Bundeshaus_Müller

Er lobbyiert für den Druckerverband DP Suisse. Wird er dafür auch bezahlt? FDP-Ständerat Damian Müller © zvg

Prämien für Werbung: Verwaltungsräte entscheiden im Parlament

Pascal Sigg /  Eine Kommission will Werbung mit Krankenkassenprämien weiterhin erlauben. Doch einige Mitglieder lobbyieren – nicht nur für Kassen.

Es ist ein Geschäft wie viele andere: Mit einer parlamentarischen Initiative fordert der Neuenburger SP-Ständerat Baptiste Hurni, dass Krankenkassen mit Prämiengeldern aus der Grundversicherung keine Werbung mehr machen dürfen.

Die Begründung: Es macht schlicht keinen Sinn, eine obligatorische Dienstleistung zu bewerben. So würden Krankenkassen mit Geldern aus der Grundversicherung denn auch häufig Zusatzversicherungen bewerben. Dies gehe zulasten der obligatorisch Grundversicherten, die dafür letztendlich höhere Prämien bezahlten. Infosperber hat bereits darüber berichtet, dass Krankenkassen mit den Prämieneinnahmen Imagepolitur betreiben und Fussballerlöhne bezahlen.

Bevor das Parlament über Hurnis Begehren befindet, diskutierten die zuständigen Kommissionen. Sie konnten Betroffene anhören, Berichte verlangen, Expertinnen oder Experten einladen. Darauf basierend gaben sie ihrer Kammer eine Empfehlung ab.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) stimmte Hurnis Vorstoss im vergangenen Februar hauchdünn zu. Die zuständige Ständeratskommission (SGK-S) jedoch lehnte ihn vor wenigen Tagen ab. Und zwar mit 7 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung.

Die Kommissionsmehrheit ist der Meinung, Werbung sei auch in einem System des regulierten Wettbewerbs notwendig und biete einen Mehrwert. Damit geht das Geschäft zurück an die zuständige Nationalratskommission.

Reine Parlamentsroutine, könnte man meinen. Doch einige Kommissionsmitglieder waren vom Geschäft direkt betroffen.

Hochkarätige Krankenkassenämter …

An der Entscheidungsfindung in der Ständeratskommission wirkten nämlich zahlreiche Parlamentsmitglieder mit, welche jährlich Geld von Krankenkassen erhalten.

Die Gewichtigsten: Der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin ist Vizepräsident des Verwaltungsrats der Krankenkasse CSS. Wie viel er damit verdient, gibt er nicht an. Dasselbe gilt für den Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin, der im Vorstand des Krankenkassen-Branchenverbands Santésuisse sitzt und gleich auch Präsident des Verbands der kleinen und mittleren Krankenversicherungen ist.

Zudem sind die beiden Ständerätinnen Brigitte Häberli-Koller (Mitte) und Flavia Wasserfallen (SP) Mitglieder eines Beirats der Groupe Mutuel. Als solche können sie jährlich bis zu 4000 Franken erhalten. Dies geben alle Beteiligten öffentlich an.

Wie die Kommissionsmitglieder abstimmten, ist nicht bekannt. Kommissionsberatungen sind komplett geheim. An der Sitzung beriet die Kommission zudem weitere Geschäfte, welche Krankenkassen direkt betrafen – wie zum Beispiel eine Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung.

… und ein Parlamentsgruppenpräsidium

Eine besondere Rolle beim diskutierten Werbeverbot spielte Kommissionspräsident Damian Müller. Der Luzerner FDP-Ständerat ist Präsident des Forums Gesundheit Schweiz, zu dem auch die Krankenversicherer gehören. Dieses Amt wurde ihm unter anderem angelastet, als er vor wenigen Monaten Chef des Luzerner Kantonsspitals werden wollte. Watson fragte darauf: «Wann ist ein Ämtli eines zu viel?»

Müller bekleidet zudem ein besonders nebulöses Nebenamt. Er ist Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Print und Kommunikation. Eine Parlamentarische Gruppe ist ein Zusammenschluss von Parlamentsmitgliedern, die sich für einen bestimmten Sachbereich interessieren. Sie stehen allen Ratsmitgliedern offen, können Räume im Parlamentsgebäude belegen und vom Parlamentspersonal Unterlagen kopieren und verteilen lassen. Dafür müssen sie sich registrieren.

Was wie ein Austauschgefäss für Parlamentsmitglieder daherkommt, ist im Fall der Gruppe Print und Kommunikation jedoch der politische Arm des Branchenverbands DP Suisse.

