Kommentar

kontertext: Das (un)weibliche Gesicht des Krieges*

Nika Parkhomovskaia, Inna Rozova © zvg

Nika Parkhomovskaia / Inna Rozova /  Russlands Frauen im Krieg: Sie handeln als Propagandistinnen, als Friedenskämpferinnen oder als Teil der schweigenden Mehrheit.

Zur Feier des internationalen Frauentags veranstaltete das russische Verteidigungsministerium 2023 einen Schönheitswettbewerb für weibliche Militärangehörige mit dem neckischen Titel «Make-up unter der Tarnung» und deutete damit dezent an, dass der Krieg alle russischen Bürger betrifft, auch die Frauen. Gleichzeitig gab Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekannt, dass 1100 russische Frauen an den Militäraktionen in der Ukraine beteiligt sind. Er gab ausserdem an, dass derzeit mehr als 39‘000 Frauen in der russischen Armee dienen. Sie alle sind der Gefahr ausgesetzt, sich in Kriegsgebieten wiederzufinden.

Denunzieren und Russland lieben

In der heutigen russischen Gesellschaft ist der internationale Frauentag einer der äusserst seltenen Anlässe, den Zusammenhang zwischen Frauen und Krieg in der Öffentlichkeit zu erwähnen. Die Behörden treten dabei patriarchalisch auf. Sie erwarten von den Frauen, Jungs zu gebären, die später Soldaten werden. Darüber hinaus werden Frauen auch im «Hinterland» an der «Heimatfront» für den reibungslosen Ablauf der Rekrutierung von Soldaten und zur Förderung der Kriegsbegeisterung eingesetzt: Da die Mobilisierung für den Krieg über spezielle Rekrutierungsstellen erfolgt und viele Männer, die nicht kämpfen wollen, sich zu verstecken versuchen, können Ehefrauen bei der Mobilisierung eine wichtige Rolle spielen. Sie können ihre Ehemänner den Rekrutierungsstellen ausliefern. Dazu werden sie auch aufgefordert von Fernsehpropagandisten aller Art, von Priestern oder von Coaches, die Workshops anbieten von der Art «Wie bringe ich mein weibliches Wesen zur Geltung». Für Lehrerinnen und Lehrer – und die überwiegende Mehrheit der Lehrpersonen sind Frauen – gibt es eine besondere Anweisung. Sie müssen jede Woche die so genannten «Gespräche über wichtige Dinge» durchführen, eine Art Analogie zu den «zwei Minuten Hass» aus George Orwells Roman «1984». Sie sollen unterrichten, Russland zu lieben und seine Feinde zu hassen.

