Weltkarte

Die pazifischen Inseln nordöstlich von Australien sind rund 14'000 Kilometer von Mitteleuropa entfernt. In der Nähe von Samoa gibt es Inselgruppen, die noch immer von Kolonialmächten kontrolliert werden, zum Beispiel American Samoa. © Livenart / Depositphotos

«Reaktionäre Forderungen per Telefon»

German-Foreign-Policy /  Berlin setzt seine Einflussbemühungen in ehemaligen deutschen Pazifikkolonien fort. Ziel ist es, China zurückzudrängen.

Red. – Der folgende Beitrag erschien am 18.7.2024 auf «German-Foreign-Policy.com».

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Berlin setzt seine Bemühungen um Einflussgewinne in ehemaligen deutschen Pazifikkolonien fort. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul, hat nach einem Besuch in Samoa nun auch in den Salomonen und in Papua-Neuguinea an einem Ausbau der bilateralen Beziehungen gearbeitet. Teile beider Länder waren einst Kolonien des Deutschen Kaiserreichs. Das plötzliche Interesse der Bundesregierung an der Pazifikregion erklärt sich daraus, dass dort China stark an Einfluss gewinnt.

Berlin ist nicht nur um grösseren nationalen Einfluss in den Ländern der pazifischen Inselwelt bemüht, von denen einige hohe geostrategische Bedeutung haben, sondern auch darum, die Positionen des Westens im Machtkampf gegen Beijing zu stärken. Die Methoden, die die westlichen Staaten dabei anwenden, legt ein Papier aus dem Aussenministerium von Tonga offen.

Demnach lassen etwa die Regierungen Australiens und Neuseelands die Ansicht erkennen, «nur sie» könnten entscheiden, «welche Pazifikstaaten sich mit wem zusammentun sollten». Tongas Aussenministerium beklagt «herablassende Rhetorik» sowie «reaktionäre Forderungen per Telefon». Berlin operiert im Pazifik an Australiens und Neuseelands Seite.

Geostrategisch bedeutend

Den Salomonen, einem Inselstaat rund 2’000 Kilometer nordöstlich von Australien, wird erhebliche geostrategische Bedeutung zugeschrieben. Sie sind Teil eines Rings von Inseln, der sich nördlich und östlich vor der australischen Küste erstreckt; westlich der Salomonen liegt Papua-Neuguinea, südöstlich der Salomonen liegen Vanuatu und Frankreichs Kolonie Neukaledonien. In Canberra heisst es, Australien werde angreifbar, sobald es einem Gegner gelinge, sich auf einem Teil des Inselrings festzusetzen.

Im März 2022 hat China ein Sicherheitsabkommen mit den Salomonen geschlossen, in dem es der Regierung in der Hauptstadt Honiara Polizeihilfe zugesagt hat. Im Gegenzug dazu hat Beijing die Erlaubnis erhalten, Marineschiffe auf den Salomonen anlegen zu lassen, um Versorgungsgüter an Bord zu nehmen. Seitdem ist der Westen energisch bestrebt, den Einfluss der Volksrepublik in den Salomonen wieder zurückzudrängen [1].

Katja Keul Solomonen
Zur Reise gehörte auch ein Besuch auf den vom Westen als strategisch wichtig erachteten Solomonen-Inseln.

Penibel beobachtet wird die neue Regierung des Landes unter Premierminister Jeremiah Manele, die nach den Parlamentswahlen im April ins Amt kam. Manele sucht mit sämtlichen Staaten zu kooperieren, die im Pazifik Aktivitäten entfalten; seinen ersten Auslandsbesuch im Amt stattete er Australien ab, vor wenigen Tagen traf er in China ein.[2]

«Herablassende Rhetorik»

Einen Einblick in die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und den souveränen Staaten des Pazifiks um deren Recht, bei Bedarf auch mit China zu kooperieren, bieten Auszüge aus einem Schreiben des Aussenministeriums von Tonga, die im April Australiens öffentlich-rechtlicher Sender «ABC» publizierte. Das Schreiben datiert aus der Zeit kurz vor dem Abschluss des Sicherheitsabkommens zwischen den Salomonen und China.

