Bern

Strassenaktion für Nahost-Frieden in Bern, August 2024 © fs

kontertext: Frauen für Frieden in Israel und Palästina

Felix Schneider /  Strassenaktion in Bern: Zwei Schweizerinnen agitieren für Frieden im Nahen Osten. Ein Gespräch.

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Ihr habt Euch für die israelische Friedensorganisation Women Wage Peace soeben an einer Strassenaktion in Bern beteiligt. Würdet ihr euch bitte vorstellen?

Regula Alon: Ich bin Regula Alon, Mutter und Grossmutter, gebürtige Schweizerin, ich lebe seit über 40 Jahren in Israel und bin aktives Mitglied von Women Wage Peace und Mitleiterin der Auslandsbeziehungen von WWP.

Anna Gyger: Und mein Name ist Anna Gyger. Ich wohne in Bern mit meiner Familie in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt und ich bin bei der Unterstützergruppe von Women Wage Peace Schweiz mit dabei.

Könnten Sie bitte Women Wage Peace kurz vorstellen?

R. A: Women Wage Peace wurde 2014 gegründet. Gleich zu Ende des Gazakrieges. Wo wir gesagt haben, das soll der letzte Krieg sein, wir arbeiten auf Frieden hin. WWP hat knapp 50’000 Mitglieder: jüdische, muslimische, christliche und drusische Frauen, alle mit israelischer Staatsbürgerschaft.

Wie sind Sie zu WWP gekommen, Frau Gyger?

A. G: Ich hatte über Youtube von Women Wage Peace gehört, und diese Frauenfriedensbewegung hat mich sehr berührt. Und dann habe ich gehört, dass die Schweiz eine Unterstützergruppe gegründet hat und bin da dazugestossen.

Warum Frauen? Haben Frauen da etwas Spezifisches beizutragen?

A. G: Ich glaube, wir Frauen haben sehr viel Empathie. Vorhin auf der Strasse hat eine Frau zu mir gesagt, dass sie sehr leidet. Und es sie so traurig macht, wenn sie an diesen Krieg denkt. Da geht einfach ganz viel Emotionales mit. Ich glaube, der Wunsch nach Frieden ist in uns Frauen sehr stark.

R. A: Ja, warum Frauen? Wir Frauen sprechen eine andere Sprache. Wir haben andere Empathien. Wir können gut zuhören. Wir können sehr gut auf andere Menschen zugehen. Besser als Männer. Wir, Women Wage Peace, rufen dazu auf, dass Frauen in Friedensverhandlungen voll einbezogen werden. Weil wir eben andere Aspekte ansehen. Die bisherigen Friedensverhandlungen wurden immer von Männern geführt. Es wurde immer über Militär, über Grenzen, über Waffen gesprochen. Aber andere Aspekte wie Bildung, Gesundheitswesen, Kunst und andere, zivile Angelegenheiten, Klima, Religion, wurden nie einbezogen in die Verhandlungen.

Weiss man, ob bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas überhaupt eine einzige Frau dabei ist oder war?

R. A: Das wird geheim gehalten. Ich habe das Bauchgefühl, dass es da gar keine Frauen gibt.

Frauen einbeziehen in die Verhandlungen – das ist eine erste und konkrete Forderung. Darüber hinaus: Wie kann man Frauen in diese Politik einbeziehen? Was ist an konkreten Aktionsmöglichkeiten denkbar?

R. A: Es war zuerst einmal eine Forderung, vor 25 Jahren, Resolution 1325 der UNO, dass Frauen in Kriegsgebieten auf der einen Seite eine sehr gefährdete Bevölkerung sind und auf der anderen Seite in die politischen Prozesse und Institutionen zur Bewältigung und Verhütung von Konflikten voll einbezogen werden müssen. Viele Länder haben da unterschrieben. Israel hat auch unterschrieben, aber durchgezogen wurde es eben nicht. Das ist im Übrigen auch etwas, was über Gesetze festgelegt werden sollte.

Sie fordern also einerseits, auf dieser hohen Ebene Frauen in offizielle Gremien zu bringen, z.B. für Friedensverhandlungen. Und andererseits sitzen wir hier an einem kleinen Tischchen in einem Berner Café, und dazwischen ist ein grosser Raum. Wie kann man agieren in diesem Raum? Was kann man an konkreten Aktionen machen?

A. G: Wir waren vorhin auf der Strasse und haben Menschen angesprochen, ob ihnen Friedensarbeit ein Anliegen ist. Und wir haben mit ihnen über den Aufruf der Mütter «The Mother’s Call», die gemeinsame Initiative von Women Wage Peace und Women of the Sun, gesprochen. Das wäre ein kleines Beispiel für eine Aktion. 

