Auch der Freisinn will keine neuen AKW mehr
»Es dürfen keine Rahmenbewilligungen zum Bau neuer Kernkraftwerke erteilt werden.» Diesen Grundsatzentscheid hatte der Nationalrat schon im Juni gefällt. Der Ständerat versüsste dieses Verbot in der Herbstsession mit dem Zusatz: «Damit wird kein Technologieverbot erlassen.» Zudem, so forderte er in einer weiteren Motion, soll der Bundesrat die Weiterführung der Nuklearforschung gewährleisten.
Neubau-Verbot und Technologie-Gebot stellen keinen Widerspruch dar. Denn die bestehenden Schweizer Atomkraftwerke (AKW) dürfen unbefristet weiter laufen, sofern ihre Sicherheit gemäss Aufsichtsbehörde Ensi gewährleistet ist. Dieser Weiterbetrieb, aber auch der spätere Abbruch der alten Atomanlagen und die Entsorgung des Atommülls stellen noch jahrzehntelang hohe nukleartechnologische Anforderungen.
Minderheit der AKW-Befürworter ist geschrumpft
In der Differeinzbereinigung folgte der Nationalrat gestern Dienstag dem ergänzten Beschluss des Ständerats. Bemerkenswert ist dabei der Wandel des Stimmenverhältnisses: Im Juni stimmten 101 Mitglieder des Nationalrats für und 54 gegen ein Verbot von neuen Atomkraftwerken; dies bei 36 Stimmenthaltungen. Gestern unterstützte der Nationalrat die vom Ständerat ergänzte Anti-Atom-Motion mit 125 gegen 58 Stimmen bei nur noch zwei Enthaltungen.
Für diesen Wandel gibt es zwei Gründe: Die Fraktionen von Grünliberalen, BDP und SP, die neue AKW geschlossen ablehnen, legten bei den Nationalratswahlen zu, während die AKW-freundliche SVP-Fraktion schrumpfte. Zweitens bekannten die Mitglieder der FDP-Fraktion, die sich im Juni der Stimme enthielten, jetzt Farbe: Resultat: 13 Freisinnige stimmten für, 10 gegen ein Verbot von neuen AKW; nur der Zürcher Filippo Leutenegger und die Bernerin Christa Markwalder (BE) übten weiterhin Stimmenthaltung.
Mit den jetzt bereinigten Atom-Beschlüssen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn das Parlament erteilt dem Bundesrat nur den Auftrag, eine entsprechende Änderung des Kernenergie-Gesetzes (KEG) zu beantragen. Über diese KEG-Revision wird in ein bis zwei Jahren erneut das Parlament und – falls das fakultative Referendum ergriffen wird – das Volk entscheiden.
Viel Spielraum für neue Energiepolitik
Um den langfristig wegfallenden Atomstrom einzusparen oder zu ersetzen, verlangen National- und Ständerat vom Bundesrat zusätzlich eine umfassende neue Energiestrategie. Die Vorlage dazu, so kündigte Doris Leuthard letzte Woche an, will ihr Departement im Frühjahr dem Bundesrat vorlegen und im Sommer 2012 in die Vernehmlassung schicken.
Den Inhalt dieser neuen Energiepolitik versuchten Parlamentsmitglieder mit griffigen Motionen zu beeinflussen. Doch schon im Juni lehnte der Nationalrat einen Teil dieser Vorstösse ab, darunter eine Laufzeit-Begrenzung der bestehenden AKW. Weitere Motionen wandelte der Ständerat im September zu Prüfungsanträgen um und räumte damit der Regierung mehr Spielraum bei der Gestaltung der neuen Energiepolitik ein.
Kein Abbau beim Verbandsbeschwerderecht
Der Nationalrat folgte gestern dieser Linie, unter anderem mit folgenden Beschlüssen:
o Er stimmte einer Änderung des Energiegesetzes zu. Damit erhält der Bundesrat die Kompetenz, den Stromverbrauch von Geräten und Anlagen zu begrenzen; dies ohne vorherigen Umweg über freiwillige Vereinbarungen. Die verbindlichere Motion von FDP-Nationalrat Ruedi Noser hingegen, die ab 2012 für alle Geräte verbindliche Verbrauchsnormen nach dem Stand der besten Technik verlangte, fiel ins Wasser.
o Die Bewilligungsverfahren für Kraftwerke, die erneuerbare Energien nutzen, sollen gestrafft und beschleunigt werden. Beide Räte verzichten jetzt aber darauf, das Verbandsbeschwerderecht für Energieanlagen abzuschaffen, wie das der Nationalrat anfänglich forderte.
Eine Motion des Ständerats hingegen, die eine vollständige Umwandlung der CO2-Lenkungsabgabe auf Brennstoffen (mit 600 Franken Jahresertrag) in eine Förderabgabe verlangte, hat der Nationalrat begraben. Es bleibt damit bei der Teil-Zweckbindung dieser Abgabe: Ein Drittel wird zur Subventionierung von Gebäudesanierungen abgezweigt, zwei Drittel werden weiterhin pro Kopf und Arbeitsplatz an Wirtschaft und Bevölkerung zurück erstattet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine