RudiDutschke

Rudi Dutschke im Fernsehinterview mit Günter Gaus im Dezember 1967 © ARD

Attentat auf Dutschke: Spaltung mit Gewalt

Robert Ruoff /  Medien, Gewalt, Gesellschaft (4): Die staatlich ferngesteuerte Gewalt zerstückelt eine Emanzipationsbewegung

Am Gründonnerstag vor 45 Jahren, am 11. April 1968, schoss der Hilfsarbeiter Josef Bachmann den Wortführer der deutschen Studentenbewegung, Rudi Dutschke, zweimal in den Kopf und einmal in die Schulter. Dutschke überlebte, kämpfte aber jahrelang mit Sprachschwierigkeiten.

Journalismus als Hetze

Am Abend des gleichen Tages zog eine Demonstration der Studentenbewegung und der Ausserparlamentarischen Opposition (APO) vor das Hochhaus des Axel-Springer-Verlags, wo unter anderem «Bild» Berlin gedruckt wurde. «Bild» hatte gegen den «SDS-Ideologen Dutschke», eine «verlauste und verdreckte Kreatur», lange Zeit Propaganda gemacht und noch Tage zuvor dazu aufgerufen, die «Rädelsführer» der Studentenbewegung» zu ergreifen. «Man darf nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.» Und die «Berliner Morgenpost», ebenfalls aus dem Springer-Verlag, hatte gerufen: «Störenfriede ausmerzen.»

Die Studentenbewegung war lange schon das Objekt der manipulierenden Berichterstattung aus dem Axel-Springer-Verlag gewesen. Im Kalten Krieg zwischen dem «freien Westen» unter Führung der USA auf der einen und der sozialistischen Sowjetunion, ihren Satelliten und dem Bündnispartner China auf der anderen Seite gab es keinen Spielraum zwischen Gut und Böse. Das Lagerdenken herrschte. Die rebellierende Studentenbewegung und die Ausserparlamentarische Opposition APO mit ihrem Protest gegen die Übermacht der grossen Koalition, die drohende Einschränkung der Demokratie durch Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg zählte automatisch zum Lager des Feindes. Gegen diesen Feind war jedes Mittel recht, wie sich herausstellen sollte: das Schüren von Gewalt durch «Sicherheitsbehörden» wie der Verrat an den eigenen Grundsätzen der offenen, freien und wahrheitsgemässen Berichterstattung.

Polizeiarbeit als Unterstützung von Gewalt

Schon im Jahr davor, am 2. Juni 1967 beim Besuch des persischen Schah in Berlin, hatte die Berliner Staatsgewalt mit einem brutalen Gewalteinsatz die Emotionen zum Glühen gebracht. Jetzt, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, den charismatischen Sprecher der Bewegung, explodierte bei der Anti-Springer-Demonstration die Gewalt auf der Seite der Ausserparlamentarischen Opposition APO. Die Demonstranten drangen kurz ein in das Haus des grössten Zeitungsverlags des deutschen Westens und wichen dann schnell zurück vor bedrohlich bewaffneten Druckereiarbeitern. Sie versuchten, mit einer Autobarrikade die Auslieferung von «Bild», «B.Z.» (Berliner Zeitung) und «Morgenpost» zu verhindern, und setzten schliesslich mit Molotow-Cocktails einige Autos in Brand.

Beschafft hatte diese Brandsätze der Rohrleger Peter Urbach, der sich als Handwerker in linken Wohngemeinschaften wie der Kommune 1 nützlich machte und immer wieder mit Molotow-Cocktails, Sprengsätzen, Brandbomben und Schusswaffen zur Hand war.

Axel Springers deutsche Tageszeitung «Die Welt» – deren Mitarbeiter bis heute gerne auch für die Schweizer «Weltwoche» schreiben – berichtete 40 Jahre danach in einem Jubiläumsartikel weitgehend korrekt über diese Ereignisse.

