Plutoniumverarbeitung-2

Verarbeitung von waffenfähigem Plutonium am Los Alamos National Laboratory 2005 © cc-by-nc Los Alamos National Laboratory

Nuklearwaffen: Plutoniumkerne kommen in die Jahre

Pascal Derungs /  Wissenschaftler wissen nicht, wie lange die Sprengköpfe halten – und ob es zu Überraschungen kommen kann.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten fahren die USA die Produktion von Plutoniumkernen für Nuklearwaffen hoch. Diese bilden den Zünder der Bomben. Sie haben die Grösse einer Bowlingkugel und bestehen aus Plutonium 239, einem der wenigen Elemente auf der Welt, das eine Spaltungskettenreaktion aufrechterhalten kann. Wenn Sprengstoff in der Nähe des Kerns explodiert, wird das Plutonium komprimiert, was den Spaltungsprozess in Gang setzt. Dabei entstehen Strahlung und Hitze. Dies wiederum löst im sekundären Teil der Bombe eine noch stärkere Explosion der zweiten Stufe aus, in der Wasserstoffatome eine Kernfusion durchlaufen und dabei noch mehr Energie freisetzen.

Im Folgenden fasst Infosperber das Wichtigste aus einem Bericht der Wissenschaftsjournalistin Sarah Scoles in der Zeitschrift Scientific American zusammen.

Niemand kennt den Zustand der alten Plutoniumkerne

Die Plutoniumkerne in den Atomwaffen sind mittlerweile alle mehrere Jahrzehnte alt. Da Plutonium erst vor 80 Jahren zum ersten Mal synthetisiert wurde, konnte niemand beobachten, wie es sich verhält, wenn sein Leben über diesen Punkt hinaus andauert. Wie sich das Altern auf einen Plutoniumkern auswirke, sei umstritten, schreibt Sarah Scoles. Doch einige Dinge seien sicher:  Wenn die Plutoniumatome zerfallen, beschädigen ihre Produkte die Kristallstruktur des verbleibenden Plutoniums, wodurch Hohlräume und Defekte entstehen. Dieser Zerfall kontaminiert den Plutoniumkern einer Bombe unter anderem auch mit Helium, Americium, Uran und Neptunium. In 50 Jahren sammle ein Kilogramm Plutonium etwa 0,2 Liter Helium an, heisst es im Bericht.

Je stärker sich die Plutoniumkerne verändern, desto unberechenbarer werden ihr physikalisches Verhalten, ihre Leistung und ihre Sicherheit. JASON, eine geheime Gruppe von Wissenschaftlern, die die Regierung berät, habe erstmals im Jahr 2007 prognostiziert, dass die Kerne noch einige Jahrzehnte länger halten würden, deshalb sei damals kein neues Produktionsprogramm für nötig befunden worden. Doch im Jahr 2019, so Scoles, habe das Gremium seine Haltung geändert und dränge nun darauf, dass die Herstellung­ von Plutoniumkernen so schnell wie möglich wieder aufgenommen werde. Auch Pavel Podvig, leitender Forscher am Institut für Abrüstungsforschung der Vereinten Nationen, meine, dass es sicherer wäre, neue Plutoniumkerne zu haben anstelle der alten.

Die Wissenschaftsjournalistin schreibt, dass Studien der National Nuclear Security Administration darauf hindeuten würden, dass die Kerne mindestens 150 Jahre halten dürften, aber auch, dass ihre Zersetzung zu überraschenden Defekten führen könne.

Seit 1992 halten die USA ein Moratorium für Atomtests ein. Seit damals können US-Wissenschaftler nicht mehr direkt beobachten, wie sich das Alter der Plutoniumkerne auf ihr Explosionsverhalten auswirkt. Die Physik des Plutoniums ist komplex, und niemand weiss, wann die ursprünglichen Kerne unbrauchbar werden. Die Wissenschaftler könnten vermutlich nie genau wissen, was diese Defekte bewirken oder wie sie sich auf eine Explosion auswirken, bilanziert Scoles.

Die Politik der nuklearen Abschreckung feiert ein Comeback

Nach dem Kalten Krieg hätten viele gedacht, die Welt sei auf dem Weg zur Abrüstung, schreibt Scoles. Die für ein nukleares Wiederaufleben notwendigen Fähigkeiten seien unwichtig erschienen. Jetzt sei das Gegenteil eingetroffen. China baue sein Atomwaffenarsenal rasant aus, und Russland, das sich im Krieg mit der Ukraine befindet, habe seine eigene nukleare Modernisierung und neue Raketentests gestartet.

Die USA hätten seit den späten 1980er Jahren kaum noch Plutoniumkerne fabriziert, hält Scoles fest. Doch jetzt wolle das Land sein Atomwaffenarsenal modernisieren, alte Waffen aufrüsten und neue bauen. Es gehe um aktualisierte Raketen, ein neues Waffendesign, Änderungen an bestehenden Konstruktionen – und um neue Plutoniumkerne. Die National Nuclear Security Administration wolle 80 neue Bombenkerne pro Jahr produzieren lassen. Nicht jeder halte diese Arbeit für notwendig, die geplante Produktion sorge für Kontroversen, weil sie kostspielig und riskant sei.  

