Basis stoppt Mobilfunkkonzerne
Nichts lässt am Donnerstagmorgen im Ständerat erkennen, dass die Verdoppelung der Strahlungsobergrenzen für Mobilfunkantennen auf einen Entscheid zusteuert. Das Traktandum 16.3007 ist brav als «Modernisierung der Mobilfunknetze raschest möglich sicherstellen» etikettiert. Nur ein Journalist sitzt auf der Pressetribüne. Aber hinter dem Geschäft steht ein von der Branchen-Lobby über Jahre vorangetriebenes Seilziehen.
Die Vorgeschichte des Geschäfts verlief zunächst unaufregend: 2012 und 2014 forderte der Zürcher FDP-National- und spätere Ständerat Ruedi Noser und seine Parteifraktion den Bundesrat in einem Postulat auf, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Mobilfunknetze zu analysieren. Seinen Vorstoss kleidete er in einen Tarnanzug, der Titel lautete «Weniger Mobilfunkantennen dank Verbesserung der Rahmenbedingungen». So weit, so gewohnt. Noser geschäftet heute als Unternehmer im IT-Bereich und steht der Mobilfunkbranche nahe. Vorstösse im Interesse von befreundeten Wirtschaftsinteressen sind gang und gäbe. Dass sie als win-win-Vorschläge verkleidet werden, auch. Und dass die zuständige Bundesrätin Doris Leuthard einen in der Postulatform höflich unverbindlichen Wunsch akzeptierte, sie möge einen Bericht schreiben lassen, war ebenfalls normal.
Mehr Antennen oder stärkere Strahlung
Am 25.2.2015 präsentierte ihr Departement für Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) den Bericht. Grundaussage war, dass die Internetnutzung rasant zunehme und Netzbetreiber deshalb immer mehr Daten transportieren müssten. Um dieses Wachstum zu bewältigen. präsentierte der Bericht zwei Optionen. Option eins: Mehr Antennen. Option zwei: leistungsstärkere Antennen. Die zweite Option würde bedeuten, «dass die Strahlung um die Basisstationen zunehmen würde».
Aufgrund dieses Berichtes reichte die FDP-Fraktion des Nationalrats eine Motion ein, die von der Regierung diesmal verbindlich verlangte, die Mobilfunknetze «für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen». Die Kommission des Rates genehmigte eine überarbeitete Motion: Der Bundesrat sollte angewiesen werden, die «Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung anzupassen, damit die Grenzwerte für Mobilfunkantennen erhöht werden könnten». Dass die Kommission nach dem erfolgreichen Postulat und dem Bericht sogleich mit einer Motion nachdoppelte, war nicht mehr ganz selbstverständlich, sondern eher ein Zeichen für eine politische Inszenierung einer «hidden agenda» (eines verdeckten Plans) von Lobby-Kräften. Richtig erstaunlich war dann die prompte Erklärung von Bundesrätin Leuthard, der Bundesrat sei einverstanden mit der Motion. Die Kompetenz, die betreffende Verordnung zu erlassen und zu überarbeiten, liegt klar beim Bundesrat. Normalerweise hätte dieser erklärt, das Parlament politisiere hier ausserhalb seiner Kompetenzen und der Rat sei nicht befugt, der Regierung in diesem Bereich Weisungen zu erteilen. Aber Doris Leuthard nahm die Motion im Namen des Bundesrates erfreut entgegen.
Spiel hinter dem Vorhang
Von diesem Moment an war klar, dass hinter dem Vorhang ein politisches Spiel ablief. Denn noch 2011 tönte es aus dem Departement Leuthard anders. Nach der Veröffentlichung der Resultate eines dreijährigen Nationalfonds-Forschungsprogramms publizierte das Ministerium ein Gespräch mit dem Präsidenten der Leitungsgruppe des Forschungsprogramms. Darin las man: Das Bundesamt für Umwelt und das Bundesamt für Gesundheit hätten «die Aufgabe, die Umwelt und die Bevölkerung zu schützen, zum Beispiel durch die richtigen Grenzwerte». Und: Die vorliegenden Resultate der Forschungen «bieten keinen Anlass, die Grenzwerte zu verschärfen. Umgekehrt gibt es auch keinen Anlass, sie zu lockern.» Wichtig sei, dass «in weitere Forschungsprojekte investiert wird».
Mit ihrer Zustimmung zur Motion hatte Leuthard einen klaren Positionswechsel vollzogen. Sie hat sich offensichtlich von den Argumenten der Branche – mehr Handy-Nutzung gleich mehr Funkbedarf gleich mehr Antennenkapazität – überzeugen lassen. Wieso aber hat sie nicht einfach ihre bundesrätliche Verordnung geändert, wie es in ihrer Kompetenz läge? Zu vermuten ist Angst. Der Kurswechsel ist unpopulär, wie zahlreiche Proteste gegen die Motion im Parlament beweisen. Frau Leuthard wollte sehr wahrscheinlich die politische Verantwortung für die Wende nicht tragen. Deshalb – so die Vermutung – das Spiel mit der Motion, die die Ministerin nicht als Gehilfin einer Wirtschaftslobby, sondern als treue Ausführungskraft des in beiden Kammern dokumentierten Volkswillens erscheinen lassen sollte.
