Rache gegen Hilfswerke
«Keine öffentlichen Gelder an Projekte von Nichtregierungsorganisationen, welche sich an politischen Kampagnen beteiligen», fordert forsch der freisinnige Nationalrat Hans-Peter Portmann in einer am 2. Dezember eingereichten Motion. Im Postulat von Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter tönt es noch erst scheinbar harmlos. Sie verlangt Transparenz darüber, welche Aktivitäten von NGO mit welchen Finanzierungsinstrumenten, zu welchem Zweck mit Bundesmittel finanziert werden. Doch auch ihr Vorstoss richtet sich gegen die neue Macht in der Aussenpolitik.
Auch Aussenminister Cassis
Und kaum eingereicht und noch bevor der Bundesrat auf die Motion und das Postulat geantwortet hat, greift Bundesrat Ignazio Cassis bereits durch, wie «Tagesanzeiger», «RTS Info» und «Blick» berichten. «Keine DEZA-Programmbeiträge für Informations- und Bildungsarbeit von Schweizer NGO im Inland» beschied die DEZA den Hilfswerken in einem Brief wenige Tage nach der denkwürdigen Abstimmung über die Konzernverantwortung. Der Maulkorb, wie ihn der Co-Präsident des Hilfswerks Swissaid, Nationalrat Fabian Molina, gegenüber «Blick» bezeichnet, gilt also nicht mehr nur für die Finanzierung von Kampagnen, sondern auch für allgemeine Informationsarbeit und sogar für Bildungsangebote der Hilfswerke.
Dass Nicht-Regierungsorganisationen transparent über ihre Finanzierung Auskunft geben sollen, ist unbestritten. Das gilt erst recht für Hilfswerke und NGOs, die von Unternehmen Rechenschaftspflicht fordern und mit ihrer Konzernverantwortungsinitiative Unternehmen zu umfassenden Sorgfaltsprüfungen bezüglich Menschenrechten und Umweltstandards verpflichten wollten. Erstaunlich ist allerdings, wer jetzt lautstark diese Forderung erhebt. Es ist eine Rechts-Mitte-Allianz an, die seit Jahren die Offenlegung von Spenden an politische Parteien und Kampagnen bekämpft. Was in den allermeisten europäischen Ländern gesetzlich geregelt ist, lehnt sie ab, obwohl wir mehr Abstimmungskampagnen als jedes andere Land erleben. Auch die im Herbst 2017 eingereichte Initiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung» wird von dieser Allianz bekämpft, hingegen von den Parteien unterstützt, die auch zur Konzernverantwortung ja gesagt haben.
Gesinnungsschnüffeleien als neues Entwicklungshilfe-Kriterium
Ein genauer Blick auf die parlamentarischen Vorstösse Portmann und Schneider-Schneiter macht denn auch schnell klar, dass hinter dem noblen Anliegen der Transparenz andere Motive stecken. Der Motionär Portmann richtet sich gegen angebliche «Gesinnungspropaganda», obwohl es in der Konzernverantwortungsdebatte um die verbindliche Einhaltung der Menschenrechte und der international anerkannten Umweltstandards ging. Für ihn sind diese universellen Werte nichts anderes als Themen, welche die NGOs angeblich nur «aus Eigeninteresse ins Gespräch bringen». Und er will, dass der Bundesrat den Geldhahn für NGOs zudreht, die Kampagnenarbeit leisten und/oder in Publikationen Kampagnenwerbung verbreiten.
Der Motionär des Zürcher Freisinns scheint vom Ungeist des ungarischen Autokraten Viktor Orban getrieben zu sein, der 2014 in seiner berühmt-berüchtigten Rede über den Aufbau eines illiberalen Staates ein hartes Vorgehen gegen zivile Aktivisten angekündigt hatte und seither Wort hält. Er setzt dabei besonders auf die Waffe des Geldhahns. Ein probates Mittel, um NGOs einzuschüchtern und zu schwächen, das der Motionär nun hierzulande erproben möchte.
