Wandelhalle_im_Bundeshaus

Wo ständig lobbyiert wird: die Wandelhalle im Bundeshaus © Parlamentsdienst

Neu im Parlament – und schon unter Druck der Lobbyisten

Balz Rigendinger / Swissinfo.ch /  Kaum gewählt, werden die Novizen im Parlament von Lobbyisten aus allen Lagern umgarnt. Am aktivsten ist die Gesundheitsbranche.

Der Schweizer Finanzpolitiker Felix Wettstein hat ein besonderes Spezialgebiet: Er macht seit seinem ersten Tag als Nationalrat Beobachtungen zum Lobbying im Parlament von Bern. Wie er tagtäglich umgarnt wird, schildert der Grünen-Politiker regelmässig auf seinem Blog.

Entstanden ist das Projekt nach seiner Wahl 2019. Er stellte fest, wie heftig plötzlich alle um ihn warben. 229 Annäherungsversuche von Interessengruppen protokollierte er allein in den ersten zwei Monaten.

Der Druck ist hoch

Heute sieht Wettstein Lobbying als Teil des Systems. «Ich habe nichts dagegen, doch es muss offengelegt werden», sagt er. «Man muss sich nicht der Illusion hingeben, dass wir ohne Einflüsse von aussen unsere Meinung bilden.»

Das plakative Klischee vom Lobbyismus hält sich: Konspirative Treffen in Hinterzimmern, bei denen undurchsichtige Figuren den Abgeordneten ihre Agenda eintrichtern, garniert mit Gefälligkeiten aller Art. «Diese Aussenbilder stimmen nicht», sagt Wettstein.

Wahr ist aber: Der Druck von Interessenvertretenden auf das Schweizer Parlament ist hoch. Am aktivsten und einflussreichsten ist die Gesundheitsbranche.

Die Kraft von 80 Milliarden

Dahinter steht ein gigantischer 80-Milliarden-Franken-Markt, der politisch geregelt und weitgehend durch obligatorische Krankenversicherungen oder die öffentliche Hand finanziert ist. Im Parlament, wo er reguliert wird, laufen die Fäden zusammen.

Lobbydruck entsteht auch, weil darin verschiedene Akteure kämpfen: die Pharmabranche, die Krankenversicherungen, die Spitäler, Ärzte- und Pflegeverbände, und dann noch die Kantone. Alle wollen für sich das Beste herausholen. Und alle sind sie ausgestattet mit schlagkräftig organisierten Public Affairs-Abteilungen.

Stark im Lobbying ist auch der Finanzmarkt, also das Banken- und Versicherungswesen. Es ist ein 70-Milliarden-Markt, der strengen Regulierungen unterliegt, auf die man Einfluss nehmen will.

Auf Augenhöhe mit dem Finanzmarkt ist der Einfluss der Wirtschaftsdachverbände. Mächtig und aktiv sind zudem die Tourismusbranche, die Bauwirtschaft, die Gewerkschaften und die Umweltverbände.

Massenhaft Annäherungsversuche

Neu gewählte Parlamentarier:innen erleben die ersten Annäherungsversuche schon am Wahltag mit den Gratulationsschreiben. Viele kommen per Mail. Wenn grosses Interesse im Spiel ist, gibt es Steigerungspotenzial: Ein Brief per Post, von Hand geschrieben, ein Präsent per Post, ein Anruf danach. Zum Jahresende folgt die nächste Flut: Nach den Glückwünschen die Weihnachtswünsche, begleitet von den eigenen Wünschen.

«Die Schwemme ist wahnsinnig», sagt Nina Fehr-Düsel von der SVP, die im Oktober frisch nach Bern gewählt wurde. Sie hat sich vorgenommen, möglichst frei von Einflüssen zu starten. «Für den Anfang ist mir die Unabhängigkeit sehr wichtig», sagt sie. «Ich schliesse aber nicht aus, dass ich einmal ein Amt oder eine Mitgliedschaft annehme.» Entscheidend werde dabei ihre persönliche Affinität oder ihr thematisches Interesse sein.

Nina Fehr-Düsel ist eine der wenigen Nationalrät:innen, die noch gänzlich frei von Interessenbindungen sind. Das ist öffentlich einsehbar. Denn alle 246 Abgeordneten des Schweizer Parlaments müssen angeben, für welche Organisationen sie tätig sind, wo sie Mitglied sind und wer sie bezahlt. Das schafft eine gewisse Transparenz.

Die aktuellen Listen mit den Interessenbindungen verraten: Die meisten Volksvertreter:innen haben weniger als ein Dutzend Mandate, und die Mehrheit dieser Mandate ist nicht bezahlt. Eine Handvoll Parlamentarier aber ist mit über 25 Organisationen verbandelt.

Spitzenreiter der Mandate-Sammler:innen ist Nationalrat Peter Schilliger, FDP. Der Wahlslogan auf seiner Webseite lautet: «Für Sie im Nationalrat.» Zugleich hält er laut Liste der Interessenbindungen 27 Mandate, 21 davon sind bezahlt.  

