Milliardäre greifen in den französischen Wahlkampf ein
Es gibt kein einziges Wahlplakat mit seinem Gesicht oder Namen. Er hält keine Reden. Er steht nicht einmal auf der Wahlliste. Emmanuel Macrons womöglich grösster Rivale im kommenden Präsidentschaftsrennen ist kein Gegenkandidat. Die New York Times hat Vincent Bolloré als grössten Gegner ausgemacht. Sie nennt ihn Frankreichs ureigenen Rupert Murdoch.
Tatsächlich hat der Milliardär mit seinem konservativen Medienimperium Macrons Wiederwahlagenda gehörig durcheinandergewirbelt. Bolloré will nämlich den Star seines Fox-ähnlichen Nachrichten-Netzwerks «CNews» an die Spitze des Landes hieven, den Rechtsaussen Eric Zemmour.
Praktisch täglich verbreitet der 2011 wegen Aufrufs zu rassistischer Diskriminierung rechtskräftig verurteilte Zemmour seine Anti-Immigrations- und Anti-Muslim-Agenda im Fernsehen, und das seit bald zwei Jahren. Der ehemalige französische Präsident François Hollande sagte in einem Interview: «Bollorés Kanäle haben Zemmour erst erschaffen.»
Äusserst einschränkende Vorschriften für die Finanzierung von Wahlkämpfen
In Frankreich sind politische TV-Spots während sechs Monaten vor den Wahlen verboten. Unternehmensspenden an Kandidatinnen sind ebenfalls tabu. Persönliche Kampagnenspenden sind auf 4’600 Euro beschränkt. Für die kommenden Wahlen dürfen Kandidaten in der ersten Runde nicht mehr als 16,9 Millionen Euro ausgeben. Die beiden Finalisten werden auf je 22,5 Millionen Euro eingeschränkt. Zum Vergleich: US-Präsident Joe Biden sammelte über eine Milliarde US-Dollar für seine Kampagne.
Diese strengen finanziellen Regeln sind der Hauptgrund, warum Medien instrumentalisiert werden, um politisch genehmen Kandidatinnen eine möglichst grosse Plattform zu bieten und damit die Wahlen zu beeinflussen. Allerdings warnt die ehemalige Kulturministerin Aurélie Filippetti, die Kontrolle der Medien durch Industrielle, die von Regierungsaufträgen abhängen, sei ein klarer «Interessenkonflikt».
Der Kauf von Medien als Wahlkampf-Finanzierung
Zemmour ist nur das neuste Beispiel des politischen Einflusses von französischen Medienzaren. Superreiche kaufen die öffentliche Meinung via Medien. «Ein Milliardär kann keine grosse Kampagne finanzieren», stellt Julia Cagé klar, eine auf Medien spezialisierte Ökonomin. «Aber er kann eine Zeitung kaufen und sie für seine Kampagne einspannen.»
Zurzeit ringen ein paar von Frankreichs reichsten Männern um die Top TV-Netzwerke, Radiostationen und Publikationen. Bolloré etwa hat Medien gekauft, um sie in rechtsextreme Nachrichtenkanäle zu verwandeln. So Paris Match oder den auf die Jugend ausgerichteten TV-Sender C8 beziehungsweise Canal+. Laut Frankreichs nationaler Forschungsorganisation CNRS hat die populärste Show auf C8 zwischen September und Dezember letzten Jahres 53 Prozent seiner Zeit der extremen Rechten zur Verfügung gestellt, insbesondere Eric Zemmour.
Von der Regierungs- zur Oppositionszeitung
Was passiert, wenn ein Medium in neue Hände fällt, hat die New York Times am Beispiel des «Journal du Dimanche» festgemacht – eine ehemals klare Pro-Macron-Sonntagszeitung, die sogar den Übernamen «Prawda» erhielt, weil sie die Regierung so einseitig unterstützte. Kaum hatte Bolloré die Kontrolle über die Muttergesellschaft übernommen, häuften sich die kritischen Artikel über Macron und wenig schmeichelhafte Bilder von Emmanuel Macron.
Natürlich hat auch der Präsident den einen oder anderen Milliardär in seiner Ecke, allen voran Bernard Arnault, den Kopf des Luxusimperiums LVMH und reichsten Mann Frankreichs. Auch dessen Schwiegersohn Xavier Niel, ein Fernsehmogul, gehört zu Macrons Unterstützern. Arnault gehören «Les Échos», die landesweit führende Wirtschaftszeitung, und die populäre Tageszeitung «Le Parisien». Allerdings verlor er den Kampf gegen Bolloré um die Kontrolle der Mediengruppe «Lagardère». Die dazugehörige Radiostation Europe 1 verwandelte Bolloré in kürzester Zeit in eine Audioversion von CNews.
Diese Einflussnahme der Superreichen ist auch dem französischen Senat nicht verborgen geblieben. In einem öffentlichen Hearing anfangs des Jahres wiesen die Mogule politische Motive weit von sich. Bolloré gab für das Verhalten seiner Vivendi Media Gruppe einzig «ökonomische Interessen» an. Arnault beteuerte, seine Investitionen in Nachrichtenmedien seien eine Art Mäzenatentum.
Alexis Lévrier, Medienhistoriker an der Universität Reims, macht sich keine Illusionen: Bolloré habe die Zemmour-Kandidatur überhaupt erst möglich gemacht. Das beweise die Macht der Medienmoguln, die im aktuellen Fall Gespräche über den Islam und über Einwanderung ins Extreme verschoben hätten. «Das macht den Script dieser Kampagne so faszinierend wie beängstigend.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es ist ein weltweiter Trend, dass Milliardäre ihre Milliarden schützen, indem sie Einfluss auf die politische Meinungsbildung nehmen und Medien aufkaufen und steuern. Nur sollte man nicht wie die Autorin in die Falle tappen, dass es «liebe» (pseudolinke) Milliardäre gibt und «böse» (rechte), wie z.B. auch vor einigen Jahren in Basel. Beide Seiten kreieren und bedienen erfolgreich Feindbilder des jeweiligen Publikums, ohne die Grundlagen des eigenen Reichtums und der eigenen Macht in Frage stellen zu lassen.
Noch schlimmer als konkurrierende Milliardäre mit konkurrierenden Agenden wäre freilich, wenn es nur noch eine homogene Gruppe Milliardäre mit einer gleichgeschalteten Propaganda gäbe.