Plan aus Netanjahus Büro: «Gaza 2035» als globaler Handelsplatz
Im Mai 2024 berichteten die «Jerusalem Post», «Al-Jazeera» und später weitere Medien über einen laut «Al-Jazeera» «ziemlich dramatischen» Plan, den das Büro von Israels Premierminister Netanjahu veröffentlichte – allerdings nur kurz. Dann verschwand der «Plan für die Transformation des Gazastreifens» wieder aus dem Internet. Ein Grund dafür ist nicht bekannt. Mit Hilfe des Internet-Archivs ist der Plan aber noch zu finden.
Der Plan zeichnet das Bild einer grossen, prosperierenden Handelszone, von der alle profitieren würden: «Gaza kann zu einem bedeutenden industriellen Produktionszentrum an der Mittelmeerküste mit ausgezeichnetem Zugang zu Märkten (Europa, Golf, Asien), Energie und Rohstoffen (aus dem Golf) werden – unter Nutzung israelischer Technologie.»
Die Umsetzung wäre ein regionaler «Win-win»-Sieg über den Iran und seine Satelliten». Doch dazu müsse Gaza zuerst «von Grund auf» , aus dem Nichts, neu gebaut werden. So sieht es der mehrstufige Plan vor, der laut «Pressenza» am 3. Mai 2024 veröffentlicht wurde.
Er solle ab dem nicht näher definierten Moment des Sieges umgesetzt und bis 2035 vollendet sein. «Politisch gesehen würde der Gazastreifen, nachdem er ‹deradikalisiert› und das Trauma des Krieges ‹vergessen› ist, mit dem besetzten Westjordanland, das derzeit nominell von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet wird, zusammengelegt werden und von Israel im Rahmen des Abraham-Abkommens anerkannt werden», berichtete die «Jerusalem Post».
Attraktive Steuern und niedrige Zölle
Gaza, in dem Dokument als «iranischer Aussenposten» bezeichnet, solle Teil einer blühenden, modernen Handelsstrasse werden. Gaza «florierte einst als Kreuzung zwischen zwei alten Handelsrouten», erinnert der Plan.
Vor rund 2000 Jahren kreuzten sich in Gaza zwei wichtige Handelsrouten. Eine Karawanenstrasse führte von Indien durch den Jemen nach Saudi-Arabien und weiter über Gaza bis nach Europa. Weihrauch, Parfüm und anderes mehr wurden dort gehandelt. Der andere Handelsweg verband Babylon, Gaza und Ägypten.
An diese lange zurückliegende Blütezeit knüpft der in Medien auch als «Gaza 2035» bezeichnete Plan an. Gaza solle «von der Krise zum Wohlstand» geführt und «vom iranischen Satelliten zur moderaten Achse» werden, so die Vorstellung in dem als «Gaza Businessmen Initiative» bezeichneten Dokument (auf deutsch Gaza-Geschäftsleute-Initiative).
Grosse Gas- und Ölfelder vor der Küste Gazas
Quasi aus dem Nichts solle in der Region die rund 160 Quadratkilometer umfassende «Gaza-Arish-Sderot»-Freihandelszone errichtet werden. Sie würde als Handelsdrehscheibe zwischen Europa, den USA und den Golfstaaten, als Verkehrs- und Energieknotenpunkt fungieren.
Gasfelder vor der Küste Gazas lieferten wichtige Energie und «werden die Schwerindustrie im Gazastreifen unterstützen. Solarfelder auf dem Sinai werden regionale Entsalzungsanlagen mit Energie versorgen». Diese sind für die Trinkwassergewinnung essenziell. Die UN schätzt, dass sich in der Gegend des Hafens von Gaza und im Westjordanland 3,2 Milliarden Barrel Erdöl im Boden befinden.
«Die Grundstücke am Ufer des Gazastreifens könnten sehr wertvoll sein», sagte Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner im Februar 2024. Kushner war früher Grundstückshändler.
Fünf bis zehn Jahre dauernder Wiederaufbau
Im ersten Schritt sollen Gaza «deradikalisiert», die Hamas zerschlagen und unter Aufsicht arabischer Staaten humanitäre Hilfe zugelassen werden. Im Verlauf von fünf bis zehn Jahren würde Gaza unter der Aufsicht arabischer Staaten wiederaufgebaut, wobei Israel die «Gesamtverantwortung für die Sicherheit» behalte. Langfristig könne Gaza dem «Abraham-Abkommen» beitreten.