Doch was bringt eine solche Liste? Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency international kritisiert, dass in der Schweiz die Geldflüsse für bezahlte Mandate trotzdem im Dunkeln bleiben, und dass dieses Register nur auf Selbstdeklaration beruht.

Die Lobby-Regeln in der Schweizer Politik seien «rudimentär». Auch die Staatengruppe gegen Korruption (Greco) fordert regelmässig: Schweizer Parlamentarier:innen sollten endlich deklarieren, wie viel sie mit ihren Nebeneinkünften verdienen.

Eine weitere Lobbying-Liste des Schweizer Parlaments registriert die persönlichen Zutrittsberechtigungen (Liste Nationalrat) zum Bundeshaus, die jedes Ratsmitglied an zwei Personen vergeben darf. Gedacht ist dieser Gastzugang für persönliche Mitarbeitende oder Vertraute. Sehr oft wird der streng limitierte Zutritt in die Hallen der Entscheidungen aber Lobbyist:innen zugeschanzt.

Grundsätzliche Kritik daran gibt es nicht. Transparency international bemängelt aber, dass auch über die derart akkreditierten Lobbyist:innen keine Transparenz herrscht. Wem sie dienen und was sie wollen, bleibt undurchsichtig.

Lobbyisten wollen ins Bundeshaus

Wie begehrt die Zutrittsbadges sind, erleben Neugewählte rasch. Nationalrat Hasan Candan von der SP berichtet von fünf bis sechs Anfragen, noch bevor die erste Session begonnen habe. Vergeben hat er noch keinen Badge. «Ich mache das von der Kommission abhängig, in der ich lande», sagt er. Auch Candan gehört noch zu den ganz wenigen ohne jegliche Spur einer Interessenbindung.

Er will seine Badges so vergeben, dass es ihm bei der Arbeit in seinen Themen nützt. Ihm gehe es um Unterstützung in aufwändigen Dossiers, um gut aufbereitete Informationen, sagt er, denn: «Wissen ist Einfluss.»

Von der Politikerin zur Lobbyistin

Der Weg, um selbst zum Influencer oder zur Influencerin im Parlament zu werden, ist für die 54 Noviz:innen vorgespurt. Erst haben sie ihre Spezialisierung, ihre persönliche Themen-Affinität, dann folgt vertiefte Dossierarbeit darin. Kommt danach ein politisches Geschäft aus diesem Gebiet in die Räte, nutzt man sein Netzwerk und bearbeitet auch mal politische Gegner, um Mehrheiten für seine Interessen zu finden.

Das ist Lobbyismus in Reinform. «Die mächtigsten Lobbyisten? Es sind die Parlamentarier», schrieb SWI swissinfo.ch schon vor Jahren. Lobbyismus-Beobachter Felix Wettstein stimmt dem zu. «Es gibt solche, die ihr Mandat als Lobbyist:in ausfüllen», sagt er. «Viele von uns sind das. Und das ist auch okay, solange es transparent ist.»

Eine problematische Seite hat es dennoch. Die Lobby-Parlamentarier:innen versammeln sich vor allem in den einflussreichen Kommissionen, welche die Parlamentsgeschäfte vorbereiten. Sie tragen dabei zwei Hüte: einen des Volksvertreters und einen ihrer Auftraggeberinnen.

Einige sehen darin eine zwangsläufige Kollateral-Erscheinung eines Milizparlaments, andere eine Form von Käuflichkeit. Störend ist es für viele. Schliesslich ist Kommissionsarbeit eine Operation am offenen Herzen der Demokratie, da wird Einfluss von aussen schnell als verunreinigend erlebt.

Lobbying ist nicht zu bremsen

Das führte zu einer bemerkenswerten Forderung: Wer in einer Kommission sitzt, soll keine bezahlten Mandate mehr annehmen dürfen. Zumindest nicht von Organisationen, die von der Arbeit dieser Kommission betroffen sind, forderte 2019 der Ständerat Beat Rieder (Mitte).

Weit herum im Parlament von Bern fand man diese Idee gut. Denn vielen fällt auf: Gerade Kommissionsmitglieder ergattern, kaum sind sie drin, Verwaltungsratsmandate bei Versicherungen, Krankenkassen oder Banken.

«Wenn man sieht, was dort bezahlt wird, dann ist klar, dass man in den Graubereich der Korruption kommt», sagte ein FDP-Ständerat in der Debatte um den Vorstoss von Beat Rieder. 2022 versenkte man die Idee trotzdem. Ein Milizparlament verlange freie Abgeordnete, lautete der Tenor.

Zwei Hüte

So kam es, dass Ende der letzten Legislatur 90 der 246 Parlamentsmitglieder im Dienste von Playern aus dem Gesundheitswesen standen. Und so geht es nun wieder aufs Neue los.

