskussionen über «Schuld und Sühne» im Moment «verfrüht» und deshalb sei es auch «nicht sinnvoll», mit dem Finger auf einen einzigen Akteur zu zeigen, wie das in «gewissen Informationsportalen im Laufe der letzten Wochen» geschehen sei. Dazu muss festgehalten werden, dass Infosperber nicht nur die Versäumnisse der Strombranche angeprangert hat, sondern auch die passive Haltung und Verfilzung der ElCom.

Elegant aus der Verantwortung geschlichen

Schmid nahm in seiner Rede am Stromkongress nicht nur die Strombranche grosszügig in Schutz, sondern selbstverständlich auch die ElCom und den Bundesrat samt dem verantwortlichen Bundesamt für Energie (BFE). Wie VSE-Direktor Frank wies auch Schmid eine gesetzliche Verpflichtung zur Intervention im Fall der vorzeitigen Leerung der Stauseen weit von sich. Zwar könne der Bundesrat auf Empfehlung der ElCom laut Artikel 9 des StromVG bei Gefährdung der Versorgung Massnahmen ergreifen. Aber diese Massnahmen hätten einen «längeren Zeitfokus» und stünden «in der aktuellen kurzfristigen Lage nicht zur Debatte». Mit anderen Worten: Das Gesetz ist so präpariert worden, dass sich alle Akteure elegant aus der kurzfristigen Verantwortung schleichen können.

Wenigstens formulierte ElCom-Präsident Schmid in seinem Referat schlussendlich die richtigen Fragen an eine «Nachuntersuchung»*: «Sind bei der Risikoanalyse Fehler gemacht worden, hat man Risiken gar nicht gesehen, obwohl man sie hätte sehen müssen; hat man sie gesehen, aber falsch eingeschätzt, oder hat man rücksichtlos allein auf den eigenen Gewinn bezogen gehandelt?» Infosperber bleibt dran.

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* Nachtrag vom 22. Januar 2016: «Keine offizielle Untersuchung»

Infosperber wollte vom Bundesamt für Energie (BFE) wissen, ob nun die aktuellen Probleme der Strombranche (halbleere Stauseen, zu wenig Trafos) und der Aufsicht (ElCom, BFE) untersucht werden, wie dies die Erwähnung einer «Nachbearbeitung» durch ElCom-Präsident Carlo Schmid vermuten lässt.

Nein, ElCom-Präsident Schmid habe damit «keine offizielle Untersuchung» gemeint, erklärte BFE-Sprecherin Marianne Zünd gegenüber Infosperber. Vielmehr sollen «aus den aktuellen Vorkommnissen mit Blick auf den Winter 16/17 die richtigen Lehren gezogen werden». Das BFE analysiere «die Situation, die Lehren daraus sowie allfällige Konsequenzen für die Zukunft sehr genau». Da es sich um einen laufenden Prozess handle, könne das BFE «dazu derzeit keine weiteren Informationen liefern».

Mit anderen Worten: Statt einer unabhängigen, externen Untersuchung analysieren sich die Akteure unter Ausschluss der Öffentlichkeit selbst.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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6 Meinungen

  • am 21.01.2016 um 12:07 Uhr
    Permalink

    Danke für den Artikel. Für den privaten *Konsumenten* gibt es ja kein Marktmechanismus, der zu weniger Verbrauch bei kritischer Belastung führt, ausser der plumpen Differenzierung Tag- und Nachtstrom und allenfalls vorhandener zeitlichen Waschmaschinensperren. Ich denke jedoch, dass auch variable Strompreise von Menschen kaum beachtet würden. Hingegen wird es immer mehr «smarte» Geräte geben, die *von sich aus* abstellen, wenn der Strompreis hoch oder die Spannung oder die Frequenz tief sind.

    In umgekehrter Richtung gibt es das shon lange: jeder Wechselrichter einer Solaranlage stellt ab, wenn die Spannung oder die Frequenz zu hoch sind. Ersteres zeigt eine lokale Überproduktion an, letzteres (bedingt) eine Überproduktion im übergeordneten Netz. Somit können Solaranlagen helfen, die Netze zu stabilisieren. Kritiker sprechen jedoch immer vom Gegenteil.

    Fazit: mehr smarte Geräte, Solar- und Wärmekraftkopplungs-Anlagen sowie variable Strompreise bis zum Konsumenten, würden vielleicht den «Blackouts» besser entgegenwirken als die viel beschworenen Trafos, die angeblich fehlen.

