Schocktherapie im Krisenstaat Argentinien
Der ultraliberale Javier Milei, der sich selbst als «Anarcho-Kapitalist» bezeichnet, hat die Stichwahl in Argentinien mit 55 Prozent für sich entschieden. Kaum hatte die Auszählung der Stimmen begonnen, räumte der noch amtierende Wirtschaftsminister Sergio Massa seine Niederlage ein. Die Partei der Anhänger des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen Juan Domingo Perón hat an den Urnen noch nie eine derart schwere Niederlage erlitten.
Ausser in der Provinz Buenos Aires und in zwei kleinen Provinzen im Norden des Landes triumphierte der Volkswirtschaftler Milei. Die rasant galoppierende Inflation von rund 150 Prozent ist mit Sicherheit der wichtigste Grund, weshalb die grosse Masse von Wählerinnen und Wählern dem Justicialismo, wie sich die peronistische Partei auch nennt, untreu wurde.
Die Bekämpfung der Teuerungslawine wird allerdings auch für die nächste Regierung eine kaum lösbare Aufgabe sein. Weder bürgerlich gemässigte Politiker noch überzeugte Neoliberale, weder zivile Kräfte noch militärische Diktatoren und noch viel weniger Populisten konnten dieses Urübel der argentinischen Wirtschaft dauerhaft ausmerzen.
Wahlkampf mit Kettensäge
Milei verkündete in seiner stürmischen Wahlkampagne, er werde nicht nur die Zentralbank «sprengen», sondern im gleichen Zug auch die inzwischen mit vielen Nullen belastete Landeswährung abschaffen und durch den US-Dollar ersetzen. Zudem wolle er mit der «Kettensäge», dem Symbol seiner Kampagne, in der lokalen Bürokratie wüten. Etwa jedes zweite der 18 Ministerien der Nation sei «überflüssig» und werde unter seiner Ägide abgeschafft, darunter jenes für öffentliche Gesundheit, Bildung und Arbeit sowie das Frauenministerium. Für alle Mängel, Fehler und Exzesse in der Wirtschaft macht Milei die «politische Kaste» verantwortlich – auf deren Gunst und Zustimmung er jedoch schon in naher Zukunft angewiesen sein wird. Denn seine Gefolgschaft ist in beiden Kammern des teilweise neu gewählten Parlaments meilenweit von einer regierungsfähigen Mehrheit entfernt.
Krise als Dauerzustand
Wie Ende 2001, als die weitgehend dollarisierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der damaligen Regierung des Peronisten Carlos Menem und seines Nachfolgers, des bürgerlich Radikalen Fernando de la Rua zusammenbrach, schrien in den letzten Wochen empörte Volksscharen: «Que se vayan todos!» – «Schert euch alle zum Teufel!». Damit angesprochen waren die Verantwortlichen des Desasters. Doch solche Ausbrüche von Wut und Frust, so begreiflich sie erscheinen mögen, helfen erfahrungsgemäss nur politischen Kräften, die mit radikalsten Versprechen hausieren. Auch Javier Milei gehört in die Kategorie derjenigen, die von der Realität jeweils rasch eingeholt werden, wenn es darum geht, effiziente Alternativen auf den Weg zu bringen.
Zum Verständnis der komplizierten Dramatik der seit vielen Jahrzehnten anhaltenden Dauerkrise Argentiniens zwei beispielhaft hintergründige Analysen: einerseits ein Beitrag aus BBC Mundo, der die wichtigsten Stationen dieses bald hundert Jahre langen Leidenswegs beschreibt; andererseits ein Gespräch der Nachrichtenagentur amerika21 mit einem Soziologen der Universität Buenos Aires. Dieser hatte vor der Stichwahl zwar gewisse Hoffnungen auf Verlierer Massa gesetzt, wies aber gleichzeitig – mit Recht – auf schwere Fehler der Vorgängerregierung des Neoliberalen Mauricio Macri hin.
Zwei eindrückliche Reportagen aus Brasilien und Ecuador
Im voraussichtlich letzten Pressespiegel dieses Jahres gibt es einige Beispiele von hervorragendem Journalismus, die sich mit Lateinamerika befassen. Als Erstes eine unter schwierigen Bedingungen zustande gekommene Reportage aus Brasilien, die in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit erschienen ist. Sie beschreibt eindrückliche Szenen der illegalen Goldsuche in den Tiefen des Amazonas. Jenseits aller ökologischen und politischen Kritik an bestimmten Regierungen wird hier der Fokus auf die bittere Armut in einem Land gerichtet, wo Millionen Menschen ums Überleben kämpfen. Die Goldsucher klammern sich letztlich an den Strohhalm der Hoffnung, ein grosser Fund könnte sie reich machen und aus dem Elend retten.