«Jetzt werden die Mitglieder der Gesundheitskommission bestimmt», sagt Samira Marti, «und ein paar Monate später sitzt der grosse Teil der bürgerlichen Parlamentarier:innen davon im Verwaltungsrat einer Krankenkasse.» Marti ist Co-Fraktionschefin der Sozialdemokraten. Und sie ist die einzige Parlamentarierin, die bereits in der zweiten Legislatur steht und noch immer ganz ohne deklarationspflichtige Interessenbindungen Politik macht. Sie brauche diese nicht, sagt sie. «Mein Netzwerk ist stark genug und meine Türen stehen allen offen.»

Die Organisation Lobbywatch dokumentiert die Interessenbindungen im Schweizer Parlament akribisch und legt die Mechanismen der Lobbybranche regelmässig offen. Journalist Thomas Angeli, der das Projekt leitet, sagt: «Immer mehr Politiker:innen verstehen ihr Parlamentsmandat als Businessmodell, um lukrative Posten zu erhalten.»

Bleibt die Frage: Entscheidet das Schweizer Parlament noch frei?

Lobby-Beobachter Felix Wettstein sagt: «Die Empfehlungen, die Lobbys verschicken, schaffen wohl selten neue Mehrheiten.» Man orientiere sich als Parlamentarier:in eher an den Vorgaben seiner Partei, sagt er, «oder man folgt den Empfehlungen seiner Parteikolleg:innen aus den vorberatenden Kommissionen.»

Das aber sind die Gremien, wo die Kolleg:innen mit den beiden Hüten sitzen.

Das sind die Lobby-Instrumente im Schweizer Parlament. Ein Überblick.

Parlamentarische Gruppen: Sie setzen sich aus Parlamentarier:innen aller Parteien zusammen und verfolgen ein spezifisches Interesse. Es ist der direkteste Draht von Lobby-Organisationen ins Bundeshaus. 120 Gruppen gibt es, und fast jedes Interesse ist dabei. Als mächtigste gilt die Gruppe der Bäuerinnen und Bauern, welche dazu noch eine geschlossene eigene Gruppe pflegen.

Neue Mandate für Parlamentarier:innen: Manche erhalten während einer Legislatur Mandate von Organisationen aus der Nähe ihrer politischen Arbeit. Das ist heikel, weil damit potenziell ein Tit-for-Tat geschaffen wird. Dazu zählt auch die Aussicht auf eine nachparlamentarische Karriere. Kritiker:innen fordern deshalb Karenzfristen.

Bestehende Mandate der Parlamentarier:innen: Einige Abgeordnete vertreten mehr oder weniger offen ihre Branchen, etwa Banken oder Krankenversicherungen, weil sie damit beruflich oder wirtschaftlich eng verbunden sind. Andere verfolgen gezielt bestimmte Dossiers und unterhalten dadurch ein Netzwerk in entsprechende Interessengruppen.

Zutrittsbadges ins Bundeshaus: Jedes Ratsmitglied kann zwei Personen freien Zugang ins Bundeshaus ermöglichen. Oft gehen diese Badges an thematisch nahestehende Lobbyist:innen, die im Parlament dann ihren Einfluss suchen. Wer sie mit welchen Aufträgen und Honoraren ausstattet, bleibt im Dunkeln. Eine Deklarationspflicht besteht nicht.

Einladungen aller Art: Vom edlen Dinner im Bellevue Palace bis zur einfachen Sitzung mit Sandwiches in einem Sitzungsraum im Bundeshaus: Während einer Session finden täglich bis zu zehn «Informationsveranstaltungen» von Lobby-Organisationen und Public Affairs-Beauftragten statt. Ausserhalb der Sessionen sind es Tagungen oder Kongresse, oft verbunden mit Gratis-Eintritten, Essen und Übernachtungen. Solche Vorteile dürfen Politiker:innen laut Reglement annehmen, wenn sie «geringfügig und sozial üblich sind».

Newsletter, Briefe, Präsente: Parlamentarier:innen erhalten eine Flut von Hinweisen Dokumentationen und Argumentarien. Sobald das Sessionsprogramm bekannt ist, sind es auch direkte Abstimmungsempfehlungen. Zu den geduldeten Präsenten zählen auch finanzielle Beiträge – etwa an die Wahlkampfkasse von Kandidierenden – im Rahmen eines Taggelds, das bei 440 Franken liegt.

Dieser Beitrag ist am 20. Dezember auf swissinfo.ch erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Lobbyist_Hand

Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

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2 Meinungen

  • am 23.12.2023 um 12:33 Uhr
    Permalink

    Einen grundsätzlichen Vorbehalt zu «Gesundheitsbranche» habe ich. Wenn es um «Gesundheit» gehen würde, gäbe es keine Branche, denn Gesunde brauchen nichts weiter. Es müsste KRANHEITSBRANCHE heissen, denn mit Kranken kann man viel Geld machen. Der Begriff ist Wordwashing, tönt besser aber es geht dabei nicht um Gesundheit sondern um Krankheit. Nur schon mit dem richtigen Begriff wird dem ganzen Geldmonster das schöne Mäntelchen abgerissen. Finde ich.

  • am 23.12.2023 um 17:26 Uhr
    Permalink

    Menschen wie Peter Schilliger haben mit Politik nichts zu tun

Comments are closed.

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