Die PFAS-Lobby kämpft verbissen gegen ein Verbot
Seit fünf europäische Länder 2023 bei der EU vorgeschlagen haben, PFAS en gros zu regulieren, läuft deren Lobby heiss. Zur Erinnerung: PFAS sind eine Gruppe von tausenden kaum abbaubaren Chemikalien, die Grundwasser, Böden und Lebensmittel verseuchen.
Von einigen ist belegt, dass sie gesundheitsschädlich sind, von anderen weiss man es noch nicht. Entkommen kann man ihnen nicht. Jeder und jede hat zumindest einige davon im Körper.
Vor fast genau zwei Jahren reichten Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Norwegen und Schweden bei der EU den Vorschlag ein, sämtliche PFAS zu verbieten. Ausgenommen würden nur sogenannte «essentielle» Anwendungen, bei denen sie sich nicht ersetzen lassen.
«Massive, orchestrierte Desinformationskampagne»
Das Vorhaben, mit dem sich derzeit die Ausschüsse in Brüssel beschäftigen, rief umgehend hunderte Lobbyisten auf den Plan. Im «wahrscheinlich grössten Lobby-Ansturm, den es in Europa jemals gab», reichten Unternehmen und ihre Vertreter insgesamt 17’000 Seiten bei der zuständigen Europäischen Chemikalienagentur ECHA ein. Das schreibt die deutsche «Tagesschau» unter Bezug auf das «Forever Pollution Project», an dem auch das SRF beteiligt war.
Unternehmen wie Chemours und 3M, die PFAS produzieren, produziert haben oder in der Produktion verwenden, schickten hunderte Lobbyisten nach Brüssel. Viele Hersteller haben ihre Lobbyingaktivitäten vervielfacht, dokumentiert «Corporate Europe».
Es geht ihnen nicht um Ausnahmen, sondern darum, das Verbot komplett zu stoppen. Das «Forever Pollution Project» dem mehr als zwei Dutzend grosse Medien wie «Le Monde», der «Guardian» oder die «Süddeutsche Zeitung» angehören, beschreibt den Lobbyingaufwand als «massive, orchestrierte Desinformationskampagne». Hauptsächlicher Schauplatz neben Brüssel: Deutschland.
Mit Taschenspielertricks gegen ein Verbot
Dabei fällt Lobbyist:innen offensichtlich so wenig ein, dass sie ganz unten in der Trickkiste kramen müssen. Reporter:innen der ARD trafen sich für eine Dokumentation mit Martin Leonhard, der für das Unternehmen Karl Storz arbeitet. Karl Storz stellt Endoskope her, die ohne PFAS wesentlich schlechter seien, demonstriert Leonhard. Anwendungen der Medizintechnik wie Prothesen, Instrumente oder künstliche Herzklappen gehören zu jenen, bei denen es hohen Aufwand erfordert, PFAS zu ersetzten.
Eine Woche vor dem Treffen hatte Storz im deutschen Bundestag ein Stück Teflon in ein Wasserglas gegeben und angekündigt, das Wasser zu trinken. Wasser unklaren Inhalts zu trinken, ist bei Pressekonferenzen ein schon immer gern genutzter Trick. Das aber ist grob irreführend. Teflon (PTFE) löst sich nicht in Wasser. Ganz anders sieht es mit den Chemikalien aus, die bei dessen Produktion verwendet werden. Der Frage, ob er diese Abwässer ebenfalls trinken würde, wich Leonhard aus.
«Nicht alle PFAS» und andere Argumente
Die Kritik der Hersteller richtet sich unter anderem dagegen, eine ganze Chemikaliengruppe en gros zu regulieren. Ein solches Vorgehen ist tatsächlich neu. Die Industrie drängt auf den sogenannten «risikobasierten» Ansatz, der nur einzelne Stoffe betreffen würde.
Darauf zu warten, bis tausende PFAS gründlich untersucht sind, ist jedoch nach Ansicht vieler Expert:innen nicht machbar. Zudem wurden schon in der Vergangenheit bekannte und gefährliche PFAS durch unbekanntere ersetzt, von denen sich später herausstellte, dass sie ebenfalls schädlich sein können. Beide Stoffe finden sich nun für längere Zeit in der Umwelt.
Neben dem Argument «nicht alle PFAS sind giftig», gibt es zahlreiche weitere. Unter anderem die Behauptung, dass die Herstellung in geschlossenen Systemen erfolgen kann, dass Emissionen oder Abfälle gereinigt werden können, dass sich die Industrie selbst regulieren kann, dass die Wirtschaft leide, die Energiewende zum Stillstand komme und – wenig überraschend – PFAS «alternativlos» seien, die Regulierung Arbeitsplätze koste und Unternehmen zur Abwanderung bewege. Das «Forever Pollution Project» hat tausende Argumente analysiert und die wichtigsten aufgelistet. Ein aus der Diskussion um Plastik, Tabak oder fossile Rohstoffe bekanntes Repertoire.
Falsche OECD-Zitate und bestellte Studien
Verwiesen wird gerne und häufig auf «die Wissenschaft». Besonders gerne zitiert wird eine Aussage, die es gar nicht gegeben hat. So hat die OECD angeblich behauptet, mehrere oder alle PFAS seien harmlos («of low concern»).