R. A: WWP setzt sich dafür ein, dass ein Abkommen ausgehandelt wird, welches für beide Seiten stimmt, und verlangt den Einbezug von Frauen bei allen Verhandlungen. Nach dem 7.10. wurde das «The Day after the War Forum» gebildet, ein «Frauenkabinett», wie wir sagen, das sich Gedanken macht über eine Zukunft für Israelis und Palästinenser.  WOS konzentrieren sich auf Empowerment von Frauen, damt sie mitreden können und von ihren Männern unabhängiger werden

Wer sind die Verbündeten? Die Friedenskräfte im Nahen OstenM

R. A: Women of the Sun ist ein sehr, sehr gutes Beispiel. Women of the Sun ist unsere palästinensische Schwesterorganisation. Sie ist aktiv im Westjordanland und hat auch einige Mitglieder im Gazastreifen. Ihr erstes Anliegen ist die Förderung von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft, wo Frauen eben nicht viel zu sagen haben. Frauen sollen gefördert werden, ihre eigene Meinung haben können und sich dann eben auch einbringen können in der Gesellschaft und in zukünftigen Friedensverhandlungen.

Wer sind die Gegner, die Kontrahenten? Wo liegen die Haupthindernisse? 

A. G: Das finde ich schwierig zu beantworten. «Der Gegner» ist für mich nicht ein Mensch, sondern eine Figur im Raume des vereinfachten, plakativen Denkens, der Polarisierung und der Unmöglichkeit, einen Diskurs wirklich zu führen und einander zuzuhören. Wenn wir mit dieser Haltung aufeinander zugehen, wird Friede keinen Boden finden.

Für wie wichtig halten Sie denn die Diskussionen in der Schweiz über den Nahen Osten? Man könnte ja sagen:  Es ist egal, was wir reden, es beeinflusst die Situation dort kaum.

A. G: Es ist meiner Meinung eine Tragödie, dass wir so wenig darüber sprechen und wir einander wenig zuhören.

Das ist eine interessante Äusserung. Ich höre oft: Es wird zu viel über Israel gesprochen. Zweierlei Massstäbe werden angelegt, höre ich, Israel werde zu oft kritisiert, andere Konflikte würden viel weniger erwähnt. Kaum jemand geht auf die Strasse, wenn es um die Katastrophen im Iran, im Sudan oder in Afrika geht, aber gegen Israel wird oft demonstriert, so heisst es, und das wird dann ganz schnell in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Reden wir zu viel oder zu wenig?

A. G: Wir reden zu wenig und wir hören aber auch zu wenig. Wir hören die verschiedenen Perspektiven zu wenig.

R. A: Information, nicht polarisierte und nicht polarisierende Information ist wahrscheinlich das Wichtigste in diesem Konflikt. Um den Konflikt über die ganzen Jahre und mit einer Zukunftsperspektive zu verstehen – dafür muss man sich wirklich sehr, sehr reingeben und viel darüber lesen. Da muss man sich Hintergrund erarbeiten, und nicht nur Kurzfutter konsumieren, z.B. Tiktok-Filme, die stark polarisieren. Das ist heute weltweit sehr spezifisch an diesem Konflikt: Die Polarisierung ist sehr, sehr ausgeprägt. Man ist entweder pro-israelisch oder pro-palästinensisch, oft ohne überhaupt viel vom Konflikt zu verstehen, und das bringt uns in keinem Fall weiter, weil die Situation eben nicht schwarz-weiss ist. Es gibt sehr viele Grautöne. Und wenn wir in die Zukunft blicken, sollten wir für Frieden sein. Das ist das Einzige, was uns weiterbringt und nicht das Beharren auf der alleinigen Schuld der einen oder der anderen Seite. Wir stecken einfach fest in Narrativen, die immer der einen oder der anderen Seite Recht geben. 

Sie nicken sehr heftig, Anna Gyger. Eine Schwierigkeit dabei scheint mir zu sein, dass die polarisierenden Positionen es leichter haben, Emotionen zu mobilisieren. Die Leute lesen Zeitungsartikel oder sehen Bilder von den Zerstörungen in Gaza und sind dann halt gegen Israel. Wie kann man diesem Problem begegnen? Was kann man dagegen tun?