Jedenfalls stimmt der «Welt»-Bericht weitgehend überein mit der Darstellung von Bernd Rabehl, der 1968 zusammen mit Dutschke ein prominenter Sprecher des Studentenprotestes war. «Die Welt» unterscheidet sich nur in kleinen aber entscheidenden Details: Sie erwähnt nicht, dass Peter Urbach, der so freigebig Molotow-Cocktails an Demonstranten verteilte, sich 1971 in einem Terroristen-Prozess als V-Mann und Agent Provocateur des Verfassungsschutzes erwies. Bernd Rabehl sagt das in aller Klarheit.

Und die «Welt» spricht anonym von «gewaltbereiten Demonstranten», die die «Mollies» warfen. Rabehl gibt ihnen die Namen. Zu den «verzweifelten Kämpfern» (Rabehl) gehörten unter anderen Georg von Rauch, ein politisch interessierter Philosophiestudent, der sich im Protest gegen den Vietnamkrieg zunehmend radikalisierte und sich schliesslich der Stadtguerilla-«Bewegung 2. Juni» anschloss. Und Andreas Baader, ein abenteuerlustiger Raufbold mit einer bereits ansehnlichen Karriere als Outlaw, der später zum Mitgründer der «Roten Armee Fraktion RAF» wurde.

Manipulation durch Auslassung

Auslassung war schon immer ein beliebtes Mittel der Manipulation. In diesem Fall wollte und will die Springer-Presse offenbar nicht zeigen, dass das politische Establishment der Bundesrepublik und Berlins bis hinein in die rechte Sozialdemokratie Beweise für den gewalttätigen Charakter der Protestbewegung suchte und notfalls produzierte (vom damaligen SPD-Innensenator Kurt Neubauer ist das bekannt). Und sie wollte auch nicht klarstellen, dass die «gewaltbereiten Demonstranten» zu jener extrem kleinen Gruppe gehörten, die sich von der bewunderten lateinamerikanischen Stadtguerilla, den Tupamaros, inspirieren liess und «handeln» wollte, weil «reden» ihnen nicht (mehr) genügte.

Ohne diese Unterscheidung war es leichter, die gesamte emanzipatorische Bewegung in die Nähe der Gewalt zu rücken.

Aufstand oder Veränderung

Der Gründonnerstag 1968 war sicher einer der wichtigen Tage für die Entscheidung zwischen «Aufstand und Veränderung» (Rabehl). Die Scheidelinie hatte sich in der Gewaltdiskussion der Protestbewegung seit der Erschiessung des Studenten Benno Ohnesorg durch den Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 immer schärfer abgezeichnet. Und die Staatsmacht spielte bei der Förderung der Gewalt und damit der Spaltung der Bewegung ebenso wie die Springer-Presse ihre eigentümliche Rolle.

Das Attentat hatte (unter anderen) zwei wichtige Ergebnisse: Es trug erstens endgültig die Gewalt in die Ausserparlamentarische Opposition und nahm ihr damit die politische Perspektive. Es brachte damit auch gleich das Projekt zum Scheitern, «die APO als Bewegungspartei…so einzurichten, dass sie teilnehmen konnte an den Universitäts- und Bildungsreformen, an der Kommunalpolitik und an Bundestagswahlen» (Rabehl). Damit war die Gefahr beseitigt, dass die APO sich zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft im System der Bundesrepublik Deutschland wurde.

Und das Attentat nahm zweitens der Bewegung eine politische Figur, die zu diesem Zeitpunkt «nicht ersetzbar» war. Dutschke hatte als Bezugsgrössen einen (protestantischen Theologen) Karl Barth ebenso wie einen Karl Marx, seine politische Philosophie war gleichzeitig gegen die «autoritäre Tradition» von «Kommunismus» wie «Faschismus» gerichtet, und Kernbegriffe wie «Demokratie, Selbstbewusstsein, Eigensinn, Würde» prägten seine Rede. Er konnte, wie Rabehl unterstreicht, «Meinungen bündeln und Fraktionen unterlaufen.» Und er fand, im Unterschied zur Frontstadt Berlin, bei der westdeutschen liberalen Presse wie «Spiegel», «Zeit», «Stern» offene Aufnahme. «Dort erschienen interessante Portraits…, die auf seinen Geist, seinen ‚Bewegungssinn’, den sportlichen Körper und auf die aufrechte Gesinnung hinwiesen.» (Rabehl)

Kurz: Rudi Dutschke verkörperte ein ganz aussergewöhnliches politisches Potential, das nun ausgeschaltet war.

