Im amerikanischen Wahlkampf brodelt es in der Gerüchteküche
Schuldig in allen 34 Anklagepunkten – mit Donald Trump wird sich nach dem eindeutigen Urteil der New Yorker Jury in der vergangenen Woche wegen Urkundenfälschung und der Zahlung von Schweigegeldern im November wohl erstmals ein erstinstanzlich Vorbestrafter für die Wahl zum nächsten US-Präsidenten stellen.
Das stört den Mann offensichtlich nicht: Er zeigt keine Spur von Schuldeingeständnis, Reue oder Verunsicherung. Unmittelbar nach dem Urteil ist er zum publizistischen Gegenangriff übergangen. Der Prozess sei politisch instrumentalisiert, manipuliert und von Präsident Joe Biden orchestriert, so seine kühne Behauptung. Auch rechts-konservative Mitglieder der republikanischen Partei rasten aus und fabulieren von einer Verschwörung mit dem Ziel, die Präsidentschaftswahl zu manipulieren.
Unverfrorenheit war schon immer Trumps Trumpf
Diese Chuzpe lässt sich leicht erklären: Die Unverfrorenheit gehörte schon immer zu Trumps Erfolgsrezept. Auch diesmal scheint der Mann von der Publicity profitiert zu haben, die er aufgrund der exzessiven Berichterstattung über den Prozess erhielt. Tatsächlich hat seine Beliebtheit an den Wettmärkten (siehe Grafik) während des Gerichtsverfahrens deutlich zugenommen, bevor sie nach dem Urteil etwas absackte.
Auch in Umfragen liegt er trotz weiterer Prozesse mit substanzielleren Beschuldigungen knapp vor Biden. Aber das gilt in der Regel nur für die jeweilige Anhängerschaft – und nicht nur das sollte dem Amtsinhaber zu denken geben. Denn trotz aller Wirren kann sich Trump auf die Unterstützung erzkonservativer Milliardäre verlassen, die ihm nach der Urteilsverkündung angeblich zusammen mit massenhaften Kleinspendern in kürzester Zeit knapp 35 Millionen Dollar haben zukommen lassen. Das ist Geld, das ihm wohl wie gerufen käme, um es wie in der Vergangenheit in den laufenden Gerichtsverfahren verbrennen zu können.
Donald Trump scheint es trotz aller Widrigkeiten immer wieder zu gelingen, seine Klientel zu mobilisieren. Im Gegensatz zu den regierenden Demokraten träumt diese von einem schlankeren Staat, von niedrigeren Steuern, von mehr unternehmerischer Freiheit und von einer stärkeren Vertretung der eigenen Interessen in der Wirtschafts-, Finanz- und vor allem auch in der internationalen Geopolitik.
Trotz gewisser Erfolge lassen sie sich von den «Bidenomics» nicht überzeugen. Selbst wenn im einstigen Rostgürtel heute Batterie- und Chips-Fabriken entstünden, komme der Wirtschafts-Boom bei vielen Wählern nicht an. Schliesslich habe Biden mit den gewaltigen Stimulierungsmassnahmen auf Pump die Schulden und vor allem auch die Preise von Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu stark nach oben getrieben. Der 81-Jährige sei senil und solle endlich abtreten, lästern sie.
Ist das Land so gespalten, dass nur noch «Heilige» wie Tylor Swift oder Michelle Obama helfen könnten?
Die Demokraten dagegen wollen weiterhin mit grosser Kelle anrichten und das Land ohne Rücksicht auf die finanziellen Konsequenzen mit massiven Investitionen in die Infrastruktur und gezielter Industriepolitik «zukunftsfähig» machen, wie es so schön heisst. Damit haben sie in der Vergangenheit vor allem den Staatsanteil hochgetrieben und die Ungleichheit beflügelt.
Das alles zeigt nur, dass das Land politisch tief gespalten ist, dass viele Wähler eigentlich weder Trump noch Biden wählen wollen und dass sie sich nach Alternativen sehnen. Selbst prominente Persönlichkeiten wie der frühere Hedge-Fund-Manager Ray Dalio schlagen scherzhaft Persönlichkeiten wie die umschwärmte Sängerin Tylor Swift als Heilsbringerin vor. Der Superstar hätte die Ausstrahlung, die Cleverness, das solide Umfeld und wohl auch die Mittel, um das Land zu einen und um ihm wieder eine Zukunft zu geben, so seine Idee.
Andere wärmen ein ums andere Mal das Gerücht auf, Michelle Obama könnte im letzten Moment für die Demokraten in die Bresche springen. Die Frau war schon so vieles: Karrierefrau, erste schwarze First Lady, Stilikone und die treibende Kraft hinter Barak Obamas Zeit vor und im Weissen Haus. Ihr würden die Fahnen nur so zufliegen, falls der amtierende Präsident Joe Biden beim Parteitag der Demokraten im August mit grosser Geste seinen Verzicht verkünden sollte, so die Erwartung.
