NZZ rettet Ricola vor Sammelklagen
Befriedigt stellte die «NZZ» gestern fest: «Nationalrat versenkt Sammelklage-System». Und erklärt die Gründe: «Die Angst vor Klageexzessen wie in den USA lässt das Vorhaben scheitern».
Nicht erwähnt ist, dass die NZZ selber und Swissholdings, der Verband der multinationalen Unternehmen in der Schweiz, diese Angst immer wieder kräftig geschürt haben. Jetzt feiert die NZZ den Entscheid des Nationalrats als Rettung der Unternehmen vor Schweizer Klageexzessen. Und bemüht dazu gleich als erstes ein Beispiel von Ricola, dem Baselbieter Bonbon-Hersteller:
«Vor drei Jahren aber sah sich Ricola in den Vereinigten Staaten mit einer sonderbaren Sammelklage konfrontiert: Nicht die «Schweizer Alpenkräuter», mit denen Ricola auf den Bonbon-Packungen werbe, seien für versprochene heilende Wirkung verantwortlich. Sondern profanes Menthol, so lautete der Vorwurf. Die Konsumentinnen und Konsumenten würden deshalb getäuscht.»
Autor Daniel Gerny muss einräumen, dass der Erfolg der Klage «vorerst ausblieb». Er erwähnt deshalb weiter unten doch noch jenes Beispiel, das wohl dazu führte, dass der Bundesrat überhaupt auf die Idee kam, den kollektiven Rechtsschutz in der Schweiz zu verbessern: 2015 wurde bekannt, dass VW die Abgassoftware in seinen Dieselautos manipulierte. Die Besitzer von VW-Dieselautos wurden nach Sammelklagen mit zum Teil mehreren tausend Franken entschädigt. In der Schweiz aber gingen sie leer aus.
2021 schlug der Bundesrat deshalb vor, eine milde Form der Sammelklage zuzulassen. Doch die «NZZ» half der Wirtschaft, das Begehren im Keim zu ersticken.
Das beschreibt die Zeitung nun so:
«Der Widerstand gegen das Vorhaben war jedoch vor allem aus wirtschaftsnahen Kreisen von Anfang an äusserst gross – und am Montag folgte die Quittung. Im Nationalrat lief der Bundesrat mit seiner Revisionsvorlage der Zivilprozessordnung chancenlos auf. Mit 112 zu 74 Stimmen beschloss der Rat, auf die Vorlage nicht einmal einzutreten und sich damit gar nicht mehr mit den Einzelheiten der Vorlage auseinanderzusetzen.»
«Aufdringliche Zwischenfragen»
Die Voten des früheren «Kassensturz»-Moderators und heutigen SP-Nationalrats Ueli Schmezer tat der Journalist als «aufdringlich repetitive Zwischenfragen» ab.
Auch das Argument der Grünen Sibel Arslan kommt nirgends vor. Sie sagte:
«Eine Umfrage, die unter 800 Unternehmen durchgeführt worden ist, zeigt eine breite Zustimmung, während lediglich die Economiesuisse mit der Unterstützung der ‹NZZ› versucht, diese Vorlage zu verhindern. Wenn wir heute nicht auf die Vorlage eintreten, sagen wir den Menschen in der Schweiz: Wir sehen das Problem, wollen es aber nicht anpacken. Ihr müsst allein kämpfen. Euer Recht bleibt auf der Strecke.»
Und auch die folgenden Sätze von Bundesrat Beat Jans fehlen:
«Ein Nichteintreten auf diese Vorlage bedeutet hingegen eine vollständige Ablehnung jeglicher Diskussion über die Vorlage zur Lösung eines heute kaum bestrittenen Missstandes. Das empfiehlt Ihnen der Bundesrat nicht.»
Stattdessen stellt die «NZZ» mit Genugtuung fest:
«Das Geschäft geht nun an den Ständerat. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Entscheid des Nationalrates dort noch rückgängig gemacht wird, ist minim – oder mit anderen Worten: Das Risiko für eine baldige Sammelklage vor einem Schweizer Gericht ist seit Montagabend stark gesunken.»
Oder mit noch anderen Worten: Die Chance für die Konsumenten, vor einem Schweizer Gericht gegen ein grosses Unternehmen klagen zu können, ist wohl verpasst.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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