R. A: Ja, eben möglichst breit gefächert informieren! Und nicht immer gleich Stellung beziehen!  Und auch sich nicht zu stark beeinflussen lassen von der jetzigen, heutigen Situation. Die Menschen haben oft nicht die Zeit oder die Geduld, sich breit gefächert zu informieren. Wir reagieren auf das, was heute passiert, berücksichtigen vielleicht gerade noch, was gestern geschah, und dann errichten wir Schuld-Konti – das vereinfacht das Ganze. In Wirklichkeit ist die Situation sehr kompliziert. Und wir sehen ja, dass weltweit diejenigen Menschen, die polarisieren, ein sehr, sehr einfaches Spiel haben. Sie teilen die Welt in Gut und Böse, aber die Welt ist viel komplexer. 

Wo sind die Räume, in denen man überhaupt so eine differenzierte Sicht entfalten kann?

R. A: Wir könnten hier vielleicht erzählen, Anna hat ein Gespräch organisiert hier in Bern vor wenigen Monaten. Und da haben wir über Women Wage Peace und Women of the Sun, unsere Schwesterorganisation in Palästina, informiert. Und dann gab es wirklich einen Dialog ohne Schuldzuweisungen. Und als wir die Menschen, die dort waren, am Ende gefragt haben: «Mit welchem Gefühl geht ihr hier raus?» Da war das Wort, das in den Antworten am meisten benutzt wurde, das Wort «Hoffnung». Sie haben gesehen, dass es Organisationen und einen Weg gibt, wo nicht immer nur Polarisierung und gegenseitige Anschuldigungen gemacht werden, sondern es gibt Ansätze für einen anderen Dialog, eine andere Sprache.

Regula Alon und ich, wir sind ungefähr im selben Jahrgang. Anna Gyger, Sie sind ja nun deutlich jünger. Haben Sie eine Idee, wie Women Wage Peace in den Social Media auftreten könnte?

A. G: WWP ist präsent auf den sozialen Medien. Die sozialen Medien sehe ich als grossartige Gelegenheit und auch gleichzeitig als die Plattform, die Polarisierung befördert. Es ist sehr wichtig, dass WWP dort präsent ist und wir auch. Ich persönlich kann mir manchmal Kommentare nicht verkneifen, wo ich eben das Thema Einseitigkeit immer wieder kommentiere. 

Wenn Sie kommentieren, lassen Sie Ihrer Wut freien Lauf oder halten Sie sich zurück und argumentieren sachlich? 

A. G: Da achte ich sehr darauf, dass ich die Emotionen zügle. Und ich kommentiere zum Beispiel im Nahostkonflikt immer so: Habt ihr die Geschichtsbücher geöffnet? Habt ihr mal gelesen, was da in den letzten 100 Jahren passiert ist? Und auch, dass wir Schweizer vorsichtig sein müssen, überhaupt Kommentare abzugeben. Ich würde mir Kommentare nicht anmassen.

Aber was machen Sie denn, wenn nicht Kommentare? Könnten Sie uns ein Beispiel geben: Ein Eintrag, der Sie geärgert hat, dem Sie widersprochen haben.

A. G: Zum Beispiel die ganzen Universitätsbesetzungen, die es da gab zu diesem Thema. Und die natürlich Wellen geschlagen haben auf Social Media, und da habe ich genau das eingebracht: Ich wünsche mir Dialog, Gespräche. Ich wünsche mir eine weite Perspektive, dass man einander zuhört. Sonst, habe ich gesagt, ist Frieden nicht möglich.

Teilen wir die Auffassung, dass kein Gespräch zustande gekommen ist bei diesen Besetzungen der Universitäten. 

A. G: Ich war nicht vor Ort. Aber in Social Media kam das definitiv so rüber. Ja, ja.

Und woran lag das?

A. G: Ja, woran lag das? Ich würde wieder sagen, weil einfach nur eine Seite dort stark präsent war. Und ich wünsche mir Orte, wo beide Stimmen gleichwertig gehört werden und Platz bekommen. Und Leute, die gut moderieren! Das finde ich wichtig.

Sie haben die Stichworte «Zukunft» und «Hoffnung» ausgesprochen. Haben Sie eine Vorstellung, wie diese Zukunft ausschauen könnte im Nahen Osten? 

