Kommentar

Niemand wird demaskiert

Bernd Hontschik © ute schendel

Bernd Hontschik /  Auch in Deutschland herrschte Chaos bei der Masken-Beschaffung. Nun zeigt sich. Es wird teuer. Und niemand muss sich verantworten.

Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Es handelt sich immerhin um eine oberste Bundesbehörde, die als Organ der Finanzkontrolle nur dem Gesetz unterworfen ist. Der Bundesrechnungshof kann nicht durch Weisungen beeinflusst werden, weder von der Bundesregierung noch von einem Ministerium noch vom Bundestag. Er kann sich seinen Prüfungsstoff völlig frei wählen. In Artikel 114 des Grundgesetzes hat er Verfassungsrang.

In dieser Freiheit hat sich der Bundesrechnungshof auch mit der Beschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie befasst. Das Ergebnis der Rechnungshofprüfung übertrifft die schlimmsten Befürchtungen. Wir erinnern uns: Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verschärfte sich zu Beginn des Jahres 2020 die Lage auf dem Markt für persönliche Schutzausrüstung. Ein explosionsartiger weltweiter Nachfrageanstieg wurde von Einbrüchen bei Produktion und Lieferketten konterkariert, was entsprechend der Logik des Marktes enorme Preissteigerungen zur Folge hatte.

Keine Bevorratung, sondern Hysterie

Obwohl die zuständigen Bundesbehörden schon 2012 in einem Planspiel eine Pandemie beschrieben hatten und 2016 im Nationalen Pandemieplan eine vorsorgliche Beschaffung von Schutzausrüstungen aller Art empfohlen wurde, war all die Jahre nichts dergleichen geschehen. Daher war die herrschende Grundstimmung im Land Panik, weswegen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein zuvor noch nie angewandtes Open-House-Verfahren durch die Zentrale Beschaffungsstelle bei der Generalzolldirektion ausrief: Ohne jede Ausschreibung garantierte man jedem Maskenanbieter grotesk überhöhte 4,50 Euro pro Maske, wenn innerhalb einer kurzen Frist geliefert wurde.

In wenigen Tagen kam es auf diese Weise zu 738 Verträgen mit einem Volumen von weit über 6,4 Milliarden Euro, sodass das Open-House-Verfahren hektisch wieder geschlossen wurde. Letztlich wurden 5,7 Milliarden Schutzmasken angeschafft.

Eine Bedarfsermittlung oder Mengensteuerung hatte im BMG nie stattgefunden. Man hatte sich im Zuge der allgemeinen Hysterie völlig überkauft. Inzwischen wurden knapp drei Milliarden Masken wieder vernichtet, auf knapp einer Milliarde ist das Ministerium bislang noch sitzen geblieben – ratlos.

Im BMG wollte man sich nun aus dem desaströsen Open-House-Verfahren offenbar heimlich, still und leise wieder herausstehlen, wollte von den Verträgen wieder zurücktreten, lehnte die Abnahme der Masken ab und verweigerte die vereinbarten Zahlungen. Aber die Anbieter und Lieferanten liessen sich das nicht gefallen und zogen vor Gericht. In diesen Tagen hat das Oberlandesgericht Köln dem Ministerium eine krachende Niederlage verpasst. In einem Berufungsverfahren hat es eine Bedingung in der damaligen Ausschreibung für nichtig erklärt. Schliessen sich auch die Gerichte in den anderen Fällen diesem Urteil an, könnten auf das BMG Zahlungen von bis zu 3,5 Milliarden Euro zukommen, nebst Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten.

Zu viel, zu teuer, kaum von Nutzen

Der Bundesrechnungshof stellte dazu fest: Beschaffung weit über den Bedarf, Folgekosten durch Lagerung unberücksichtigt, hohe Kosten durch die Vernichtung, kaum Nutzen für die Pandemiebekämpfung und völlig unzureichende, blamabel schlechte Dokumentation des gesamten Beschaffungsvorgangs im BMG!