In dem Papier heisst es, Australiens damaliger Premierminister Scott Morrison habe seine Amtskollegen in Papua-Neuguinea und Fidschi telefonisch genötigt, die Salomonen von der Unterzeichnung des Abkommens abzubringen. Auch Neuseeland sei «ausser sich»; das Ministerium in Tonga erwarte einen entsprechenden Anruf von dessen Aussenministerin. Die Auffassung, die sowohl Canberra als auch Wellington zum Ausdruck brächten, sei es, «dass nur sie entscheiden können, welche Pazifikstaaten sich mit wem zusammentun sollten».[3]

Tongas Aussenministerium stuft dies als «reaktionäre Forderungen per Telefon» ein und beklagt eine «herablassende Rhetorik, die wir leider allzu oft von den Regierungen Australiens und Neuseelands hören». Die Salomonen seien – wie die anderen Pazifikstaaten ausser den fortbestehenden Kolonien westlicher Staaten [4] – «souverän» und könnten ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Folgen des Kolonialismus

Tongas Aussenministerium übt in dem Schreiben zudem scharfe Kritik an der praktischen Politik Australiens und Neuseelands respektive der westlichen Staaten insgesamt gegenüber der Pazifikregion. Es treffe zu, heisst es in dem Papier, dass auch die Zusammenarbeit mit China ihre Tücken habe; so entstehe aus ihr etwa eine nicht unproblematische Schuldenlast.

Westliche Medien allerdings seien «besessen» davon, die Präsenz der Volksrepublik in der Region anzuprangern.[5] Wenn der Westen mit dem wachsenden chinesischen Einfluss unzufrieden sei, müsse er sich nur seine eigene «pazifische Rhetorik» vor Augen führen und das «Scheitern» seiner vorgeblichen Versuche, den pazifischen Inselstataaten zu grösserem Wohlstand zu verhelfen.

Kritische Beobachter konstatieren am Beispiel der Salomonen zudem, «Jahrzehnte einer nicht nachhaltigen Rohstoffausbeutung unter dem Kolonialismus» hätten «nicht nur schwere Umweltschäden verursacht, sondern auch die Rohstoffbasis des Landes erschöpft»; heute zähle der Inselstaat zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt.[6] Nahrungsmittel seien zu teuer; die Gesundheitsversorgung sei schlecht; auch die Infrastruktur der Salomonen sei unzulänglich. Alle diese Faktoren – nicht zuletzt Folgen des Kolonialismus – machten Hilfen und Investitionen aus China hochattraktiv.

Militärstützpunkte

Zwischen China und dem Westen heftig umkämpft ist zur Zeit auch Papua-Neuguinea. Das Land hatte eng mit der Volksrepublik zu kooperieren begonnen, als Washington massiv Druck auf die Regierung in Port Moresby auszuüben anfing. Zentrales Ergebnis war ein Abkommen, das beide Seiten im Mai 2023 schlossen; es sichert den US-Streitkräften «ungehinderten» Zugang zu sechs Militärstützpunkten – Häfen und Flughäfen – in Papua-Neuguinea zu.[7] Sie dürfen dort nicht nur Truppen völlig frei bewegen, sondern auch Ausrüstungsgegenstände einlagern; im Kriegsfall müssen dann nur noch Soldaten eingeflogen werden, damit die US-Streitkräfte von Papua aus Operationen durchführen können.

Zu den sechs Stützpunkten zählt die Marinebasis Lombrum auf Manus Island ganz im Norden von Papua-Neuguinea, bereits in Richtung auf etwaige Kriegsschauplätze auf Guam oder den Philippinen gelegen. Auf der Basis hatte Canberra einst ein Flüchtlingslager betrieben. Washington will sie nun umfassend ausbauen.[8]

Allerdings setzt auch Beijing seine Aktivitäten in Papua-Neuguinea fort; im April hielt sich Aussenminister Wang Yi in dem Land auf, um insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren. Beide Seiten verhandeln ausserdem über eine bilaterale Polizeikooperation.

