Kommentar
Marine Le Pen ist eine Heuchlerin
Marine Le Pen hat Europa betrogen. Sie hat gegen Europa agitiert – aber gleichzeitig europäische Gelder in Millionenhöhe kassiert und veruntreut. Sie wütet, weil sie deswegen verurteilt worden ist. Sie wütet gegen die Verurteilung, sie wütet gegen die Strafe, sie wütet gegen die französische Justiz, sie wütet gegen das Gesetz, sie wütet deswegen, weil es für sie so gilt wie für jeden anderen. Le Pen hat sich ihr politisches Leben lang über eine zu lasche Justiz beklagt; jetzt, da es um sie selbst geht, ist ihr das Gesetz viel zu streng und die Justiz viel zu hart. Die 56-jährige Len Pen ist eine falsche Fuffzigerin.
Kein politisches Urteil
Sie, ihre Rechtsaussen-Partei und autokratische Unterstützer wie Trump, Putin und Orbán beklagen sich laut und lärmend über ein angeblich politisches Urteil. Das ist falsch. Es handelt sich nicht um ein politisches Urteil, sondern um ein Urteil gegen eine Politikerin, die über Jahre Straftaten begangen hat. Es handelt sich um ein Urteil gegen eine Politikerin, die kriminell geworden ist. Die Beweislage ist erdrückend.
Das Urteil bringt zum Ausdruck, dass Politikerinnen und Politiker nicht über dem Gesetz stehen – auch dann nicht, wenn sie sehr populär sind. Le Pen nutzt nun diese ihre Popularität, um gegen die Justiz zu hetzen und damit von ihrem eigenen kriminellen Fehlverhalten abzulenken. Sie unterstellt vielmehr der Justiz ein kriminelles Fehlverhalten, weil sie so geurteilt hat, wie das im Gesetz vorgesehen ist: Das Gericht in Paris hat Marine Le Pen unter anderem die Wählbarkeit, also das passive Wahlrecht, für fünf Jahre entzogen.
Kein Ermessen
Das hatte und hat den Sinn – angesichts einer Reihe von einschlägigen Betrugs-, Veruntreuungs- und Korruptionsdelikten – wieder für die Lauterkeit der Politik zu sorgen. Es steht nicht im Ermessen der Richter. Der sofortige Entzug des passiven Wahlrechts ist eine «obligation», also zwingend anzuordnen. Ganz ausnahmsweise hätte das Gericht «in Anbetracht der Umstände und der Persönlichkeit des Täters» vom Entzug des passiven Wahlrechts absehen können. Hätte das Gericht das getan – dann hätte man wegen dieser Privilegierung von einem politischen Urteil reden können.
Die besonderen Umstände des Falls Le Pen sind nämlich besonders negativ: Le Pen hat die erwiesene Veruntreuung von Millionengeldern aggressiv geleugnet und stattdessen den Strafprozess gegen sie als Anschlag auf die Demokratie bezeichnet. Sie hat sich also kraft ihrer Umfragewerte über den Rechtsstaat erhoben.
Kein Einzelfall
Das Gericht in Paris hat Marine Le Pen nicht härter bestraft, als sie andere hochrangige Politiker wegen einschlägiger Delikte bestraft hat: Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux, ehemaliger Premierminister und Bewerber um die französische Präsidentschaft, wurde 2004 wegen Vorteilsnahme mit 18 Monaten Haft und zehn Jahren Unwählbarkeit bestraft.
François Fillon, Minister in verschiedenen Kabinetten, Premierminister unter Präsident Sarkozy und Präsidentschaftskandidat, wurde 2020 wegen Veruntreuung staatlicher Gelder zu fünf Jahren Haft und zehnjähriger Unwählbarkeit verurteilt. Fillon hat sich, anders als Le Pen, einsichtig gezeigt: «Es war ein Fehler, und ich entschuldige mich bei den Franzosen.»
Keine Entschuldigung
Die politische Karriere dieser Verurteilten war zu Ende. Von Le Pen ist kein einziges Wort der Entschuldigung zu hören. Sie will sich als Opfer präsentieren und so die Wähler über den Tisch ziehen. Die 56-Jährige ist eine Heuchlerin.
Ich wünsche mir Politiker, die keinen Dreck am Stecken haben. Ich wünsche mir Politiker, die nicht versuchen, den Dreck am Stecken von den Wählern wegputzen zu lassen. Weder gute Umfragen noch gute Wahlergebnisse sind Waschanlagen für Politiker.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ja, der von mir sehr geschätzte Herr Prantl, der auch einige Beispiele nennt. Das Beispiel Lagarde (heutige EZB-Präsidentin) nennt er allerdings nicht: Sie wurde wegen fahrlässigen Handelns für schuldig gesprochen, weil sie aus Nachlässigkeit eine Veruntreuung ermöglicht habe. Sie hatte keinen Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt, dem Geschäftsmann Bernard Tapie über 400 Millionen Euro zuzusprechen. Das Gericht sprach keine Strafe aus und begründete dies mit Lagardes internationalem Ansehen und ihrer Rolle während der globalen Finanzkrise.
Aufgrund dieser Tatsache kann ich logischerweise nur zur gegenteiligen Einschätzung von Herrn Prantl kommen – auch wenn ich die Politik der Juristin Le Pen scharf kritisiere.
Außerdem erscheint der Fall Le Pen im Kontext juristisch gar nicht so klar und die von Herrn Prantl angegebenen Beispiele wären auch noch einmal kritisch zu überprüfen; Strauss-Kahn hat er dankenswerterweise nicht genannt.
Wozu in die Ferne schweifen? Im besten Deutschland aller Zeiten ist die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden und Staatsanwältin Brorhilker schmiss entnervt die Arbeit hin, als gegen die politischen Schutzmauern des dringend der Beihilfe zur Wirtschaftskriminalität verdächtigen Olaf Scholz (SPD) kein Ankommen war. Richter Jan-Robert von Renesse wurde von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geschasst und von Justizminister Kutschaty (beide auch SPD) mit Klagen überzogen als er versuchte, nichts anderes als seine Arbeit zu machen und Ghetto-Überlebenden nach 70 Jahren zu einer anständigen Rente zu verhelfen. Sowohl Staatsanwälte als auch Richter haben in Deutschland keine Chance gegen amtierende Politiker. Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Mythos und Prantl als ehemaliger Richter weiß das auch – er schreibt es nur nicht. Vielleicht weil es mit Le Pen einmal eine rechte Unsympathlerin mit Recht hart erwischt hat und das dem Prantl gefällt.
Ein kafkaeskes politisches Urteil! Zitat von Alain Finkielkraut in NZZ 10.4.25: „Zur Zeit der Dreyfus-Affaire (Frankreich Ende 20. Jh.) neigte die Justiz nach rechts, sogar nach ganz rechts. Heute neigt sie nach links, sogar nach ganz links.“
Es ist klar ein politisches Urteil gegen Marine Le Pen. «Recht» lässt sich immer nach allen Seiten biegen. Nirgends, ausser in einer Konkordanz-Regierung reicht es für dem Mainstream widersprechende Meinungen.