  • am 21.01.2016 um 18:03 Uhr
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    Es ist gut, dass Infosperber die Hintergründe der Blackout-Drohung stets neu durchleuchtet. Spontan sind mir dabei zwei Aspekte wichtig:
    1. steckt hinter der Drohung die Atomlobby, die uns vor der politisch nötigen AKW-Abschaltung Angst machen will. Da scheint die selbe Polit-Kommunikations-Agentur die Hände im Spiel zu haben, die mit fragwürdigen Kasachstan-Vorstössen die amtierende Präsidentin des Nationalrats in Schwierigkeiten gebracht hat. Die damalige Intransparenz hat zu einem Aufschrei und zu Untersuchungen geführt. Jetzt wo es um die Atomlobby und Beznau etc. geht, bleibt alles ruhig. Der Filz soll auch hier ans Licht kommen.
    2. geht es um die Profitmaximierung mit der vorzeitigen Speicherstrom-Produktion aufkosten der Versorgungssicherheit. Ein klassisches Marktversagen. Kalifornien hat dies um die Jahrhundertwende katastrophal gezeigt und die Liberalisierung rückgängig gemacht. Die Stromversorgung ist zu komplex für die ‹unsichtbare Hand des Markts›. Hier braucht klare Vorschriften und eine politische Gesamtverantwortung. Die immer wieder geforderte Totalliberalisierung wird jedenfalls die Versorgungssicherheit nicht garantieren, sondern nur neue Möglichkeiten für Profite zulasten von uns allen bieten.

  • am 21.01.2016 um 19:59 Uhr
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    Ist in meinen Augen relativ einfach: wenn sie Subventionen wollen und mit Versorgunssicherheit argumentieren, dann kriegen sie die Subventionen unter der Bedingung, dass sie die Versorgung garantieren auf der Basis von den Produktionskosten der Wasserkraft. Man sieht dann ganz schnell, ob es ihnen wirklich um die Versorgungssicherheit geht. 🙂

  • am 21.01.2016 um 21:27 Uhr
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    Danke für diesen erhellenden Artikel. Zum Glück schauen da wache Menschen genauer hin und decken auf, wie verantwortungslos die Verantwortlichen handeln.

    Gertrud Bernoulli

  • am 22.01.2016 um 09:46 Uhr
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    Die ElCom ist verpflichtet, die Energiestrategie des Bundesrates mitzutragen. Also muss sie dafür sorgen, dass alle Stromerzeuger den beschlossenen Atomausstieg in ihr Handeln einbeziehen. Dass Beznau längere Zeit abgeschaltet bleibt, wusste man schon im Herbst. Das musste also bei Entscheiden als wichtiges Element einfliessen. Schade, dass die Mehrheit der Medien dies noch nicht gemerkt hat resp. nicht merken durfte.

  • am 28.01.2016 um 12:32 Uhr
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    Ich bin mit Kurt Marti einverstanden, dass die aktuelle Entwicklung in Sachen Stromversorgung nicht gut ist.
    Aber ist die Äusserung von Michael Frank skandalös? Skandalös ist meines Erachtens eher, wenn die Politik so dumm ist, zu meinen, die Teilnehmer eines freien Marktes kümmerten sich um die Versorgungssicherheit.
    Da liegt auch die Schwäche von Heini Glausers Argumentation: «In einem funktionierenden Markt müssten…» Ja was, wenn der Strommarkt, der in Europa im Aufbau begriffen ist, kein funktionierender ist? Oder einer, der nur bei schönem Wetter funktioniert?
    Anzeichen dafür gibt es genug. Anbieter eines freien Marktes erbringen nur Leistungen, die ihnen auch Profit bringen. Versorgungssicherheit gehört nicht dazu. Es ist für den einzelnen Anbieter auf dem Strommarkt auch gar nicht möglich, mehr Versorgungssicherheit zu bieten als seine Konkurrenten. Es gibt nur ein Stromnetz, und wenn dieses ausfällt, dann fällt es für alle aus.

    Nun ist es natürlich möglich, solche Mängel mit allerlei Zusatzregelungen auszubessern. Man bezahlt z.B. Anbieter dafür, dass sie Zusatzkapazitäten bereit halten. Bloss ist zu bedenken, dass soche Regelungen an sich marktwidrig sind. Man kann ein solches System also nicht mehr mit dem Totschlägerargument verteidigen, der Markt regle sowieso alles besser.

    "Der freie Strommarkt kommt», wird behauptet, als ob es sich dabei um eine Naturgewalt handelte. Er kommt nur, wenn wir ihn einführen. Wir müssen diskutieren, ob wir dies wirklich wollen.

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