Diese falsche «Wahrheit» hat es bereits bis ins deutsche Wirtschaftsministerium geschafft. Die zitierten Aussagen wurden so nie gemacht, beteuerte die OECD auf Anfrage mehrerer Medien. Sie gehen auf 1993 zurück, als es noch kaum Daten zu PFAS gab, und stammen aus dem Protokoll einer Expertengruppe.
Belegt wird die «Nicht-giftig-Aussage» dazu gerne mit zwei Studien, die wiederrum auf die OECD verweisen (Henry et al., 2018 und Korzeniowski et al., 2023). Deren Autor:innen standen entweder in einem Beratungsverhältnis zu Unternehmen wie Gore (Hersteller von Gore-Tex), 3M, Chemours, Solvay oder AGC Chemicals oder seien dort angestellt, dokumentiert das «Forever Pollution Project». Unabhängigkeit sieht anders aus.
Deutschland ist sich doch nicht mehr so sicher
Die «Lobbyschlacht» (Tagesschau) jedenfalls zeigt erste Erfolge. In Deutschland, das den Vorschlag bei der ECHA massgeblich mitgetragen hat, haben sich Zahlen und Narrative der Industrie an einigen Punkten durchgesetzt, belegt die «Tagesschau».
Pauschale Verbote lehne er ab, sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz schon im August 2023. Das deutsche Wirtschaftsministerium zeigte sich im Januar 2024 bereit, Fluorpolymere aus der Regelung auszunehmen – mit Verweis auf das falsche Zitat der OECD. Beides zur Verwunderung der anderen Länder, die den Verbotsvorschlag mittragen.
Wer ein Interesse daran hat, dass PFAS nicht verboten werden
Das «Forever Pollution Project» führt als starke PFAS-Interessenvertreter die Fluorpolymer-Gruppe (FPG) der Organisation Plastics Europe auf, beziehungsweise deren Mitglieder AGC (Japan), Arkema (Frankreich), Chemours (USA), Daikin (Japan), DuPont (USA), Gujarat Fluorochemicals (Indien), WL Gore (USA), Honeywell (USA), Syensqo (ehemals Solvay, Belgien) und Kureha (Japan). Das einschlägig bekannte Unternehmen 3M taucht ebenfalls in Lobbyingberichten auf, ist aber seit 2023 nicht mehr Mitglied in der FPG.
Das SRF verweist zusätzlich auf die deutsche BASF und auf die Schweizer Branchenverbände Swissmem und Scienceindustries als Vertreter der Metall- und Maschinenindustrie beziehungsweise der Chemie- und Pharmaunternehmen. Auch Unternehmen, die dort Mitglied sind, verweisen auf die nicht haltbaren OECD-Argumente. Beide Verbände, so das SRF, führten aber auch Beispiele von PFAS-Alternativen auf.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Den Fortschritt, den Wohlstand, das gibt es halt nicht gratis. Auch mein Computer besteht aus x Teilen, wovon ich keine Ahnung habe. Aber gesund sind diese Teile sicher nicht, ich möchte nichts davon essen. Nun staune ich über das PFAS-Dossier, mit Dutzenden von Artikeln seit 2016. Bashing? Steht auch irgendwo etwas über den Nutzen? Gibt es z.B. Computer ohne PFAS?
Zuoberst: «Die «ewigen Chemikalien» PFAS bauen sich in der Natur so gut wie gar nicht ab. Fast alle Menschen haben PFAS bereits im Blut.» Daraus die vereinfachte Schlussfolgerung: PFAS bauen sich in der Natur nicht ab, also in mir auch nicht. Und wenn ich z.B. Fisch esse mit PFAS drin, so schadet es mir nicht. Jaja, das «so gut wie», ist eben nicht nichts. Ich denke, wir kommen nicht darum herum, die verschiedenen Stoffe einzeln zu prüfen und dann freizugeben oder zu verbieten.
Guten Tag Herr Straumann,
PFAS sind nicht akut giftig. Zumindest von einigen weiss man aber sicher, dass sie krebserregend sind, das Immun- und Hormonsystem stören und so weiter. Das sollte wichtiger sein als jede Nützlichkeit. Auch PCB, DDT oder FCKW waren einmal nützlich und wir kommen jetzt weitgehend ohne sie aus. Seither wissen wir auch, wie problematisch Altlasten sind.Grundsätzlich ist es bedenklich, derartig langlebige künstliche Stoffe in die Umwelt zu bringen.
Dass PFAS im Körper «nichts machen» ist also oft falsch. Es müsste mindestens untersagt werden, verbotene (weil schädliche) PFAS durch unbekannte zu ersetzen wie es mit PFOA (verboten) und Gen X geschehen ist («besonders besorgniserregender» Ersatz, wir haben berichtet).
Die meisten Fachleute halten den Aufwand für eine Prüfung tausender Substanzen für nicht beherrschbar. Der Industrie würde das wohl auch nichts bringen, weil es lange dauert.
Beste Grüsse, Daniela Gschweng