Staatlich unterstützte, manipulierte Gewalt

Josef Bachmann, Dutschkes Attentäter, kam aus der DDR, aus einem Milieu der Jugendkriminalität, er hatte Verbindungen zu einer neonazistischen Gruppe, «in der Agenten der DDR wirkten» (Rabehl), und er wurde von der einen oder anderen Seite angeregt, das Attentat auf Dutschke zu begehen. Dutschke selber vermutete später den sowjetischen KGB hinter dem Attentat, weil er selber – zwanzig Jahre vor dem Vollzug der Geschichte – vom Zerfall Osteuropas ausging. Er hatte Beziehungen zu polnischen und tschechoslowakischen Linksintellektuellen und begrüsste 1968 den Prager Frühling.

Josef Bachmanns Motiv für Dutschkes Ausschaltung bleibt aber bis heute ungeklärt. Klar ist hingegen die Rolle von Peter Urbach, des V-Mannes des Berliner Verfassungsschutzes und Agent Provocateurs. Urbach verteilte nicht nur die Molotow-Cocktails an die «gewaltbereiten Demonstranten» vor dem Springer-Verlag. Er versorgte auch die «Tupamaros West-Berlin» mit einer Brandbombe für das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin, die 1969 bei der Erinnerungsfeier an die Reichskristallnacht hochgehen sollte, jedoch nicht explodierte. – Berlins damaliger Innensenator Kurt Neubauer (SPD) hat Urbachs Aktivitäten später in einem Interview mit dem «Spiegel» grundsätzlich bestätigt.

So viel im Übrigen unklar bleibt, klar ist das Folgende: Wer sich im politischen Kampf auf Gewalt einlässt, muss wissen, dass die Gewalt und die skrupellosen Spiele der Gegenseite nicht zu kontrollieren sind. Mehr noch: Die (verdeckt arbeitenden) Kräfte des Machtapparats sind fähig, die Gewalt zu ihren Gunsten zu nutzen – auch und gerade die sogenannte «revolutionäre» Gewalt -, um die oppositionelle Bewegung zu stören, zu zerstören oder zumindest zu spalten.

Die Spaltung der Ausserparlamentarischen Opposition

Zu Ostern 1968 war die Gewalt endgültig eingedrungen in die Studenten- und Protestbewegung. Kleinere Teile dieser Bewegung wandten sich selber der Gewalt zu. Andere formierten sich in kleine, ideologisch aufgeladenen, einander bekämpfenden marxistisch-leninistischen oder stalinistischen oder maoistischen Kaderorganisationen.

Die Osterunruhen von 1968 waren auch der Anfang vom Ende der emanzipatorischen und systemkritisch politisierenden Studentenbewegung. Jene Teile des Staatsapparats, die jede Kritik als fundamentalen Angriff auf das etablierte System der Bundesrepublik und auf den «freien Westen» verstanden, hatten ein wichtiges Ziel erreicht.

Die Mehrheit der emanzipatorischen Protestbewegung wandte sich ab von den gewaltbereiten Aktivisten und den dogmatischen, ideologisch aufgeladenen Kleingruppen. Sie wollte nicht den Aufstand, sie wollte Veränderung.

Erfolg gewaltfreier Bewegungen

Und so ging es weiter:
Da waren die Gruppe der Frauen, die dem Berliner Senat das Haus für geschlagene Frauen in Deutschland abtrotzten. Es war das erste Frauenhaus in Deutschland, und viele andere folgten. Wie die Frauenbewegung überhaupt, die mit Alices Schwarzers «Emma» Öffentlichkeit herstellte, mit vollem unternehmerischem Risiko. Eine Bewegung, die für finanzielle Unabhängigkeit der Frauen kämpfte, für das Recht auf Abtreibung oder auf weibliche Homosexualität, und die bis heute für Gleichberechtigung und Emanzipation unterwegs ist, mit allen Widersprüchen.

Da waren die Gruppen, die sich bei Gorleben an den Bäumen und den Gleisen anketteten (und das gegen die Castor-Transporte bis heute tun), im Kampf gegen das Atommüllager und für den Schutz der Umwelt, und die von der Polizei abgeschleppt und von Gerichten mit Strafurteilen überzogen wurden. Heute sind das die Grünen, die mit ihren Themen deutsche Politik mitbestimmen.