Deutsche Einflussarbeit

Die Salomonen und Papua-Neuguinea waren die zweite und die dritte Station der Reise, die die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul, vom 7. bis zum 17. Juli in den Pazifik unternahm. Zuvor hatte Keul Samoa besucht [9]. Ziel der Reise war es, die bisher schwachen, teils sogar kaum existenten deutschen Beziehungen in die Pazifikregion auszubauen und damit zugleich die dortige Stellung des Westens im Machtkampf gegen China zu stärken.

Auf den Salomonen traf Keul mit dem stellvertretenden Premierminister Bradley Tovosia und mit Aussenminister Harry Kuma zusammen; in Papua-Neuguinea sprach sie mit dem stellvertretenden Premierminister John Rosso. Dort nutzte sie, wie zuvor in Samoa, die deutsche Kolonialvergangenheit, um die Kontakte zwischen beiden Ländern auszubauen. So sagte sie Justizminister Pila Niningi zu, Papua-Neuguinea bei der Klärung der Landbesitzverhältnisse während der deutschen Kolonialzeit zu unterstützen. Offene Fragen, die sich daraus ergeben, verursachen bis heute gewisse Probleme, die die Regierung in Port Moresby unter Rückgriff auf in Deutschland vorhandene Dokumente lösen zu können hofft.[10]

Die Kosten, die das für Berlin verursacht, sind vernachlässigbar. Andere Schritte, die ernsthafte materielle Konsequenzen hätten – etwa Entschädigung für das in der Kolonialzeit verursachte Unrecht –, kommen für Deutschland im Pazifik wie auch andernorts nicht in Betracht.

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[1] S. dazu Deutschlands Pazifikambitionen
[2] Cherry Hitkari: Solomon Islands PM Manele’s Foreign Visits: More Than a Mere Balancing Act. thediplomat.com 08.07.2024
[3] S. dazu Kolonien im 21. Jahrhundert (IV)
[4], [5] Stephen Dziedzic: Documents show Tonga criticised Australia and NZ’s response to China-Solomon security pact. abc.net.au 08.04.2024
[6] Cherry Hitkari: Solomon Islands PM Manele’s Foreign Visits: More Than a Mere Balancing Act. thediplomat.com 08.07.2024
[7] US military will have ‘unimpeded’ access to Papua New Guinea bases under new security deal. theguardian.com 15.06.2023
[8] Zach Abdi: U.S. Set to Expand Naval Base in Papua New Guinea. news.usni.org 06.04.2024
[9] S. dazu Kolonien im 21. Jahrhundert (IV)
[10] PNG and Germany to collaborate in uncovering colonial-era land records. thepngbulletin.com 16.07.2024


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 23.07.2024 um 11:48 Uhr
    Permalink

    «Westliche Werte» – auf der Etikette «woke» und «gender», der Inhalt das imperiale Gegenteil?
    Leute, lasst euch von PR und den meisten Media nicht für dumm verkaufen.
    Sondern vergleiche Film «Do the Right Thing» – Regie/Drehbuch Spike Lee, Zitat: «Ich möchte, dass der Zuschauer am Ende des Films ein Gefühl des Horrors hat. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über diese Probleme reden und uns ihnen stellen müssen. Wenn das nicht geschieht, wird es nur schlimmer.»

  • am 23.07.2024 um 14:23 Uhr
    Permalink

    Dem heutigen Deutschland, dem reaktionären NATO-Staat und US-Vasall, einen Staat den 1990 niemand aus der ehemaligen DDR auch nur in schlechten Träumen so wollte, stösst die braune Soße der Vergangheit wieder kräftig auf. Man wähnt sich in den trüben Jahren der Adenauerära. Deutschland hat seinen guten Ruf, den es einst in den Ländern der arabischen Welt, in Afrika und Asien hatte, längst gründlich verspielt. Wie stolz waren einst Deutschland und die VR China auf ihre Zusammenarbeit: der VW Santana war eines der ersten dort gefertigten westlichen Autos, wie wichtig waren einst die sehr guten Beziehungen zu Russland. Alles Geschichte, es bestätigen sich l die hysterischen Fantasien der früheren DDR-Propaganda die ständig die geheimen Eroberungsgelüste in Amt und Würden gebliebener Altnazis in NATO-Diensten beschwor und dem Westen sowieso ständig Imperialismus unterstellte. Nicht zu unrecht, leider.

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