Was hat ein derart vernichtendes Urteil zur Folge? Nichts, ausser ein wenig medialem Getöse. Der Bundesrechnungshof kann zwar Verstösse gegen geltendes Recht oder mangelnde Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit beanstanden, aber er hat keine Macht, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Wer hat Angst vor dem Bundesgerichtshof?

Also noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Die Antwort lautet: Niemand. Kein Minister, niemand muss wegen der Entscheidung zum Open-House-Verfahren Rechenschaft ablegen. Kein Staatssekretär, niemand wird für den Ankauf von über fünf Milliarden Schutzmasken zu völlig überhöhten Preisen haftbar gemacht. Kein Beamter, niemand verantwortet die zwischenzeitliche Vernichtung von knapp drei Milliarden Schutzmasken, obwohl nur 1,7 Milliarden gebraucht und im Land verteilt worden sind. Niemand muss für die Kosten von 3,5 Milliarden Euro geradestehen, die jetzt auf das BMG, auf den Haushalt, auf alle Steuerzahler:innen zukommen.

Dieser Artikel erschien am 27. Juni 2024 in der deutschen Ärzte-Zeitung.

Maskendeal von Spahn kann weitere 2,3 Milliarden Steuergelder kosten

Red. 2,3 Milliarden Euro könnten Maskendeals des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn aus dem Jahr 2020 den Bund – und damit die Steu­er­zah­le­nden – noch kosten, plus Zinsen, Gerichts- und Anwaltskosten. Das wäre noch einmal deutlich teurer als das Maut-Desaster des ehemaligen CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer. Das berichtete die taz am 27. Juni.

Im Bundestag verteidigte sich Spahn: «Ich kenne niemanden, der damals gesagt hat: Passt aber bloss auf, dass die Preise nicht zu hoch sind!»

Die taz weiter: «Hintergrund der Debatte sind schwelende Streitfälle um die Lieferung von Schutzmasken zu Sonderkonditionen in der Frühphase der Corona-Pandemie 2020, als Masken knapp waren und dringend benötigt wurden. Um schneller zu sein, wandte das Gesundheitsministerium unter der Leitung von Spahn ein besonderes Beschaffungsverfahren an und garantierte Lie­fe­ran­ten eine unbegrenzte Abnahme von Masken zu einem festen Kaufpreis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske. Ein großer Teil der Masken wurde später gar nicht benötigt.
Vielfach verweigerte das Ministerium später die Bezahlung unter Verweis auf Qualitätsmängel und verspätete Lieferung. Lieferanten zogen vor Gericht.» 


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Keine
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2 Meinungen

  • am 29.06.2024 um 11:07 Uhr
    Permalink

    Gabs bei uns nicht eine ähnliche Geschichte,aber die Masken wurden für 9.90 abgekauft? Ist ja doppelt so teuer,wie die überteuerten deutschen Masken….irgendwie wurde auch nie genau über, das praktisch identische Verhalten, beim Impfstoff informiert. Wie viele Impfdosen musste der Bund jetzt genau vernichten? Kaufen wir immer noch jährlich 14 Millionen Impfdosen ein? Das ist ein riesen Skandal, der kaum medial erwähnt und aufgearbeitet wird,in meinem Empfinden.

  • am 1.07.2024 um 16:42 Uhr
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    «kaum Nutzen für die Pandemiebekämpfung»
    Dieser Satzteil gehört m.E. fett gedruckt. War das nicht eines der Argumente der als Schwurbler diffamierten Mitbürger?
    Dass sie recht hatten, ist (und war schon vor Corona) Stand der Wissenschaft:
    Physical interventions to interrupt or reduce the spread of respiratory viruses.
    bereits in der Version von 2020 war zu lesen , dass Masken respiratorische Viruserkrankungen nicht nennenswert beeinflussen. 2023 hat die Cochrane-Forschergruppe diese Einschätzung bestätigt.
    In der Ignoranz dieser Realität durch Politik und Gesellschaft liegt der eigentliche Skandal!

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