Drei Fraktionen

Aber das ist nur der sichtbare Teil des Eisbergs, in Wirklichkeit betrifft der Krieg die gesamte weibliche Bevölkerung Russlands, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. In Bezug auf den Krieg sind die russischen Frauen in drei Lager geteilt: diejenigen, die ihn unterstützen, diejenigen, die sich ihm auf die eine oder andere Weise widersetzen, und die schweigende Mehrheit, die keine klar formulierte Position hat. Zur ersten Gruppe gehören Millionen von Frauen im Rentenalter, die seit vielen Jahren für Putin stimmen. Ihre Jugend fiel in die Zeit der Sowjetunion, und viele von ihnen sehnen sich noch immer nach den Zeiten, als das Gras grüner und Russland grösser und stärker war. Genau wie der Präsident selbst haben sie Angst vor allem Neuen wie «nicht-traditionellen» Werten, Feministinnen und dem Internet. Putin, der nicht ohne ihr Zutun all die Jahre an der Macht geblieben ist, ist der Garant für ihre gewohnte Lebensweise. Ihr Lebensgefühl drückt eine in Russland weit verbreitete, sprichwörtliche Redensart aus: «Wir haben nie gut gelebt, es hat keinen Sinn, jetzt damit anzufangen». Sie sind bereit, alle Lügen zu glauben, die sie von den offiziellen Fernsehsendern hören. Ein fester Bestandteil dieser «Frauen für den Krieg»-Partei sind politische Propagandistinnen wie Margarita Simonyan oder Olga Skabeeva in den Medien, v.a. im Fernsehen. Die Propaganda ist fast der einzige Berufszweig im heutigen Russland, in dem man von wirklicher Gleichberechtigung sprechen kann. Moderatorinnen und Journalistinnen führen stundenlange Propaganda-Sendungen durch, sind nicht weniger beliebt als ihre männlichen Kollegen und haben einen großen Einfluss in der Gesellschaft. Neben bekannten Moderatorinnen gibt es auch eine ganze Reihe von «Heldinnen der unsichtbaren Front» – das sind Reporterinnen, die im Einklang mit der offiziellen Linie über militärische Operationen berichten. Weibliche Abgeordnete der Staatsduma sind in der Öffentlichkeit nicht annähernd so präsent wie die Medien-Propagandistinnen. Das hat damit zu tun, dass es ohnehin nur wenige von ihnen gibt. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Abgeordneten in den beiden Kammern des Parlaments (450 Abgeordnete insgesamt) beträgt gerade mal 16 %. Kommt hinzu, dass das russische Parlament insgesamt eine eher dekorative Funktion hat. Es ist in die Zeit der UdSSR zurückgefallen, als es einstimmig alle von oben herabgesenkten Gesetze annahm. Unter den weiblichen Abgeordneten stechen nur zwei Elenas heraus – Yampolskaya, die das Verbot von Fremdwörtern fordert, und Mizulina, die für die Abschaffung des Internets eintritt.

Die Kämpferischen

Überraschenderweise sind die Frauen der «Antikriegspartei» sichtbarer, aber nur für diejenigen, die sie sehen wollen. Man lädt diese Frauen nicht in die grossen staatlichen Sender ein und schreibt nicht über sie in den Medien, und wenn doch einmal, dann ist es immer abwertend. Zum Glück gibt es noch alternative Medien, die sie zu Wort kommen lassen und sie sichtbar machen. Da sind in erster Linie diejenigen, die das Vorgehen der russischen Regierung offen verurteilen. Zu ihnen gehören Kommunalabgeordnete, Menschenrechtsaktivistinnen, Feministinnen, oppositionelle Journalistinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen und Privatleute. Ihre Schicksale haben sich unterschiedlich entwickelt: die einen wurden verhaftet und verbüssen ihre Strafen, andere warten auf ein Urteil, wieder andere haben Russland bereits verlassen, und einige sind noch im Land und kämpfen weiter. Es ist leicht zu erkennen, dass die «Friedenspartei» viel jünger ist als die «Kriegspartei». Viele ihrer Anhänger (wie Daria Serenko vom Feministischen Antikriegs-Widerstand oder Nadezhda Tolokonnikova und Maria Alyochina von Pussy Riot) sind die so genannten «Kinder der Perestroika», geboren und aufgewachsen in den Tagen, als sich Russland stark am Westen orientierte und sich in Richtung Demokratie bewegte. Oft teilen ihre Eltern ihre Werte nicht, was zu Familientragödien führt, wenn das Band zwischen den Generationen zerreisst. Aber natürlich gibt es unter diesen Frauen auch erfahrene Demokratinnen, die sich an die düsteren Sowjetjahre erinnern und alles getan haben, damit sie sich nicht wiederholen: Inna Shcherbakova von Memorial, zum Beispiel, oder die Menschenrechtsaktivistin Zoya Svetova und viele andere. Diese Frauen versuchen, gerade noch geduldete und halblegale, publizistische oder aufklärerische Aktivitäten wie Podcasts, Zusammenkünfte, Exkursionen etc. aufrecht zu erhalten. Aber ihre Lage ist natürlich prekär, sie sind ständig von Repression bedroht.

