Anleger müssen sich gegen Banken wehren können
Der Krach an den Finanzmärkten 2008 hat viele Kleinanleger hart getroffen. Das gilt insbesondere für Kundinnen und Kunden, die auf Empfehlung ihrer Berater Produkte der US-Investmentbank Lehman Brothers gekauft hatten. Anleger verloren viel Geld, selbst wenn sie Produkte mit «Kapitalschutz» gekauft hatten. Für die geschädigten Kunden war es oft schwierig bis unmöglich, ihre Hausbank dazu zu bringen, zumindest einen Teil des Verlustes zu übernehmen. Selbst Banken-Ombudsmann Hanspeter Häni stiess mit seinen Empfehlungen für eine gütliche Einigung bei vielen Banken auf taube Ohren.
Wenn der Ombudsmann nicht weiterhelfen kann, bleibt Kunden nur der Weg übers Gericht. Doch Gerichtsverfahren sind teuer und riskant. Die Geschädigten müssen beweisen, dass sie schlecht beraten worden sind. Das ist meist ein aussichtsloses Unterfangen. Und sie müssen die Anwalts- und Gerichtskosten aufbringen. Weil Aufwand und Risiko zu gross sind, verzichten die meisten Kunden auf eine Klage. Dies führt zu einem Machtungleichgewicht zwischen den Kunden und der Bank.
Neues Verfahren soll Mängel beheben
Die Juristin Franca Contratto, Assistenzprofessorin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Zürich und Mitglied des neuen Universitären Forschungsschwerpunkts Finanzmarktregulierung, möchte das ändern. Sie hat ein Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten im Finanzsektor entwickelt, das die Mängel des heutigen Systems beheben soll. Die Juristin nennt es «Swiss Finance Dispute Resolution» (Swiss FDR).
Swiss FDR besteht aus einem dreistufigen Verfahren: Zunächst sind die Kunden verpflichtet, eine Einigung im Rahmen eines bankinternen Beschwerdeverfahrens zu suchen. Wenn dies zu keinem befriedigenden Ergebnis führt, kann eine unabhängige Stelle angerufen werden, die Vergleichsgespräche mit den beiden Parteien durchführt. Lässt sich auch hier keine einvernehmliche Lösung finden, wird das Schlichtungsverfahren abgeschlossen mit dem Hinweis auf eine Weiterzugsmöglichkeit an das Disputes Committee.
Dieses Gremium ist befugt, in Konflikten einen bindenden Entscheid zu fällen, wie eine richterliche Behörde. Dabei ist es an geltendes Recht gebunden und könnte – anders, als das herkömmliche Ombudsstellen heute oft tun – nicht einfach nach freiem Ermessen entscheiden. Und: Die Entscheide des Disputes Committee müssten begründet und veröffentlicht werden. Vorgesehen sind zudem angemessene Rechtsschutzmechanismen und Weiterzugsmöglichkeiten an ein Gericht. Ihr Modell bezeichnet Contratto als «Multi-Door Courthouse», also ein Finanzmarktgericht mit verschiedenen Zugängen.
Mehr Transparenz und Professionialität
Contrattos Vorschläge würden die Position der Kunden gegenüber der strukturellen Übermacht der Banken stärken. Es wäre für sie einfacher und kostengünstiger, gegen eine Bank zu klagen. Die Verfahren würden beschleunigt und die Kunden hätten Zugang zu einer kostengünstigen Beurteilung durch eine unabhängige Stelle.
Swiss FDR würde aber auch für eine einheitliche Rechtsprechung in Finanzmarktstreitigkeiten sorgen. Das ist ein weiteres zentrales Anliegen der Juristin, die sich vom neuen Schlichtungsverfahren mehr Transparenz und Professionalität erhofft. Denn die meisten Streitfälle werden heute von den Bezirksgerichten entschieden. Hier fehle es jedoch oft am fachspezifischen Wissen, sagt Contratto. Und: Nur sehr selten wird ein Fall bis ans Bundesgericht weitergezogen. Dadurch entsteht eine grosse Rechtsunsicherheit, weil es kein höchstrichterliches Urteil gibt, an dem sich die untergeordneten Gerichte, aber auch die Kläger und Beklagten orientieren können.
Ombudsstelle soll mehr Kompetenzen erhalten
Der Bund will die Position der Bankkunden ebenfalls stärken. Derzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe des Eidgenössischen Finanzdepartements mit der Ausarbeitung des Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) und schlägt unter anderem eine Umkehr der Beweislast vor. Das würde bedeuten, dass künftig die Banken beweisen müssten, dass sie ihre Kunden sorgfältig beraten haben.
