Kommentar

Im Namen des Gesetzes

Bernd Hontschik © ute schendel

Bernd Hontschik /  Die Titel von Gesetzen in Deutschland werden seit Jahren fantasievoller. Aber oft sind sie vor allem eines: Volksverdummung.

Franziska Giffey hat es erfunden. Bald hatten es alle nachgemacht. Im Jahr 2019 hatte die damalige Bundesfamilienministerin damit begonnen, kurze, knackige und vor allem positive Fantasienamen für Gesetze zu erfinden. Sie sollten jedermann und jederfrau verständlich machen, was sie für ein grossartiges Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hatte.

Den Anfang machte das «Gute-Kita-Gesetz». Eigentlich hiess es das «Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung». Das Gesetz hat es natürlich nicht vermocht, den eklatanten Personalmangel in den Kindertagesstätten zu beheben. Es müsste für viele Eltern daher eigentlich das «Keine-Gute-Kita-Gesetz» heissen. Dann kam aber gleich darauf das «Starke-Familien-Gesetz». Sein eigentlicher Name lautet «Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe».

Andere Ministerien kopierten die Idee von Frau Giffey, und daher gibt es seitdem eine immer grössere Zahl von inhaltsleeren, suggestiven, aber imagebildenden Gesetzesnamen. Das «Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht» von Horst Seehofer hiess nun «Geordnete-Rückkehr-Gesetz». Das «Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung» hiess stattdessen «Qualifizierungschancengesetz».

Suggestion statt Lösungen

Da wollte das Gesundheitsministerium natürlich nicht zurückstehen. So nannte Jens Spahn 2019 sein «Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung», mit dem der «Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich» reformiert wurde, das «Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz». Mit dem Spahn’schen «Pflege-Modernisierungs-Gesetz» von 2021, das im Original «Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege» hiess, verhält es sich wie mit dem Gute-Kita-Gesetz: Der eklatante Mangel an Pflegekräften lässt sich auch mit suggestiven Gesetzesnamen nicht vertuschen.

Aber dann kam Karl Lauterbach und mit ihm ein bis dato nicht gekanntes Feuerwerk von Gesetzen – wirksam in nahezu allen Bereichen des Gesundheitswesens. Waren es im Jahr 2023 «nur» 23 Gesetze und Verordnungen, die auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit aufgeführt werden, so sind es allein bis Juli 2024 schon 25 – ein rekordverdächtiges Jahr.

Und natürlich hat man sich auch hier wieder um eingängige Gesetzesnamen bemüht. Das «Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz» vom März 2024 heisst schlicht «Krankenhaustransparenzgesetz». Ebenfalls vom März 2024 stammt das «Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten» oder einfach: «Gesundheitsdatennutzungsgesetz». Dass mit diesem Gesetz unser aller Gesundheitsdaten für die Forschung zugänglich gemacht werden, wofür sogar eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten aufgebaut wird, geht aus dem netten Namen nicht hervor. Im gleichen Zug wird die elektronische Patientenakte durch eine skandalöse Opt-out-Regelung hinterrücks eingeführt. Ohne die Daten der Patientenakte kann man nicht forschen. Theoretisch kann jetzt jeder auf diese Daten zugreifen, wenn nur der Forschungszweck stimmt.

«Gesundes-Herz-Gesetz»

Das «Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune» vom Juli 2024 heisst der Einfachheit halber «Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz». Auch im Juli 2024 kam es zur ersten Lesung des «Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes» im Bundestag, ein «Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen», hinter dem sich die mit grossem Aplomb angekündigte und umstrittene Krankenhausrevolution verbirgt. Ganz und gar lächerlich ist die Suggestion, die mit dem «Gesundes-Herz-Gesetz» verbunden ist. Abgesehen davon, dass die Verordnung von Statinen an Kinder und Jugendliche höchst umstritten ist, ist doch noch nie jemand per Gesetz gesund geworden.

Genug der Beispiele. Merke: Gesetzesnamen sind einzig und allein fürs Image da. Mit solchen Gesetzen ist alles geordnet, fair und modern oder wenigstens modernisiert, alles wird gut, alles ist stark oder wenigstens gestärkt. Was umstritten oder heikel ist, wird nicht benannt. Das ist gesundheitspolitische Volksverdummung.

Dieser Artikel erschien am 25. Juli 2024 in der deutschen Ärzte-Zeitung.


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2 Meinungen

  • am 4.08.2024 um 14:53 Uhr
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    Aussen fix, Innen nix.

    Da die Politiker unfähig sind die wirklichen Probleme zu lösen, flüchten sie in Scheinwelten. Laut verschiedensten Medien können fast die Hälfte der Berliner Drittklässler kaum lesen und rechnen (erfüllen die Mindeststandards nicht). Interessiert niemanden, die Frühsexualisierung hat jedoch höchste Priorität.

  • am 5.08.2024 um 06:29 Uhr
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    Die Gesetze rund um die Gesundheitsdaten finde ich in Ordnung. Hier ist man dabei, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen für die Hebung eines Datenschatzes für Erkenntnis-Gewinne in der Medizin-Wissenschaft zu unser aller Nutzen.

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