Die Fantasie um Michelle Obama ist das Produkt einer tiefen Frustration. Wohl noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten sind zwei Kandidaten gegeneinander angetreten, die so unpopulär bei der jeweiligen Opposition waren. Zwei Drittel der Amerikaner halten den 81-jährigen Biden für zu alt, um noch einmal vier Jahre das mächtigste Land der Erde zu führen. Aber auch vor Trump graut vielen, zumal er mit 77 Jahren nur unwesentlich jünger als Biden ist.
Michelle Obama lehnt zwar alle Spekulationen über eine Kandidatur kategorisch ab, dafür verdichten sich in diesen Tagen wieder einmal die Verschwörungstheorien über einen Rückzug Bidens. Demokratische «Powerbroker» wie Donna Brazile, Marc Elias, Dick Durbin, Nancy Pelosi und ein paar andere zögen hinter den Kulissen die Fäden, arbeiteten am Projekt «Trojanisches Pferd». Dieses sähe vor, dass Biden bei den Vorwahlen möglichst lange im Rennen bleibe, um möglichst viel Zustimmung zu erlangen.
Dann, möglicherweise im Juni, werde er überraschend ankündigen, aus medizinischen Gründen und zum Wohl des Landes auf die Kandidatur für die nächste Amtsperiode zu verzichten, aber bis Ende des Jahres im Amt zu bleiben. Auf diese Weise werde er nicht nur für genügend Zeit sorgen, um den Übergang zu organisieren, sondern er werde den Parteidelegierten die Wahl eines anderen Kandidaten ermöglichen, der bis dahin hinter den Kulissen bereits bestimmt worden und konsensfähig sei.
Aus diesem Grund habe Biden Trump jüngst auch mit der frühen Aufforderung überrascht, sich zu zwei TV-Duellen zu stellen. «Donald, komm schon. Lass uns ein Datum aussuchen. Ich höre, du hast mittwochs immer Zeit», witzelte er in Anspielung auf Trumps gerade abgeschlossenen Prozess in New York, der in der Mitte der Woche stets pausierte. Das erste Duell soll am 27. Juni in Atlanta stattfinden. Sollte es für Biden schiefgehen, lägen die Argumente auf dem Tisch.
Im Jahr 1968 hat Lyndon B. Johnson mit dem Rückzug «geschockt»
Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass so etwas passieren würde. Denn schon im Jahr 1968 liess der damals äusserst unpopuläre demokratische Präsident Lyndon B. Johnson an einem Sonntag die Fernsehsendungen zur besten Zeit mit der Nachricht unterbrechen, aus dem Rennen für die nächste Präsidentschaft auszusteigen. Stattdessen erhielt der Ersatzkandidat Humbert Humphrey auf dem Parteitag der Demokraten die Nominierung, obwohl er keine einzige Vorwahl bestritten oder gewonnen hatte.
Für Biden könnten die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, oder der Gouverneur von Illinois, J.B. Pritzker, oder der angesehene, nun unabhängige, ehemalige Senator Joe Manchin einspringen – oder eben der kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom, heisst es. Der Letztgenannte führe schon seit Monaten eine «Schatten-Präsidentschaftskampagne» – etwa, indem er mit dem floridianischen Kollegen Ron DeSantis öffentlich und vor fünf Millionen Personen diskutiert habe, indem er sich mit chinesischen Präsidenten Xi Jinping getroffen habe oder indem er nach Israel gereist sei.
Verschwörungstheoretisch angehauchte Skeptiker von republikanischer Seite fürchten, so ein Vorgang, sollte er sich tatsächlich bestätigen, könne die USA in eine «Bananenrepublik» verwandeln. Und am nationalen Parteitag der Demokraten in Chicago vom 19. bis 22. August könne ein ähnliches Chaos ausbrechen wie im Jahr 1968, als nach Johnsons Rückzug Demonstranten aufgrund des Vietnamkriegs auf die Strasse gingen und von der Chicagoer Polizei brutal niedergeknüppelt wurden.
Richtig brisant werde es wohl nach der Wahl werden. Sollte Trump gewinnen, werde die Antifa-Bewegung für erhebliche Unruhe sorgen. Sollten dagegen Biden oder ein alternativer Kandidat der Demokraten gewinnen, würden die Trump-Anhänger ihrer Wut und Empörung in einem Ausmass Ausdruck verleihen, dass die Proteste im Rahmen des Sturms auf das Kapitol in den USA am 6. Januar des Jahres 2021 dagegen harmlos aussähen, heisst es.
Das alles sind bisher Spekulationen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Schade wurde es hier nicht erwähnt, aber mit Kennedy gibts eine gute, wählbare Alternative die im Rennen ist, da hätte man gar nicht auf vermeintliche, wie Michelle Obama, zugreifen müssen…
Das System ist in den USA so gestaltet, dass ein Dritter keine Chance hat. Er schadet nur jenem Kandidaten, dem er näher steht.