Ebenfalls ein Stück solide und engagierte Pressearbeit ist die SRF-Reportage der ARD- und SRF-Korrespondentin Anne Herrberg über den Niedergang von Ecuador. Das einst ruhige Land galt lange Zeit als Paradies für Touristen aller Art und Herkunft. Doch in den letzten Jahren mutierte es zum Kampffeld für Rauschgiftbanden, die ohne Rücksicht auf die Umgebung und den Ruf der Nation agieren. Die Autorin berichtet realitätsnah, wie schwierig es für schwach strukturierte Staaten ist, wenn sie gegen einen modern gerüsteten, bestens vernetzten Gegner und dessen verbrecherische Umtriebe ankämpfen sollen.
Paraguay: Drehscheibe des Schmuggels
Den Wandel vom einst ereignisarmen, im Tropenklima schlummernden Binnenland zu einem Herd illegaler Umtriebe hat Paraguay schon viel früher erlebt und erlitten. Nach der Machtergreifung des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner Mitte der 1950er-Jahre entwickelte sich die Nation in der geografischen Mitte Südamerikas zu einer Drehscheibe des Schmuggels von Waren aller Art: Zuerst waren es bloss Tabakwaren, Luxusgüter und Modeartikel mit gefälschtem Label. Später kamen Waffen jeglichen Kalibers hinzu, dann im benachbarten Brasilien gestohlene Autos und schliesslich Drogen von Cannabis bis Kokain. Mit dem Rauschgifthandel gewann laut BBC Mundo der Schiffstransport auf dem Rio Paraná – mit Endziel Europa – in dieser zentralen Region Südamerikas immer mehr an Bedeutung.
Chile: Zweiter Anlauf für neue Verfassung
Der zweite Entwurf für eine neue Staatsverfassung in Chile zeigt, wie schwierig es ist, mit dem Erbe der 17-jährigen Diktatur von General Augusto Pinochet umzugehen. Die erste Version lehnte das 20-Millionen-Volk aus verschiedenen Gründen mittels Referendum ab. Im neuen, fast ausschliesslich von Konservativen erarbeiteten Verfassungsentwurf schlägt das Pendel jetzt weit nach rechts aus. Die klar neoliberale Ausrichtung des Textes lässt die Beobachterin der Deutschen Welle ahnen, dass auch dieser Versuch, das alte Grundgesetz aus dem Jahr 1981 zu ersetzen, von den Stimmberechtigten abgelehnt werden könnte. Die Stimmen der politischen Mitte werden auf jeden Fall entscheidend sein.
Kolumbien: Dringend notwendige Landreform
Kolumbiens linksgerichtete Regierung unternimmt eine grosse finanzielle Anstrengung, um einen der dringlichsten sozialen Missstände zu korrigieren: die extrem einseitige Verteilung des Grundbesitzes. In wenigen Abschnitten dokumentiert amerika21 die realen Verhältnisse und damit die Wichtigkeit einer Umverteilung. Die Landreform soll auch dazu beitragen, den von Gewalttätigkeit zerrissenen Staat zu befrieden.
Ein weiterer Bericht von amerika21 beschäftigt sich mit dem territorialen Streit zwischen Guyana und Venezuela um die Grenzregion Essequibo. Sie macht weit mehr als die Hälfte des guyanischen Hoheitsgebietes aus, wird aber von Venezuela beansprucht. Auch in diesem Fall lauern mächtige ökonomische Interessen im Hintergrund. Auf dem umstrittenen Territorium entdeckte die US-amerikanische Exxon Mobil 2015 im Mündungsgebiet des Essequibo ausgedehnte Erdölvorkommen – angeblich über zehn Milliarden Barrel, was sogleich die Regierung von Caracas auf den Plan rief. Man kann sich unschwer vorstellen, dass dem transnationalen Ölkonzern das Aushandeln von Konzessionen mit den Behörden des wirtschaftlich rückständigen Kleinstaats Guyana leichter fallen dürfte als mit der streitbaren Regierung Venezuelas.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war 33 Jahre lang Korrespondent in Südamerika, unter anderem für den «Tages-Anzeiger».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das Argentinische Proletariat glaubt ihn gewählt zu haben, wissen nicht das er ausgewählt wurde!
Ein weiterer Clown, der vorgibt gegen das Establishment zu sein, während er vom globalistischen
Kult «WEF» kontrolliert wird. Javier Milei ist buchstäblich eine TV-Berühmtheit, die mit dem WEF verbunden ist.