Vor der Debatte im Nationalratsplenum waren Lobbyisten der Mobilfunkbranche im bürgerlichen Ratslager eifrig am Werk. Denn von der Basis her wurde jetzt zunehmend aktiv auch gegen eine Erhöhung der Grenzwerte lobbyiert. Am 16.6.2016 hiess der Nationalrat die Motion mit 96:89 Stimmen gut.
Im Herbst empfahl auch die Kommission des Ständerates der Motion zuzustimmen. Die Branchenlobby und Bundesrätin Leuthard durften jetzt erwarten, dass der grossmehrheitlich bürgerliche (33 gegen 13 Vertreter), von Bevölkerungsprotesten weiter entfernte Ständerat den Weg für eine markante Erhöhung der Strahlungsgrenzwerte freimachen werde. Dies, obwohl Einzelpersonen, Ärzte und Organisationen von Betroffenen mittlerweile einen massiven Proteststurm gegen die geplante Senkung der Grenzwerte lanciert hatten.
High-Noon im Ständerat
In der Debatte des Ständesrats am 8.12.2016 präsentiert dann der freisinnige Nidwaldner Regierungsrat Hans Wicki als Kommissionspräsident noch wohlgemut die Standard-Argumente der die Rechtsänderung vorantreibenden Wirtschaft: Die Schweiz drohe punkto Mobilfunkverbindungen «ins Hintertreffen zu geraten». Sie dürfe «den Anschluss nicht verlieren». Die Erhöhung der Grenzwerte sei «für den Wirtschaftstandort wichtig». Sehr viele Antennen seien «voll ausgelastet». Neue Anwendungen der Telekommunikation machten neue Netzkapazitäten nötig. Diese seien für den Tourismus wichtig: Gäste seien heute anspruchsvoll. Zum Beispiel: «Ein Gast will ein Selfie von der Skipiste heute sofort posten.» Besorgten Bürgerinnen und Bürgern sagt Wicki, die Schweiz habe auch nach der Absenkung der Standards immer noch sehr tiefe Grenzwerte.
Um welche Verschlechterung es genau geht, wird in der Debatte verwedelt und stiftet Verwirrung. Wicki erklärt, die erlaubten Immissionen würden sich plus minus verdoppeln. Bundesrätin Leuthard sagt wenig später, der Bundesrat müsse «dann das Mass bestimmen», das für die Mobilfunkindustrie nötig sei. Aber die Strahlenbelastung werde «nicht wesentlich zunehmen».
Im Lauf der weiteren Debatte wird die Situation rasch völlig unübersichtlich:
Die Thurgauer CVP-Vertreterin Brigitte Häberli spricht sich klar gegen die Erhöhung aus: Man dürfe Sorgen der Bevölkerung nicht beiseiteschieben, nur weil nichts bewiesen sei. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibe von «möglicherweise oder wahrscheinlich krebserregender Strahlung». Mit Häberlis Votum stellt sich die Frage, ob die CVP mit ihren 12 Stimmen die bürgerliche Ja-Mehrheit im Rat sprengen könnte? Aber da plädiert der Luzerner Christdemokrat Konrad Graber für ein Ja: Die Schweiz liege «auch mit einer Senkung weit unter den WHO-Richtlinien». Und es gehe «auch um Investitionsschutz», und darum, «dass Randregionen nicht von der Mobilfunkkommunikation abgeschnitten werden». Umgekehrt springt der Waadtländer FDP-Vertreter Olivier Français aus dem Zug. Er stellt zwar fest, die Gesellschaft verlange immer mehr Mobilfunkleistungen, und er habe selbst bei 30 Jahren Handygebrauch keine negativen Konsequenzen erfahren. Trotzdem habe er Zweifel an der Richtigkeit einer Grenzwerterhöhung. Weil man die Folgen nicht kenne, erscheine die Massnahme als «Menschenversuch». «Ich habe Zweifel, vielleicht stimme ich Nein». Sozialdemokraten und Grüne aus der Westschweiz plädieren engagiert gegen die Erhöhung. Dann scheren zwei Deutschschweizer Sozialdemokraten vom rechten Parteiflügel, Claude Janiak (Basel-Land) und Pascal Bruderer (Aargau), ins Lager der Befürworter aus. Der parteiunabhängige Schaffhauser Thomas Minder, der in der SVP-Fraktion untergekommen ist, tritt dagegen vehement für ein Nein ein. «Keiner von uns kennt die Langzeitwirkungen. Wir wissen schlicht nichts über die Folgen.» Minder zeigt sich von den Basisreaktionen «beeindruckt». Einzelne Befürworter, so Bruderer und Janiak, kritisieren, dass die Gegner «mit teilweise unakzeptablen Anschuldigungen und Behauptungen» operierten.
