Gaza

Nach der Zerstörung droht nun der Hungertod. Trotzdem blockiert die Schweiz die Hilfe an die UNRWA © UNICEF

Gaza-Krieg: Die Doppelzüngigkeit der Schweiz

Markus Mugglin /  In New York ist die Schweiz für humanitäre Hilfe für die vom Hunger bedrohte Bevölkerung, in der Schweiz wird die Hilfe blockiert.

Vergangene Woche exponierte sich die Schweiz gleich zweimal im Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza. Am Montag im fernen New York als Mitglied des UNO-Sicherheitsrats und am darauffolgenden Tag in Genf in einer Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, an der die Lage im Nahen Osten bzw. in den besetzten Gebieten das Hauptthema war.

In New York: dem humanitären Völkerrecht verpflichtet

Was bisher nicht möglich war, schaffte der UNO-Sicherheitsrat erstmals nach mehr als sechs Monaten Krieg in Gaza. Er verabschiedete eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand, der zu einer dauerhaften Waffenruhe führen soll. Der Durchbruch gelang nach tage- und nächtelangen Diskussionen. Möglich wurde er auch dank der Schweiz. Die in der Resolution hergestellten Bezüge zum Völkerrecht «tragen die Handschrift der Schweiz, des Depositarstaates der Genfer Konventionen», rapportierte die NZZ. Gefordert werden die sofortige Freilassung der Geiseln, der Schutz der Zivilbevölkerung, die Gewährleistung der humanitären Hilfe. In New York ist sich die Schweizer Mission offensichtlich der katastrophalen Lage in Gaza bewusst. «Praktisch alle Haushalte in Gaza lassen täglich Mahlzeiten ausfallen. Im Norden Gazas ist inzwischen jedes dritte Kind unter zwei Jahren akut unterernährt. In ganz Gaza sind mehr als eine Million Menschen – die Hälfte der Gesamtbevölkerung – von einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit betroffen und einem erhöhten Risiko von akuter Unterernährung und Tod ausgesetzt.» Damit es nicht noch schrecklicher kommt, forderte der UN-Sicherheitsrat die «Aufhebung aller Hindernisse für die humanitäre Versorgung der von Hunger bedrohten Bevölkerung im Gazastreifen».

Hindernisse gibt es deren viele. Hilfslieferungen in den Gazastreifen und innerhalb des Gebiets vom Süden in den Norden sind blockiert. Vor dem 7. Oktober 2023 erreichten täglich rund 500 Lastwagen mit humanitären Gütern das Gebiet. In den ersten zwei Märzwochen 2024 waren es im Durchschnitt aber nur 165 Lastwagen. Ein Hindernis sind aber auch ausbleibende Hilfsgelder – nicht zuletzt auch aus der Schweiz.

In der Schweiz: Die Hungerkatastrophe kümmert uns nicht

Und daran soll sich nichts ändern. Denn wofür sich die Schweiz in New York einsetzt, dagegen wehrt sie sich hierzulande. Oder wie es die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates (APK) in ihrer Medienmitteilung formuliert hat: «Über die Finanzierung der humanitären Hilfe für den Nahen Osten wird die Kommission diskutieren, wenn der Bundesrat (….) die beiden APK dazu konsultiert.» Das wird frühestens an der nächsten Sitzung der Kommission vom 29. April sein.

Die Hunderttausenden vom Hungertod bedrohten Menschen in Gaza sollen sich gedulden, ist die zynische Antwort unserer Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker auf den katastrophalen Ausnahmezustand im Gazastreifen.

Und ob die Schweiz dann bereit sein wird, Hilfe zu leisten, ist keineswegs sicher. Ihr Hauptaugenmerk ist auf das UNO-Hilfswerk für die Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten gerichtet (UNRWA). Bereits im letzten Dezember hat das Parlament die Hilfe gekürzt, wollte zuerst gar alle Zusagen an die UNRWA streichen. Als Israel im Januar den Vorwurf erhoben hatte, dass zwölf Mitarbeitende des Hilfswerks am Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen seien, stoppte der Bundesrat jegliche Auszahlungen, wie es auch die USA, Kanada, Australien, Japan sowie in Europa Deutschland, Italien, Grossbritannien, die Niederlande, Österreich, Finnland, Dänemark, Schweden, Island und die EU getan hatten.