Plutonium birgt ein grosses Gefahrenpotenzial

Die Details, wie die Plutoniumkerne hergestellt werden und wie sie funktionieren, gehörten zu den am strengsten gehüteten Geheimnissen Amerikas, führt Scoles aus. Das Plutonium, das für Waffen verwendet werde, existiere nur, weil Menschen es hergestellt hätten. Im Jahr 1940 hätten US-Wissenschaftler dazu einen Teilchenbeschleuniger an der University of California in Berkeley benutzt. In den folgenden Jahrzehnten habe sich Plutonium aus dem Betrieb von Kernreaktoren angesammelt. Die Wissenschaftler hätten so viel davon produziert, dass für die neuen Bombenkerne kein neues Plutonium benötigt werde – der derzeitige Vorrat könne umfunktioniert, umgeformt und rezykliert werden, schreibt Scoles.

Doch Plutonium ist ein tückisches Element. Mal zeigt es sich biegsam, mal spröde. Es kann sich ausdehnen oder zusammenziehen. Es verändert schnell sein Aussehen von einem silbrigen Metall zu einem regenbogenfarbenen Spektrum von Anlauffarben. Es kann in die Luft und ins Wasser gelangen. Es ist instabil, zerfällt laufend und setzt dabei radioaktive, gesundheitsschädliche Strahlung frei. All das macht diese Materie gefährlich. Gelangt Plutonium in den Körper, zerfällt es und setzt Alphateilchen (Heliumkerne) frei, die Krebs verursachen können.

Die Produktion neuer Plutoniumkerne verzögert sich

Bisher erweise sich die Wiederaufnahme der Produktion von Plutoniumkernen in den USA als schwierig, resümiert Scoles. Die Bemühungen würden Jahre hinter dem Zeitplan herhinken. Das Defense Nuclear Facilities Safety Board und andere Kritiker hätten vor Erdbebengefahren bei den Produktionsstätten gewarnt. Starke Erschütterungen und Brände könnten zu einer Plutoniumverseuchung von Umwelt und Bevölkerung führen. In letzter Zeit seien auch Bedenken aufgetaucht, welche die Sicherheit der Produktionsprozesse betreffen. Im Mai habe die National Nuclear Security Administration eine Untersuchung zu vier Vorfällen im Jahr 2021 veröffentlicht und Verstösse gegen Sicherheits-, Verfahrens-, Management- und Qualitätssicherungsvorschriften festgestellt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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4 Meinungen

  • am 14.12.2023 um 11:20 Uhr
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    Jeder vernünftige Mensch würde in dieser Situation eine grosse Chance sehen:
    Wenn alle Staaten (inklusive Schweiz!) den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) unterschreiben und umsetzen würden, könnten nicht nur enorme Kosten und Gefahren beseitigt werden, es wäre auch eine Chance für eine wirkliche Zeitenwende des Dialogs und der Kooperation statt menschen- und naturverachtende Abschreckung.

    Aber so wie ich die selbsternannten Herrscher über die Gesamtheit der Menschheit und deren Fiat-Geld einschätze, bleibt das wohl ein schöner Traum.

    Es sei denn, wir, die für dieses Ziel vereinte Menschheitsfamilie, rauft sich zusammen in Friedensbewegungen und setzt sich gemeinsam für dieses Ziel ein.

    • am 15.12.2023 um 15:56 Uhr
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      Das vollständige Verbot von Atomwaffen wäre die einzig richtige Lösung, weil de facto ist jeder Staat mit Atomwaffen ein permanentes Sicherheitsrisiko. Dabei ist es völlig unwesentlich ob diese Staaten Demokratien oder autoritäre Regimes, stabil oder instabil sind. Die Stabilität kann sich in jedem Staat von heute auf morgen radikal ändern.

  • am 14.12.2023 um 15:38 Uhr
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    Die meisten Leute gehen davon aus, daß im großen und ganze alles so weitergeht wie bisher. Gut, die Chinesen werden etwas stärker, die Amis vielleicht etwas schwächer und die Russen, nun da bleibt im großen und ganze alles so wie es ist. Die Ukraine hin oder her, was macht das im globalen Maßstab schon aus? Zeit aber verläuft nicht linear. Entwicklungen gehen nicht kontinuierlich vor. Alles, ja alles verläuft in Wellen, in Rhythmen. Vor diesem Hintergrund schlage ich mal vor dieses Szenario zu erwägen: Die USA zerfallen an ihren inneren Spannungen, die das sind: Hohe Überschuldung, hohes Ungleichgewicht hinsichtlich der Vermögensverteilung. Große gesundheitliche Probleme großer Teile der Bevölkerung. Katastrophale Naturereignisse, wie manche sie voraussehen, mal außen vor gelassen. Die Nato zerfällt, wenn nur allen ganz wirklich bewußt wird, daß sich die USA als der führende Natostaat sich gegen ihre europäischen Verbündeten gewendet hat. Damit meine ich die Sprengung der Gasleitungen

  • am 16.12.2023 um 17:46 Uhr
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    Sinnvoll wäre wohl auch, wenn mehr Staaten in die Neutralität gehen würden. Gerade Deutschland hätte das damals mit dem Abzug der Russen gut getan. Aber wer wollte das wohl nicht ? Die Militärbasen der USA und Englands zurück in ihre Heimatländer. Keine NATO Erweiterung in den Osten. Wir hätten heute ein friedlicheres Europa. Und vor allem der Abzug der Kernwaffen und den Beitritt zum Atomwaffen Verbot. Jetzt geschieht gerade das Gegenteil von Sicherheit.

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