24/7 Stunden offen – Nacht-Besuch im Carrefour
Carrefour, der französische Einzelhandels-Konzern, ist die Nr. 2 in Europa und die Nr. 3 weltweit. Er ist in 35 Ländern präsent und macht mit rund 500’000 Mitarbeitenden in rund 10’000 Läden einen Jahresumsatz von rund 100 Milliarden Euros. Ein absoluter Gigant!
Zur Strategie von Carrefour gehört, sich nur in Ländern zu engagieren, in denen er die Chance hat, mindestens die Nr. 2 im Markt zu sein. Da er diese Chance in der Schweiz neben Migros und Coop nicht hatte, zog er sich aus der Schweiz im Jahr 2007 zurück und verkaufte seine zwölf Supermärkte und zwei schon weitgediehene Projekte für 470 Millionen Franken an Coop.
Anders lief es in Italien. Da hatte auch die Einzelhandelsgruppe BILLA bereits rund 150 Verkaufsstellen. Das war wiederum für BILLA zu wenig, also beschloss man 2014, aus Italien auszusteigen – und verkaufte, was immer Carrefour haben wollte, an Carrefour.
Wie dominant Carrefour in Italien mittlerweile ist, sieht man heute schon wenige Kilometer südlich der Grenze Schweiz/Italien: zum Beispiel in Luino, einer Kleinstadt mit 15’000 Einwohnern am Lago Maggiore. Da gibt es, neben den Supermarkets Coop (Italia) und Lidl gleich zwei Carrefours, einen Ipermercato (Hypermarkt) und einen Supermercato, kaum einen Kilometer voneinander entfernt, und beide sind mittlerweile Tag und Nacht geöffnet, konkret 24 Stunden im Tag und 7 Tage die Woche! Und der nächste Carrefour Supermercato ist nicht weit, nämlich bereits in Mesenzana, keine 10km entfernt in Richtung Varese.
Bald schon Tag- und Nachtbetrieb auch in der Schweiz?
In der Ausgabe vom 17. April 2016 meldete die Schweiz am Sonntag als grösste Headline auf der Frontseite: Migros-Chef fordert: Schluss mit dem Ladenschluss. Herbert Bolliger, der oberste Chef der Migros, fordere die Streichung aller Ladenöffnungsgesetze. Wörtlich stand da: «Migros-Chef Herbert Bolliger prescht in der Debatte um liberalisierte Öffnungszeiten vor: «Es braucht kein Ladenöffnungsgesetz. Man sollte dieses Gesetz überall streichen.», sagt er. «Die Konsumenten sollen entscheiden. Wir öffnen doch nirgends einen Laden, wenn die Kunden nicht kommen.»
Wirklich?
Der Schreibende hat sich die Mühe genommen und hat in Luino, keine fünf Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, in der Nacht vom Freitag auf Samstag zwischen 02 und 03 Uhr den Ipermercato von Carrefour aufgesucht. Befund: Auf dem Parkplatz vor dem Hypermarkt standen etwa zehn Autos, und im Innern des riesigen Ladens waren etwa gleich viele Frauen und Männer auszumachen, die meisten von ihnen damit beschäftigt, Waren in die Regale einzufüllen. Ausserdem stand in der Nähe des Eingangs ein uniformierter Wachtmann. Ein aufmerksamer Gang längs und quer in der riesigen Verkaufshalle ermöglichte den Blick in alle Regal-Gassen, und siehe da: Es war tatsächlich noch ein anderer Kunde da. Ein Kunde!
Neben Milch und Biscuits steckte der Schreibende – absichtlich – auch eine Flasche Whisky in den Trolly. Die (einzig anwesende) Kassenfrau machte ihn denn auch erwartungsgemäss und freundlich darauf aufmerksam, dass zwischen Mitternacht und Morgens 06 Uhr keine solchen Alkoholika verkauft werden dürfen – und schon war man im gewünschten Gespräch.
Die erste Frage war klar: Gibt es denn in der Nacht viele Kunden? Nein, praktisch keine. Es kommen nur die «Ragazzi», die Jungen. Und, später präzisierend, ab 05 Uhr kommen viele der Italiener, die in der Schweiz arbeiten, und kaufen sich hier frisches Brot, das hier ab 05 Uhr zur Verfügung steht, für ihr Proviant. Ob sie in der Nacht denn wenigstens besser bezahlt sei als tagsüber, war eine andere, schon fast indiskrete Frage. Die fesche junge Frau lachte: Aber klar, darum arbeite sie ja auch um diese Zeit!
Immer die gleiche Behauptung
Herbert Bolliger weiss natürlich, dass es nicht stimmt, was er sagt. Er sagt ja auch nur, was alle anderen Manager auch sagen, wenn sie etwas wollen: Der Markt verlangt es!
Die Realität ist: Gerade die Markt-Giganten richten sich nicht nach dem Markt, sie steuern ihn! Und noch mehr: Wo es keinen Markt gibt, schafft man ihn! Man «investiert in den Markt», heisst es dann so schön im Geschäftsbericht. Man macht Werbung, Werbung und nochmals Werbung. Und man nimmt in Kauf, dass ein neues Geschäft über Jahre hinweg defizitär ist. Eines Tages wird es den gewünschten «Markt» geben. Dann kann man wieder getrost behaupten, auch wenn man weiss, dass es nicht stimmt: die Kunden haben es so gewollt!
Luino ist nicht New York
Dass es in New York Bars und Shops gibt, die rund um die Uhr offen sind, weiss jeder, der schon dort war. Aber müssen wir das auch hier haben?
Luino ist eine Kleinstadt. Zwischen 02 und 03 Uhr brennen da nur die Strassenlampen und aus ein paar Schaufenstern leuchten einige Leuchtreklamen. Lediglich vor der um diese Zeit auch schon geschlossenen Bar vis-à-vis der Schiffsstation stand in dieser Nacht – die Temperatur lag bei 14° Celsius – noch ein halbes Dutzend junge Leute beisammen. Die Ragazzi eben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wann die Geschäfte offen haben, regelt sich durch die Kundschaft – siehe New York. Gesetzliche Vorschriften dafür finde ich absolut unnötig.
Das wahre Ziel dürfte sein, kleinere Mitbewerber aus dem Geschäft zu drängen. Diese können sich die längeren Oeffnungszeiten nicht leisten, was die Grossen natürlich genau wissen.
Ladenöffnungszeiten: Es gibt viel zu verlieren!
Verlängerte Ladenöffnungszeiten schränken die gemeinsame Familienzeit der Arbeitnehmenden ein, machen die Nacht zum Tag, kurbeln den Einkaufsverkehr in den lärmsensiblen Nachtzeiten an und erleichtern Überfälle auf die Tankstellenshops.
24-Stunden-Öffnungszeiten an Tankstellenshops mit Vollsortiment sind nur der Anfang von Nachtarbeit, die nicht zwingend nötig ist. Weitere Begehren werden folgen, insbesondere in Betrieben mit einer hohen Kapitalausstattung.