R. A: Es wurde und wird immer wieder über eine Zweistaatenlösung gesprochen. Die ganzen Jahre hindurch galt sie als die ultimative Lösung. Wir Frauen von Women Wage Peace und Women of the Sun geben keine Lösung vor. Wir sagen: Setzt euch zusammen mit vollem Einbezug von Frauen und kommt zu einem Abkommen, das für beide Seiten steht. Es gibt so viele verschiedene Lösungen auf dem Tisch: ein Staat, zwei Staaten, eine Kantonslösung, eine Konföderation von Israel, Palästina und Jordanien usw. Es gibt viele Vorschläge und Ideen. Was wirklich wichtig ist, ist das Zusammensitzen und einander Zuhören, die Schuldzuweisungen hinter uns zu lassen und zu fragen, wie können wir, gemeinsam oder geteilt, in irgendeiner Form weitergehen, damit alle Menschen zwischen dem Fluss, dem See und dem Meer gleichberechtigte Möglichkeiten haben?

A. G: Dem schliesse ich mich ganz an!

Was geschieht in der Zwischenzeit? Ich hoffe, dass Gespräche, wie Sie sie eben skizzierten, einmal möglich sein werden. Aber das wird Zeit brauchen. Im Moment, selbst wenn morgen ein Waffenstillstand zustande käme, kann ich mir nach einem solchen Krieg nicht vorstellen, dass alle, inklusive 50 Prozent Frauen, an einem Tisch sitzen und eine Lösung finden, die alle befriedigt. Wie überleben wir die Zwischenzeit, bis es so weit ist?

R. A: Es braucht den Einbezug einer viel breiteren Allianz, und das ist auch ein Teil unseres Anliegens. Es ist ja auch nicht nur der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Wenn wir die ganze Region in den Blick nehmen, ist es ein viel breiter gefächerter Konflikt zwischen der Achse von Iran und den islamistischen Organisationen auf der einen Seite und auf der anderen Seite den gemässigten Staaten wie Saudi Arabien, den Emiraten, Ägypten, Jordanien, die bereits einen Friedensvertrag mit Israel haben. Und diese müsste man in einem breiteren Abkommen auch einbeziehen. Das ist sehr wichtig, schon zum Aufbau von Gaza und für die wirtschaftlichen Interessen der gesamten Region.

Anna Gyger, Sie haben das Schlusswort Welches ist die nächste Aktion, die Sie gerne machen würden?

A. G: Zum einen möchte ich persönlich hier in Bern Abende über das Thema Frieden regelmässig etablieren. Und zum anderen gibt es eben die Unterstützungsgruppe von Women Wage Peace Schweiz, die wir gerne bekannt machen möchten. Da gibt es eine WhatsApp-Gruppe, wo man dazu kommen kann, wo wir diese beiden Vereinigungen, Women Wage Peace und Women of the Sun, auch in der Schweiz zum Thema machen und ihre Anliegen hier vertreten.

Anna Gyger, Regula Alon, herzlichen Dank für das Gespräch.


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2 Meinungen

  • am 17.11.2024 um 14:59 Uhr
    Permalink

    Ohne Ende der Besatzung kann es keinen Frieden geben. Nur weiterhin Unterwerfung unter unhaltbare Zustände (Okkupation, Ethnic Cleansing, „Slow Genocide“‘ (Genfer Konvention betr. Genozid 1948)
    .
    1. bedingungsloser Waffenstillstand
    2. Auslösung der Geiseln beider Seiten (Israel. Gefängnisse!)
    3. absolutes, definitives Ende der illegalen besatzung/Annexion
    4. Entweder a) umgehende Zweistaatenlösung nach Evakuierung aller nach 1967 illegal okkupierter/annexierter paläst. Gebiete inkl. Reparationszahlungen gem. IGH Juli 2024 oder b) umgehende Bildung eines wahrhaft demokratischen Staates mit ausnahmslos gleichen Rechten für alle BürgerInnen gleich welcher Religion und Ethnie inkl. Recht auf Heimkehrung der Vertriebenen.

    Alles andere ist Feigenblattpolitik und allenfalls positive Vorbereitung für einen demokratischen Einheitsstaat für alle.

  • am 17.11.2024 um 15:48 Uhr
    Permalink

    An dem March von Woman wage peace im Oktober 2017, an welchem um die 30 000 Frauen teilnahmen, wurde (von den israelischen Frauen) beschlossen, das Wort «Besatzung» nicht zu erwähnen. Ich nehme an, das wäre zu polarisierend gewesen oder einer Schuldzuweisung gleichgekommen. Ich glaube durchaus an das Potenzial von Frauensolidarität, habe jedoch meine grössten Zweifel, dass eine Bewegung, welche nicht bereit ist, die Grundübel beim Namen zu nennen, etwas zu politischen Lösungen beitragen kann. Ohne politische Forderungen und Lösungen, bewirkt eine solche Bewegung bestenfalls, sich mit dem Status Quo wohler zu fühlen, und ist die Furcht vor Normalisierung leider berrechtigt.

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