Die Lauen

Zwischen den beiden Polen – Frauen, die den Krieg aktiv ablehnen, und Frauen, die ihn aktiv befürworten – gibt es eine träge Mehrheit. Diese Frauen sind ganz unterschiedlich hinsichtlich ihres Alters, ihrer nationalen Identität und ihres sozialen Status. Sie haben keine klare politische Position. Sie verstehen nicht oder geben vor, nicht zu verstehen, dass die Entscheidungen der Behörden früher oder später jede von ihnen betreffen werden, und «erwachen» erst, wenn es in ihrem Haus Ärger gibt. Als im Herbst 2022 die Teilmobilisierung angekündigt wurde, kam es in verschiedenen Regionen des Landes (Dagestan, Burjatien, Jakutien) zu spontanen Protesten von Frauen, die forderten, ihre Männer, Brüder und Söhne nicht zu behelligen.

Ehrlich gesagt sieht die Lage in Russland heute ziemlich hoffnungslos aus. Die wenigen Erwartungen, die wir noch haben können an diejenigen, die sich im Land befinden, sind mit dem weiblichen Widerstand verbunden. Schliesslich waren es in den letzten Jahren die Frauen, die zivilgesellschaftliche Strukturen, Basisinitiativen und Selbstorganisationen geschaffen haben. Zurzeit gibt es noch Politikerinnen wie Lubov Sobol, Yulia Galyamina und andere, die aus verschiedenen politischen Parteien kommen und heute «unabhängig» genannt werden können. Sie drängen darauf, Menschen, die müde, verängstigt, verwirrt und der Propaganda ausgesetzt sind, nicht zu stigmatisieren, sondern zu versuchen, ihnen die Wahrheit zu vermitteln. Die Zukunft des Landes hängt zu einem großen Teil davon ab, inwieweit ihnen das gelingt.

* Dieser Titel ist eine Anspielung auf den Roman «Der Krieg hat kein weibliches Gesicht» der belarussischen Nobelpreisträgerin Svetlana Alexievich.

Aus dem Englischen von Felix Schneider


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Nika Parkhomowskaia ist eine russische Wissenschaftlerin, Kritikerin, Kuratorin und Theaterexpertin. Die Sprachforscherin und Kulturjournalistin Inna Rozowa hat für verschiedene russische Medien geschrieben. Beide leben seit 2022 in Westeuropa. Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 4.05.2023 um 10:54 Uhr
    Permalink

    Bei uns gibt es auf der eine Seite die Kriegs- und Rüstungsbefürworterinnen von der Leyen, Baerbock, Beck, Strack-Zimmermann und einige Journalistinnen, die sich hinterm Schreibtisch als Bellizistinnen und Russenfeindinnen betätigen. Auf der anderen Seite stehen Wagenknecht, Krone-Schmalz und Schwarzer, die Verhandlungen wollen. Was werden wohl Mütter, Schwestern, Ehefrauen tun, wenn ihre Männer, Brüder, Söhne auf seiten der EU und NATO in den Krieg ziehen müssen? Werden sie den gleichen Mut haben wie einige Russinnen und Ukrainerinnen, die Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen und Frieden fordern? Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt. Nachsatz: Frauen in der Roten Armee haben im 2. WK besonders als Pilotinnen und Scharfschützinnen beachtliches geleistet, da gibt es militärische Tradition, die bei uns nicht zu finden ist: https://de.rbth.com/geschichte/80611-sowjetische-frauen-heldinnen-krieg-gegen-nazi-deutschland

  • am 4.05.2023 um 11:29 Uhr
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    Sehr wichtger Artikel.

    Wenn es ueber Russlands Frauen darin heisst:» Sie handeln als Propagandistinnen, als Friedenskämpferinnen oder als Teil der schweigenden Mehrheit.»

    stellt sich die Frage wie die Unterschiede zu Frauen in der Ukraine aussehen?

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