Auch der Postulantin Schneider-Schneiter geht es genau darum. Ihr stösst insbesondere auf, dass sich die Entwicklungshilfeorganisationen immer mehr mit entwicklungspolitischen Forderungen im Inland betätigen, statt – wie sie behauptet – sich mit konkreter Entwicklungshilfe im Ausland beschäftigen zu wollen. Und gesinnungsschnüffelnd erwartet sie vom Bundesrat in einem Bericht Aufschluss darüber, «welche politischen Vertreter die Steuerungsorgane» der NGO bilden, die vom Bund Finanzierungsbeiträge für Projekte erhalten. Politische Gefälligkeiten möchte die Handelskammer-Frau anscheinend höher gewichten als sachlich begründete Projekt- und Programmkriterien.
Das Leugnen jahrzehntelanger Erfahrungen
Offensichtlich geht es weder Nationalrätin Schneider-Schneiter noch Nationalrat Portmann um Fachlichkeit und Sachkompetenz. Das würde ihre Anliegen nur hemmen. Denn sie müssten sonst anerkennen, was uns die fast 60 Jahre Erfahrungen gelernt haben, seit die Schweiz 1961 den Dienst für technische Zusammenarbeit geschaffen hat. Hilfsprojekte und –programme sind wichtig, aber es geht auch um die Schärfung des Bewusstseins umfassender entwicklungspolitischer Zusammenhänge. Gefordert ist eine kohärente Politik, die auch handels-, steuer-, migrations- oder klimapolitische Belange einbezieht.
Deshalb haben die Hilfswerke bereits 1971 gemeinsam den «Informationsdienst 3. Welt – i3w» geschaffen (der Schreibende hat ab 1977 während fünf Jahren dort gearbeitet), aus dem später die noch breiter abgestützte Alliance Sud hervorgegangen ist. Eine an der Universität Bern publizierte Studie hat die Veränderungen schon 1993 mit dem Titel «Von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungspolitik» zusammengefasst. Und die in engster Zusammenarbeit mit der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung entstandene Studie «Mehr geben, weniger nehmen» aus dem Jahre 2004 zeichnet eindrücklich nach, wie politisch geprägt der Umgang mit Entwicklungsfragen ist.
Es geht längst um mehr als Hilfsprojekte und –programme in armen Ländern. Eindrücklich belegt wird es durch die 2015 von der UNO verabschiedete Agenda 2030 zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals – SDG), zu der sich auch die Schweiz hochoffiziell verpflichtet hat. Wer gerne die Parole «Aussenpolitik ist Innenpolitik» und umgekehrt «Innenpolitik ist auch Aussenpolitik» von sich gibt, müsste dankbar sein dafür, dass NGOs zum breiten politischen Themenfeld der Agenda in der Schweiz informieren und auch Kampagnen führen. Dass der Handlungsbedarf gross ist, hat unlängst der von der Bertelsmann-Stiftung publizierte «SDG-Index» (Seite 34) erneut publik gemacht. Nur Singapur, Guyana und Luxemburg leben durch ihre Lebens- und Wirtschaftsweise stärker als die Schweiz auf Kosten der anderen Länder der Welt.
Bundesrat Cassis als selektiver Zensor
Doch die Bildungs- und Informationsarbeit im Inland will Bundesrat Ignazio Cassis jetzt beschneiden. Gelder der DEZA sollen nicht mehr für Broschüren oder Veranstaltungen an Schulen verwendet werden dürfen. Das grenzt an ein Informationsverbot zu konkreten Projekten, die in einem Entwicklungsland durchgeführt werden. Hilfswerkleute sollen in der Schweiz nicht mehr öffentlich wahrnehmbar über ihre Erfahrungen und Lehren eines von der DEZA mitgetragenen Projektes Auskunft geben dürfen.
Wenn Bundesrat Cassis die Hilfswerke zur Zensur verpflichten will, stellt sich sofort die Frage, wie er es mit anderen Kooperationspartnern hält – etwa mit Unternehmen, mit denen er erklärtermassen die Zusammenarbeit verstärken will. Wird er den Nestlé, Syngenta und anderen Unternehmen, mit denen projektbezogen kooperiert wird, den gleichen Maulkorb verpassen? Was bedeutet das Verbot von Bildungsarbeit für das schweizerische Global Compact-Netzwerk, dessen Informationsarbeit zur freiwilligen Umsetzung von Menschenrechten, sozialen Arbeitsrechten und Umweltzielen zu einem beträchtlichen Teil die DEZA finanziert? Und wie sieht es für die Entwicklungsabteilung im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO aus, die zahlreiche wirtschaftliche Partnerschaften pflegt?