Vorgesehen ist auch ein neues Streitbeilegungsmodell mit einer Ombudsstelle, die über massiv mehr Kompetenzen verfügen würde, als dies heute der Fall ist. Empfehlungen der Ombudsstelle würden sich unter anderem direkt auf die Verteilung der Kosten für ein Verfahren auswirken. Eine andere Variante sieht vor, dass die Ombudsstelle die Kompetenz hat, Fälle bis zu einem Streitwert von 100’000 Franken für beide Parteien bindend zu entscheiden. «Eine entscheidungsbefugte Ombudsstelle wäre mit Blick auf Wirksamkeit und Effizienz des Verfahrens sehr sinnvoll», kommentiert Contratto, die das Projekt der Arbeitsgruppe als externe Expertin begleitet. Allerdings müsse diese Behörde gerichtsähnlich ausgestaltet werden. Das heisst: Die richterliche Unabhängigkeit muss gewahrt sein. Und: Es muss die Möglichkeit bestehen, den Fall an eine zweite Instanz weiter zu ziehen.
Banken wollen nach eigenen Regeln schlichten
Die Schweizer Banken arbeiten an eigenen Regeln für Schiedsgerichtsverfahren. Contratto sieht das kritisch, denn Schiedsgerichte sind stets Entscheidungsgremien privater Natur, bei denen eine Geheimhaltungsvereinbarung der Parteien zum Standard gehört. Das von den Banken vorgeschlagene Schiedsverfahren würde deshalb «kaum für mehr Transparenz und Rechtssicherheit sorgen», bemängelt die Juristin.
Ganz grundsätzlich stellt sich für Contratto die Frage, ob man nicht den Bock zum Gärtner macht, wenn man den Banken, die sich in der Vergangenheit kaum für einen ausreichenden Rechtsschutz ihrer Kunden eingesetzt haben, nun im Bereich der Streitbeilegung die Gelegenheit zur Selbstregulierung einräumt. Zudem besteht die Gefahr, dass ein Schlichtungssystem ohne staatliche Steuerung wieder an denselben Defiziten leiden wird, die man bereits aus den herkömmlichen Modellen, wie etwa dem Banken-Ombudsmann, kennt.
Starke Finanzmarktlobby
Selbst wenn die Selbstregulierungsstrategie der Banken scheitern sollte, ist der Weg bis zur Verwirklichung eines griffigeren Rechtsschutzes für Bankkunden weit und steinig. Die Verabschiedung des neuen Finanzdienstleistungsgesetzes ist für das Jahr 2018 geplant, doch zuvor wird der Gesetzesentwurf im Parlament diskutiert. «Dort wurden Bestimmungen zum Anlegerschutz in der Vergangenheit oft zerpflückt», sagt Contratto. Die Finanzmarktlobby ist stark, und sie wird im Parlament ihren Einfluss geltend machen. Trotzdem sieht Contratto nicht vollkommen schwarz: «Die Finanzkrise hat vieles in Bewegung gebracht und der politische Wille zur Behebung struktureller Probleme auf dem Finanzmarkt ist heute durchaus vorhanden.» Den Kunden dürfte das recht sein, weil sie dadurch etwas längere Spiesse erhalten, die ihnen helfen können, zu ihrem Recht zu kommen – zumindest, wenn die Vorschläge von Franca Contratto in die Tat umgesetzt werden.
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Dieser Beitrag erschien im Magazin 2/13 der Universität Zürich
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Der Versuch einer Vereinfachung und Beschleunigung ist lobenswert. Denn all zu oft wird der Gang zum Richter aus Angst gescheut. Das wissen die Profis, und nutzen es schamlos aus. Aus dem Rechtsstaat wird dann ein Unrechtsstaat.
In unserer Gesellschaft gibt es übrigens auch noch andere Bereiche, wo einfache und schnelle Verfahren eine Verbesserung bewirken könnten. Zum Beispiel kennt der Bausektor ebenfalls kein vereinfachtes Verfahren. Die beigezogenen Anwälte arbeiten deshalb mit Vorliebe auf einen Vergleich hin. Das kann im Einzelfall sinnvoll sein, langfristig wird diese Lösung für die Konsumenten zum Problem. Denn Vergleiche sind in der Regel nie öffentlich. Ob eine Beanstandung berechtigt ist, oder innerhalb einer Norm liegt, wird somit vom Richter nicht geprüft und der Pfusch hat deshalb für den Unternehmer meist auch keine Konsequenzen. Erst recht, wenn er in der «Norm» liegt. Diese Norm ist dann meist die Grundlage des Vergleichs.
Und da die Norm in der Regel von den Branchenverbänden erstellt wurde, ist der Schutz garantiert. Zumindest für die Produzenten.