DP Suisse vertritt ausdrücklich die Interessen der Druck- und Medienbranche. Die Gruppe Print und Kommunikation hat gemäss aktuellem Register der Parlamentsdienste zehn Mitglieder und nicht bloss Informationsaustausch zum Ziel, sondern die «Förderung von günstigen Rahmenbedingungen für die Kommunikationsindustrie und die grafische Industrie im Speziellen».

In einer Stellungnahme zu Aussenwerbeverboten hielt der Verband jüngst fest: «Die grafische Industrie, die stark von Werbeaufträgen abhängig ist, wird durch Werbeverbote unmittelbar betroffen.»

Dass Parlamentarische Gruppen derart offen und mit Dienstleistungen des Parlaments zur Einflussnahme genutzt werden, kritisiert Balz Oertli, Vorstandsmitglied von Lobbywatch und Journalist beim WAV Recherchekollektiv. «Lobbying ist nicht der Sinn Parlamentarischer Gruppen.»

Lobbywatch beobachte jedoch seit einigen Jahren, dass Parlamentarische Gruppen vermehrt als klassisches Lobbyvehikel gegründet und aufgebaut würden. «Einige dieser Gruppen haben ihre Domiziladresse bei einer Lobbyagentur oder einem Interessenverband, welche sie unter dem Deckmäntelchen der Überparteilichkeit als Lobbyinstrumente nutzen.»

Nebulöses Nebenamt des Kommissionspräsidenten

Nebulös machen Müllers Nebenamt einige Widersprüche. Müller listet sein Jöbli im jüngsten Parlamentsregister für Interessenbindungen nicht auf. In der Lobbywatch-Datenbank ist das Amt als «ehrenamtlich» gelistet. Müller hatte dies gemäss Lobbywatch gegenüber der Organisation schriftlich so deklariert. Doch gegenüber Infosperber schreibt DP Suisse: «Wir entschädigen die Co-Präsidien jährlich mit einem tiefen vierstelligen Betrag.»

Auch Müllers Co-Präsident Christian Imark gibt im Register der Interessenbindungen an, dass er ein von DP Suisse bezahltes Amt ausübt. Allerdings verschweigt er, dass es sich dabei um das Co-Präsidium der Parlamentarischen Gruppe Print und Kommunikation handelt.

Müller selber streitet jedoch ab, dass er für das Amt bezahlt wird. Auf Anfrage schreibt er, es gebe nichts zu deklarieren. Er habe diese Aufgabe vielmehr im Rahmen eines Verwaltungsratsmandats für die SWS Medien AG ausgeübt und keine zusätzliche Entschädigung erhalten.

Bedeutet dies also, dass er über das Verwaltungsratsmandat für die Lobbyarbeit im Parlament bezahlt wurde? «Nein», so Müller. «Für mich ganz persönlich war es Ehrensache, dass ich mich für die Parlamentarische Gruppe einsetze, wenn ich das Wissen der Branche als Verwaltungsrat eines der erfolgreichsten Regionalmedien mitbringe.»

Die SWS Medien AG gibt die beiden lokalen Wochenzeitungen Seetaler Bote und Willisauer Bote heraus, betreibt eine Druckerei und bietet Werbeberatung an. Müller war seit 2018 im Verwaltungsrat des Unternehmens und trat diesen Sommer aus. Gemäss eigenen Angaben ist er aber nach wie vor Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Print und Kommunikation. «Ich habe der PG mitgeteilt, dass ich nicht mehr im Verwaltungsrat der SWS Medien AG bin. Diesbezüglich erhalte ich eine Antwort, ob ich noch opportun bin.»

Edi Lindegger, Geschäftsführer der SWS Medien AG, will auf Anfrage keine Angaben zur Höhe der Entschädigung von Müllers Mandat machen. Das Honorar entschädige aber einzig die Arbeit im Verwaltungsrat. SWS Medien habe auch kein Geld von DP Suisse erhalten.

«Eigenangaben müssten zwingend unabhängig überprüft werden», findet Martin Hilti von Transparency International Schweiz. Und Verstösse gegen die Deklarationspflicht sollten sanktioniert werden können.

Über derartige Nebenämter würden Schweizer Parlamentsmitglieder nämlich selber zu Lobbyisten, so Hilti. Dies berge die Gefahr, dass die Entscheidungsgefässe der Demokratie unterlaufen werden. Seine Organisation fordert schon länger mehr Transparenz, so etwa was die Höhe der Entschädigungen von Nebenämtern betrifft.