Da waren die Bürgerinitiativen, die sich vor amerikanischen im Sitzstreik niedergelassen haben, im Protest gegen die Stationierung und Aufrüstung mit Nuklear-Raketen in Deutschland, West- (und Ost-)Europa. Sie wuchsen zu einer gewaltigen Friedensbewegung, die 1981) in der damaligen Hauptstadt Bonn mit 300’000 Menschen friedlich demonstrierten und ein Jahr später, beim Besuch von US-Präsident Ronald Reagan mit 400’000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Und wieder ein Jahr später waren es zwischen Hamburg und Ulm 1,3 Millionen Menschen. – 1987 vereinbarten die USA und die Sowjetunion die Vernichtung aller Kurz- und Mittelstreckenraketen (zwischen 500-5500 km Reichweite). Bundeskanzler Helmut Kohl verfügte unabhängig von diesem Vertrag den Einbezug der 72 Pershing-Raketen der deutschen Bundeswehr in diesen Abrüstungsprozess.

Das Recht auf Widerstand

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil von 1995 das Recht auf Widerstand gegen Atomwaffenlager – etwa durch Sitzblockaden – grundsätzlich zugelassen und damit Tausende gegenteiliger Urteile untergeordneter Instanzen aufgehoben.

Die Frauenbewegung, die Umweltbewegung, die Friedensbewegung hatten allesamt ihre Wurzeln (nicht nur, aber) auch in der sogenannten Studentenbewegung, die mit gewaltfreien Mitteln an der Universität neue Inhalte und neue Organisationsformen durchsetzte, und die sich zunehmend auch politisch engagierte, für soziale Gerechtigkeit, für den Frieden, gegen den Krieg. Und die sich dabei auch von internationalen Bewegungen anregen liesse und sich mit ihnen vernetzte.

Diese Bewegungen sind zum grösseren Teil oder fast ganz später in der Partei «Die Grünen» aufgegangen. Später stiess dann noch ein wichtiger Teil der DDR-Bürgerbewegung dazu, die ebenfalls gewaltfrei ganz wesentlich zum Sturz der real-sozialistischen Diktatur in Ostdeutschland beigetragen hatte. So entstand «Bündnis 90/Die Grünen».

Nachtrag: Rudi Dutschke – das Ende

Rudi Dutschke überlebte das Attentat vom Gründonnerstag 1968. Mit seiner aussergewöhnlichen Energie erwarb er wieder die Fähigkeit zu reden. Er machte eine Doktorarbeit und trat wieder in der politischen Öffentlichkeit auf. Ab 1972 nahm er Verbindung auf mit DDR-Oppositionellen wie Wolf Biermann, Robert Havemann und Rudolf Bahro, für den er nach seiner Verurteilung den Bahro-Solidaritätskongress in West-Berlin organisierte und leitete (1978). Er engagierte sich für Solschenizyn, für Menschenrechte in der Sowjetunion und gegen Berufsverbote in der BRD.

Ab 1976 engagierte er sich gegen Atomkraftwerke und 1979 im Wahlkampf für die Bremer Grüne Liste. Dort wurde er zum Delegierten für den Gründungskongress der deutschen Partei «Die Grünen» gewählt, der für Januar 1980 vorgesehen war.

Am 24. Dezember 1979 ertrank Rudi Dutschke bei einem epileptischen Anfall im Bad. Es war eine Spätfolge des Attentats von 1968.

Nachtrag 2: In Berlin gibt es jetzt an der Freien Universität einen Rudi-Dutschke-Weg und eine Rudi-Dutschke-Strasse gleich neben dem Hochhaus des Axel-Springer-Verlags.

(Fortsetzung folgt: Mit Schlagstöcken und Schlagzeilen)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat die Studentenbewegung und APO in Berlin von 1968 bis 1981 mitgelebt.

Zum Infosperber-Dossier:

Gewalt_linksfraktion

Gewalt

«Nur wer die Gewalt bei sich versteht, kann sie bei andern bekämpfen.» Jean-Martin Büttner

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