Kommentar
kontertext: Paris, Place de la Concorde
Es war noch in der Zeit der Proteste gegen die Rentenreform, als ich mir in Paris eine Demonstration auf der Place de la Concorde ansehen wollte. Kurz bevor ich von zu Hause wegging, schaltete ich noch das Fernsehen ein. Ein Lokalsender war vor Ort, und was er zeigte, schockierte mich dermassen, dass ich zu Hause blieb und die ganze Nacht nicht mehr vom Bildschirm loskam.
Auf den ersten Blick schien die Stimmung auf dem weiten Platz friedlich. Mehrere Polizisten – die unangenehmeren von der CRS – schlenderten vereinzelt mitten unter Demonstranten über den Platz. Plötzlich ertönte der Ruf: «Attaquez!». Die Polizisten formten sich zu einem Keil, rannten auf einen Demonstranten los, packten und verhafteten ihn. «Reculez!» war der nächste Befehl, und der Keil löste sich auf, die Polizisten spazierten einzeln weiter.
Was wollte die Polizei? Genau das war nicht auszumachen. Vielleicht wollte sie die unangemeldete Demonstration auflösen? Vielleicht. Auf dem ganzen Platz gab es keinen einzigen Lautsprecherwagen der Polizei. Zu keinem Zeitpunkt während des ganzen Abends und der ganzen Nacht erfuhren die Demonstranten, was sie, nach Meinung der Polizei, tun sollten.
Später in der Nacht hatte die Polizei eine grössere Menschenmenge in eine Zugangsstrasse zum Platz abgedrängt und offenbar eingekesselt. Unruhe, Panik drohte. Es war nicht etwa die Polizei, die der Menge den Weg zum Abzug wies, sondern ein Demonstrant. Er kam aus einer Métrostation und verkündete laut, die Station sei offen. Die Menge zog ab in den Untergrund.
Gähnende Leere
Die Demonstranten waren sehr jung, die meisten Männer. Sie gammelten auf dem Platz herum und wussten nicht, was tun. Gelegentliche Sprechchöre zerfielen schnell. Einmal war zu sehen, wie ein Demonstrant einen Stein aufhob und Richtung Polizei warf. Was ging im Kopf dieses Mannes vor? Einmal wurde ein Bauzaun angezündet. Die Feuerwehr kam, löschte den Brand, dann war auch dieses Spektakel vorbei, und die Stunden zogen sich hin. Zu keinem Zeitpunkt während der ganzen Nacht gab es irgendeinen Versuch, mit diesen jungen, wütenden Menschen etwas anzufangen: eine Rede vielleicht? Musik vielleicht? Flugblätter vielleicht? Debatten vielleicht? Parolen vielleicht? Kein Aktivist, keine Gewerkschafterin, kein Politiker, keine Vertreterin irgendeiner Organisation zeigte sich. Eine gefährliche Ödnis breitete sich aus, in der die Menschen auf dumme Gedanken kommen konnten. Die Situation verfaulte.
Wenige Stunden zuvor war im Fernsehen noch der demonstrierende Mélenchon zu sehen gewesen, links und rechts von ihm, Arm in Arm mit ihm, je eine junge schöne Frau, eine von ihnen natürlich «people of color». Das war werbewirksam. Aber auf der Place de la Concorde nicht aufzutauchen, das war verantwortungslos.
Wenige Tage zuvor war eine Demonstration den Boulevard St. Michel heraufgezogen. Die Gewerkschaften hatten mobilisiert und für alles Nötige gesorgt: Parolen, Transparente, Unterhaltung, Verpflegung, Ordner.
Radikale Reformen wären nötig
Die jungen Wutentbrannten in den städtischen Vororten und die nicht mehr so jungen quer durch das ganze Land sind von allen guten Geistern verlassen. Mit ihnen zusammen und von unten wären Strukturen aufzubauen, in denen zu leben sich lohnt. Mit ihnen und von unten wären Gedanken zu entwickeln, für die zu leben sich lohnt. Das wäre zwar eine langfristige Riesenaufgabe, aber es wäre der einzige erfolgversprechende Weg. Wenn die Familien von Bürgermeistern ihres Lebens nicht mehr sicher sind, muss der Staat mit Repression reagieren. Er wird dadurch aber auch die sozialen Probleme verschärfen, denn er hat für weite Teile der französischen Bevölkerung seine Legitimation verloren. Die Wut auf das «System», das die grossen Probleme der Menschheit nicht lösen kann, ist an sich etwas Kostbares. Sie vom rein Destruktiven ins Produktive zu kehren, ist die Aufgabe.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
Frankreich wird als ersten Land Europas islamisiert werden gefolgt
von Schweden, GB, DE, AT, CH, usw.
Die Politik, europaweit, ist den Wirtschaftsinteressen untergeordnet. Nicht mehr vom Volk, für das Volk sondern von der Wirtschaft, durch das Volk für die Wirtschaft. Somit besteht kein Interesse etwas zu ändern was Geld kostet und nicht der Wirtschaft zu gute kommt.
Und solange es kostengünstiger ist solch aufbegehren nieder zu knüppeln als die Ursachen zu bekämpfen, solange wird das auch so bleiben.