Die amerikanisch-palästinensische Menschenrechtsanwältin Lara Elboro verurteilte den Plan ebenso wie der Aussenminister der Vereinten Arabischen Emirate, Scheich Abdullah bin Zayed Al Nahyan. Israel habe weder das Recht, einen solchen Plan zu verfolgen, noch lasse sich sein Land in einen Plan hineinziehen, der die Präsenz Israels im Gazastreifen beinhalte, zitierte «Al-Jazeera» aus einem Tweet des Scheichs.
Weitere Profiteure: Die USA, Saudi-Arabien, Bahrein …
Der Wiederaufbau des Gazastreifens und seiner Industrie werde die Nachfrage nach Rohstoffen und Dienstleistungen aus den Golfstaaten ankurbeln und Möglichkeiten für ausländische Investitionen schaffen, so die Verheissung im Plan.
Israel, die USA, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Ägypten, Jordanien und die Bevölkerung von Gaza würden von dem Vorhaben profitieren. Die USA erhielten laut dem Plan beispielsweise die «regionale Dominanz», Israel bekomme «langfristige Sicherheit» und «wirtschaftliche Chancen» im Süden des Landes. Den arabischen Ländern wird unter anderem Stabilität, Zugang zum Mittelmeer und «ein Interventionsmodell, das im Jemen, in Syrien und im Libanon wiederholt werden kann» in Aussicht gestellt. Ägypten könnte unter anderem profitieren, weil der Export des Radikalismus gestoppt werde.
Den Bewohnerinnen und Bewohnern Gazas stünden «riesige Beschäftigungsmöglichkeiten» offen und sie würden das «unterdrückerische Regime der Hamas» los. Denn der mehrstufige Plan sieht zuerst die Zerschlagung der Hamas vor, danach humanitäre Hilfe, den fünf- bis zehnjährigen Wiederaufbau und zuletzt die Selbstverwaltung, sofern die Amtsträger Frieden versprechen und alle Formen des Terrorismus verurteilen.
«Gaza als Keimzelle einer Arabischen Union»
Auch die chinesischen Elektroautohersteller könne man konkurrieren, suggeriert der Plan in einer Fallstudie. «Qualifizierte (und relativ kostengünstige) Arbeitskräfte» könnten im Norden Gazas Elektrofahrzeuge herstellen. Der Strom dafür liesse sich mit Hilfe der Sonne und der Gasfelder gewinnen. Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate würden die nötigen Rohstoffe liefern: «Metalle im Wert von 1,3 Billionen US-Dollar werden in den nächsten zehn Jahren aus saudischem Boden exportiert.» Schliesslich würden «die Autos und Batterien über den Hafen von El Arish zu niedrigen Transportkosten und attraktiven Steuern/Zöllen (Freihandelszone) nach Europa transportiert – was für chinesische Hersteller eine Konkurrenz darstellt».
Ob die Regierung Netanjahu diesen Plan ernsthaft verfolgt oder ob es sich dabei um reine Propaganda handelt, ist offen. Allerdings skizzierte der Nahost-Korrespondent für «Germany Trade & Invest» im März 2024 im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» ein ähnliches Szenario. «Germany Trade & Invest» ist die Agentur für Aussenwirtschaftsförderung des deutschen Wirtschaftsministeriums.
Der Autor des Artikels, Detlef Gürtler, schrieb vom «Wiederaufbau Gazas als Keimzelle einer Arabischen Union», die der EU ähneln könnte. Er verwies auf die «nahezu unbegrenzten Ressourcen aus der Öl- und Gasförderung» in den Golfstaaten und auf die Angriffe der Huthi-Rebellen, die wichtige Transportwege für westliche Länder gefährden, sowie auf den starken Wunsch der EU und der USA nach einer guten Landverbindung.
Deutsche Bundesagentur hatte die Route schon auf einer Landkarte eingezeichnet
«Die energiereichen Länder (heute Öl und Gas, morgen Sonne und Wasserstoff) könnte es auch zu Partnern in anderen Himmelsrichtungen hinziehen; besonders aus dem Osten (China) und dem Norden (Russland) gibt es solche Annäherungen. Eine stärkere ökonomische Verbindung via den Brückenkopf Gaza kann auch politische Partnerschaften fördern», so Gürtler.