Nebenamt lukrativer als Parlamentsjob

«Geld hat einfach Einfluss und ab einer bestimmten Höhe entstehen sogar finanzielle Abhängigkeiten.» Die Bevölkerung sollte deshalb diese Verbandelungen kennen, so Hilti.

Zur Einordnung: Die Entschädigung, welche Parlamentsmitglieder für ihre Arbeit vom Bund erhalten, bewegt sich je nach Einbezug von Spesen zwischen 70’000 und 140’000 Franken.

Ein Beispiel: Die Krankenkasse CSS, wo Ständerat Erich Ettlin als Vizepräsident im Verwaltungsrat sitzt, gab letztes Jahr schon allein fürs VR-Präsidium über 200’000 Franken aus. Aber auch Branchenverbände zahlen ansehnlich für solche Nebenjobs. Als Präsident des Bauernverbands verdient Mitte-Nationalrat Markus Ritter über 100’000 Franken jährlich.

Bei jeder Wortmeldung: Befangenheit müsste deklariert werden

Müssten Parlamentsmitglieder angesichts solcher Interessenkonflikte nicht in Ausstand treten? Boris Burri, Sekretär der SGK-S, winkt ab. Er verweist gegenüber Infosperber auf den Transparenzleitfaden des Parlaments. Demnach müssten Ratsmitglieder auf eine allfällige Interessenbindung hinweisen, wenn sie sich im Rat oder einer Kommission äussern. Eine Ausstandspflicht kenne das Schweizer Parlament jedoch nicht.

Der Transparenzleitfaden des Parlaments sei im Wesentlichen bloss eine Erläuterung des Korruptionsstrafrechts, sagt Martin Hilti von Transparency International Schweiz. Problematisches Verhalten beginne aber vor der tiefroten Linie des Strafrechts. Das Parlament müsste deshalb einen verbindlichen Verhaltenskodex kennen, der unter anderem den Umgang mit Geschenken und Einladungen reguliere, so Hilti.

«Das Parlament zeigte sich bisher jedoch nicht gewillt, das Lobbying und damit auch die eigenen Nebenmandate zu regulieren.»

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Pascal Sigg ist Mitglied von Lobbywatch.
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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

2 Meinungen

  • am 11.09.2024 um 14:29 Uhr
    Permalink

    Schweiz zunehmend wie USA: Via Geld in die Politik, und sobald man dort ist, fliesst «es» zurück an die Geldgeber?
    Gehören «Gegengeschäfte» nicht eh dazu?
    Saldo.ch (5.12.2023) titelt: Labors überwiesen Ärzten heimlich mehr als 100 Millionen Franken
    Privatlabors bezahlten Ärzte, um mehr Aufträge zu erhalten. Diese Kickbacks trieben die Krankheitskosten in die Höhe. Nun wollen sich die grossen Labors mit den Krankenkassen auf eine Rückzahlung einigen, wie vertrauliche Dokumente zeigen.
    Urnerzeitung.ch (30.8.2022) titelt: Kampagnenorganisation platziert 20 Meter langes Plakat [Der Pakt mit dem Teufel] auf der Teufelsbrücke
    Um auf eine Zusammenarbeit zwischen Economiesuisse und dem Bauernverband aufmerksam zu machen, haben Aktivistinnen und Aktivisten [Campax] in Andermatt kurzzeitig eine Botschaft platziert.

  • am 11.09.2024 um 17:22 Uhr
    Permalink

    Im Lehrbuch über Parlamentarismus würde solcherlei Kungelei von Auftraggebern (kranke Kassen, Werbeindustie usw.) und Auftragnehmern (sprich Parlamentariern) schlicht als Beispiel von Korruption bezeichnet.
    In der Schweiz gibt es ja bekanntlich keine Korruption. Weil: man kennt sich.
    In Tat und Wahrheit wird dieses Land von einer durch und durch korrupten Mehrheit in den Abgrund geführt. Die angebliche Pandemie, die kranken Kassen und das noch kränkere Krankheitssystem dahinter, die Altersverarmung und die stete Privilegierung des einen, oberen Prozentes sind dafür nur Beispiele. Diese korrupte Mehrheit demoliert seit Jahrzehnten die AHV zugunsten der Finanzindustrie, sie verhindert eine gerechte Besteuerung – vor allem der oberen und obersten Vermögen und Einkommen – und unternimmt skrupellos alles, um dieses Land zu einer neoliberalen Hölle zu machen. In Deutschland lautete bisher – bis zum Erscheinen des BSW – die Antwort AfD. Und in der Schweiz? Die Herrliberger Eidgenossen.

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