Fragen über Fragen, die zu stellen dem Hauruck-Verfahren des EDA-Chefs vorzuziehen wären. Doch stattdessen reagiert er gekränkt ebenso wie Motionär Portmann und Postulantin Schneider-Schneiter. Nach dem knappen Abstimmungsausgang setzen sie auf «Rache ist süss» statt das Volksmehr für mehr Konzernverantwortung als erfreuliches Votum für die Achtung der Menschenrechte zu werten.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine.
«Eine Regel aus unserer Geschichte emanzipatorischer Bewegungen ist, dass alles was emanzipatorisch erfolgreich ist, immer nur exakt einmal erfolgreich ist, weil nämlich die Zentren der Macht blitzschnell lernen und sagen, das hatte Erfolg, das darf nie wieder passieren»
Wenn NGOs von Staatsgeldern leben, handelt es sich nicht um NGOs. Sondern um eine Auslagerung von Regierungspolitik (normalerweise linker Regierungspolitik) in ein Privatunternehmen. Mit welchem Ziel? Vermutlich, damit die Regierung selber nicht verantwortlich/rechenschaftspflichtig gemacht werden kann. NGos sollten entmystifiziert werden: Es handelt sich da um Privatunternehmen im Geschäftsmodell einer private-public partnership.
Herr Möller, ich kann Ihnen nur beipflichten, die NGOS wurden ganz langsam aufgebaut und viel mit Geld vom Herr Soros.Ich habe 20 Jahre in Afrika gerabeited und habe viel gesehen was da abläuft, denken Sie dass diese Beute in Baracken wohnen ???? Wir reden auch nicht von der Autoflotte die diese besitzten, nur super Jeeps. So lasse ich die Gutmenschen in der Schweiz daran glauben, dass alles Geld an die Armen verteilt wird mit Hifsarbeit. OK es gibt Ausnahmen, das will ich auch nicht bestreiten. Ich habe in den 90 in Mosambique geshen wie die UNO Truppen gewirkt ghaben, dazu braucht es auch keine Kommentare.
Der Gegnerschaft muss die KVI massiv in die Knochen gefahren sein. Sie kamen nur dank dem Ständemehr mit einem blauen Auge davon. Dieses Risiko wollen sie nicht mehr eingehen und schiessen sich nun auf die NGO’s ein. NGO’s wurden schon vor der KVI Abstimmung zum neuen „Feind“ auserkoren. Mit Streichung von Geldmittel Organisation mundtot machen kennen wir aus vielen Diktatorenländer , jetzt ist es auch in der Schweiz soweit. Von soviel Gesinnungsterror wende ich mich schaudernd ab und staune, dass es in unserer Demokratie solche Vorstösse gibt. Aber auch in der Schweiz zählt in erster Linie die Gewinnmaximierung. Anstand, Solidarität und Gewissen bleiben auf der Strecke. Es finden sich immer Hörige die kritiklos mitziehen. Die Wirtschaft treibt die Politik vor sich her.
Weil wir hier im falschen Film sind bzw. weil der Schweizer «Kinofilm» nach der KVI-Abstimmung lautet: «Das Imperium – die Hab(ens)sburger von Herr(scher)liberg – schlägt zurück (bzw. tritt nach)» bzw. weil Wilhelm Tell nur auf der Etikette steht, fordere ich für die Schweiz selbst eine Konzernverantwortungsinitiative: Wenn mindestens die 50.2 Prozent des Volkes nur noch Volksvertreterparteien wählen würden und ihr Geld nur noch bei ihnen Wohlgesonnenen ausgeben würden (Boykott gegen die Boykotteure), könnte endlich das inländische Volk aufatmen – was angesichts Klima, Artensterben, Pestizide-Kumulation und weiterer Systemwechsel-Indikationen eh notwendig wäre.
Nicht nur NGO’s! Auch Kirchen und Hilfswerke, allen voran HEKS, betätigen sich politisch mit grossen Summen von Spendergeldern, um sich als Weltpolizisten vom Volk wählen zu lassen. Dann können sie sich mit aufwändigen Aktivitäten, welche wiederum von Spendengeldern grosszügig finasnziert werden, auf der ganzen Welt bewegen und sehr lukrative Mandate für ihre Juristen an Land ziehen.