«Pressenza» berichtete von einer Landkarte auf der Website von «Germany Trade & Invest», die inzwischen ebenfalls nicht mehr im Internet abrufbar sei. Sie habe drei Handelswege von Asien nach Europa aufgezeigt: Ein Weg führt vom Persischen Golf Richtung Istanbul. Die zweite Route, der India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEC), sei auf Betreiben der USA angeregt worden. «Ein dritter Weg ist eine Abspaltung von der IMEC-Route in Saudi-Arabien. Er führt von Riad über Jiddah Richtung Norden weiter über das von Saudi-Arabien als Übergang zu grüner Zukunft vorgesehene Grossprojekt Neom nach – Gaza! Gaza als Drehscheibe.»
Neom ist eine saudische Zukunftsinvestition: ein Tourismus-, Handels-, Produktions- und Wohn-Projekt, das am Roten Meer entstehen soll.
Gürtler schrieb im «Magazin»: Das Rote Meer sei für Saudi-Arabien eine «zentrale Entwicklungsachse, und auch für die anderen Anrainerstaaten könnte es sich zu einer gewaltigen Wachstumschance entwickeln. Praktisch aus dem Nichts heraus».
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Gaza 2035, Originalquelle: https://ynet-pic1.yit.co.il/picserver5/wcm_upload_files/2024/05/03/r1xP7iKGf0/Gaza_Businessmen_Initiative_heb___Copy__1_.pdf vom 3.5.2024, abgerufen 1.8.2024, unterdessen nicht mehr aufrufbar. Mit Hilfe der «Wayback Machine» ist das Dokument zu finden [Anm.d.Red.].
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Übersetzung aus dem Hebräischen mit Hilfe von Pons und Google.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Daß Gaza wirtschaftliche Potentiale beinhaltet – DAS war schon lange kein Geheimnis. UND : es wäre Israels Chance gewesen, kraft seiner technischen und wissenschaftlichen Potenz, dort DER integrierende Faktor zu werde, der es den in dieser Hinsicht rückständigen Palästnensern ermöglicht hätte, Anschluß an eine solche Entwicklung zu finden. Statt dessen hat Israel auf eine nationalistische Militärstrategie gesetzt. Das Ergebnis ist heute zu sehen – UND : zu sehen ist auch, daß Israel davon nicht abrücken will. Die alttestamentarsche Begründung kennt jeder. Ich würde daher nach wie vor die 2-Staaten-Lösung mit dem Austausch Gaza (ohne Palästinenser) gegen Westbank (ohne Juden) für halbwegs realistisch halten – aber wohl nicht ohne Druck von außen.
Und wo bleibt das palästinensiches Volk ?
Ja – wo bleibt das Volk der Palästinenser, das ist wohl die Kernfrage.
Das Ganze scheint mir als neuer israelischer Super-Marktplatz geplant.
Sollen die Palästinenserinnen wieder in Gettos – ev. noch hinter Stacheldraht verschwinden? Oder alle auswandern?
Danke, dass Infosperber über diese Pläne informiert, so kann dagegen angegangen werden.
Ich hatte es im Kommentar gesagt : die Palästinenser werden in die Westbank umgesiedelt und die dortigen jüdischen Siedler werden nach Gaza umgesiedelt. Ziel ist ein zusammenhängender palästinensischer Staat in der Westbank OHNE israelischen Einfluß. Denn diese bisherige Konstruktion (2 räumlich getrennte Teile – Gaza,Westbank – ist ,von allem anderen gar nicht zu reden) , ein Unding. Vor allem : Israel soll das platt gemachte Gaza selbst wieder restaurieren. Man möge mir nicht vorhalten, daß das gar nicht umsetzbar ist. Natürlich gibt es gewaltige Hindernissse. ABER : «…Druck von außen…erforderlich…». UND : die Einsicht der Bürger beider Seiten. Wenn man die nicht für erreichbar hält – ich halte es für möglich – dann kann man alle Hoffnungen fahren lassen und sich das ganze Gejamer und Gerede sparen.
Ich selbst bin nicht ungeübt mit der Wayback Machine, dennoch kann ich den Artikel dort nicht finden. Ich denke, es mangelt schlicht am entsprechenden Suchwort. Dieser Artikel wird überzeugender, wenn ein entsprechender Link zur Wayback Machine und besagtem Artikel eingebunden wird. Wollt ihr das nicht noch nachholen?
Danke!
Die Quellenangaben unter den Grafiken und Illustrationen aus dem Plan sind verlinkt.
Dazu kann man im Zeitpunkt.ch lesen:
«Unsere Aufgabe ist es, Gaza platt zu machen.»
Kein Kommentar mehr nötig.