20 gegen 19
Zum Schluss argumentiert Bundesrätin Leuthard eher flau. Weiss sie schon, dass sie nicht als Siegerin vom Platz gehen wird? Die Gesellschaft, sagt sie, verhalte sich «widersprüchlich». Die Datenmenge verdopple sich jedes Jahr. Auf Weihnachten «erhalten viele Kinder wieder das neueste Gerät». «Alle wollen bis in die SAC-Hütte hinauf ins Internet.» Sobald die Ministerin fertig ist, wird abgestimmt: 20 Nein, 19 Ja. Die Motion ist «erledigt», sagt der Ratspräsident. Der Sturm von der Basis her hat die feinen Lobbyisten in der Schlussrunde ausgestochen. Paffe Gesichter.
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»Unabhängiger» Experte Marc Furrer ist Lobbyist
Der Präsident der «unabhängigen Sachverständigen-Kommission für das Fernmeldewesen (ComCom)» ist Partner in einer Lobby-Firma.
Um sich im Dickicht der neuen Kommunikationstechnologien zurechtzufinden, lässt sich der Bundesrat von einer «unabhängigen Sachverständigen-Kommission für das Fernmeldewesen» (Kürzel: ComCom) beraten. Ihre Mitglieder werden vom Bundesrat gewählt. Ihr Präsident ist seit 2005 Marc Furrer, vordem Direktor des Bundesamts für Kommunikation, zuvor persönlicher Mitarbeiter des zuständigen Departementschefs Adolf Ogi. Marc Furrer ist seit Januar 2016 «Senior Partner» der auf dem gleichen Gebiet tätigen Consulting- und Lobbyorganisation Monti Stampa Furrer & Partners mit Sitz in Zürich.
Zehn Tage vor der Beratung der geplanten und am 8. Dezember im Ständerat abgelehnten Motion zur Senkung der Strahlungsgrenzwerte für Mobilfunkantennen hatte Marc Furrer als Präsident der ComCom in der «Sonntagszeitung» vehement für diese Lösung plädiert: Ohne eine solche Senkung wäre die Leistungsfähigkeit der Netze nicht mehr gewährleistet. Es wäre mit «massiven Mehrkosten» für die Endkunden zu rechnen. Am gleichen Tag vertrat Sunrise-CEO Olaf Swantee in einem Interview der «Schweiz am Sonntag» die gleiche These. Der Eindruck liegt nahe, die beiden Interviews könnten Teil einer organisierten Lobbykampagne gewesen sein.
Marc Furrer erklärt auf Anfrage, er habe sein Interview als Präsident der ComCom, nicht als Partner seiner Consulting Firma gegeben. Er sei bisher nicht für Mobilfunk-Unternehmen tätig gewesen.
Die Organisation Monti Stampa Furrer & Partners AG mit Sitz in Zürich präsentiert sich auf ihrer Homepage so: «Wir stehen mit unserer breiten Erfahrung und Seniorität und unserem umfassenden Netzwerk der Führungsspitze von Unternehmen zur Seite, stets diskret im Hintergrund, aber mit höchstem persönlichem Engagement. Wir garantieren einen raschen, flexiblem, fokussierten Einsatz.»
Partner Franco Monti ist seit Juli 2016 Präsident des Verbandes der Mobilen Kommunikationsunternehmen (Smama). Dazu liess er auf die Homepage schreiben: «Ich freue mich, in der Schweiz die Durchdringung der mobilen Kommunikation weiter aktiv voranzutreiben.»
Auf Anfrage erklärt das Departement Leuthard: «Das UVEK hat vom Interview des ComCom-Präsidenten Kenntnis genommen. Seine Äusserungen entsprechen der Stossrichtung des Bundesrats, denn der Bundesrat hat betreffend Grenzwerte der Strahlung von Mobilfunkantennen im März 2016 empfohlen, die Motion der KVF-N anzunehmen, eine Revision der NISV mit dem Ziel anzustossen, den Anlagegrenzwert für Mobilfunkanlagen anzuheben.» Über die Organisation Monti Stampa Furrer & Partner sei das UVEK im Februar 2016 informiert worden. «Seither ist sie bei den Interessenbindungen auch transparent deklariert. Erkundigungen des UVEK haben ergeben, dass Herr Furrer keine Kunden im Telekomsektor berät.»
Furrer scheidet Ende 2016 aus der ComCom aus. Sein Nachfolger ist bis heute nicht gewählt worden. Das Uvek erklärt, mit einer Wahl sei an einer der beiden letzten Bundesratssitzungen des Jahres zu rechnen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Man überlege sich mal, was wäre, wenn die Schweiz TISA schon unterschrieben hätte.
Zum Schutz der Bevölkerung vor unsinnigen Wirtschaftsbegehren ist es unabdingbar, TISA und alle anderen Zwangsverträge dahin zu stecken, wo sie hingehören – in den Abfalleimer ;).