Die katastrophale Lage im Gazastreifen haben Canada, Deutschland, Grossbritannien, Australien, Dänemark, Schweden, Island und die EU bewogen, die Zahlungen wieder aufzunehmen. Norwegen, Belgien, Irland, Spanien hatten ihre Hilfe gar nie gestoppt. Bleibt neben den USA und Japan noch die Schweiz, die die Menschen in Gaza im Stich lässt.

Eine Alternative zur UNRWA gibt es nicht

Zwar leisten auch das IKRK und andere Hilfsorganisationen im Gazastreifen überlebenswichtige Hilfe. Eine Alternative zur UNRWA vermögen sie aber nicht zu bieten. Das bekräftigen nicht nur israelkritische Kreise. Vor knapp einem Monat meinte das beispielsweise auch die britische Botschafterin bei der UNO in New York, Barbara Woodward: «Wir weisen darauf hin, dass das UNRWA der wichtigste Anbieter grundlegender Gesundheits- und Bildungsdienste sowie humanitärer Hilfe für zwei Millionen Menschen in verzweifelter Not im Gazastreifen ist. Über eine Million Vertriebene sind in UNRWA-Gebäuden, einschliesslich Schulen, untergebracht, und das UNRWA versorgt über eine Million Menschen mit Nahrungsmitteln.»

Doch Israel will nicht nur die Hamas, sondern auch die UNRWA zerstören, wie unlängst dessen Generalkommissar Philippe Lazzarini im Interview mit dem Tages-Anzeiger (17. Februar 2024) erklärte. Im Norden des Gazastreifens hat Israel die Zusammenarbeit soeben aufgekündigt. Auch die der israelischen Regierung nahestehende Lobbyorganisation UN-Watch will das UNO-Hilfswerk für die Palästina-Flüchtlinge auflösen. Ihr will die aussenpolitische Kommission des Nationalrates am nächsten Termin vor Ende April Gehör schenken.

Die Doppelzüngigkeit der Schweiz im Gaza-Krieg wird ihre Fortsetzung finden. Dem Ruf der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen über das humanitäre Kriegsvölkerrecht scheint eine Mehrheit unserer Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker ausgerechnet im 75. Jubiläumsjahr willentlich gehörig Schaden zufügen zu wollen. Die Beseitigung aller Hindernisse für die humanitäre Versorgung der von Hunger bedrohten Bevölkerung im Gazastreifen, wie es die Schweiz in New York fordert, soll von der Schweiz aus keine Unterstützung erhalten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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7 Meinungen

  • am 31.03.2024 um 16:41 Uhr
    Permalink

    Korrigenda: sechs und nicht sieben Monate dauert dieses Massaker nun an.
    Ansonsten einverstanden. Die Schweiz hat sich verkauft/verraten. Humanitäre Traditionen für‘n A….

    • Portrait Marco Diener.1 Kopie
      am 31.03.2024 um 16:53 Uhr
      Permalink

      Merci für den Hinweis. Es sind mehr als sechs und nicht mehr als sieben Monate. Wir haben das korrigiert.

    • am 2.04.2024 um 13:38 Uhr
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      Sorry. Das Massaker haben die Hamas veranstaltet und sie tun es immer noch. Wie verdreht doch viele in unseren Breitengraden diesen Konflikt darstellen. Die Hamas hat weitgehend erreicht was sie wollte unter brutalen Opfern, die sie absichtlich in Kauf nehmen! Sie haben den Antisemitismus weltweit wieder «salonfähig» gemacht und den weltweiten Hass auf Israel befeuert.

  • am 31.03.2024 um 16:44 Uhr
    Permalink

    Vor allem: die ganzen „Terror“ Anschuldigungen gegen UNWRA sind mittlerweile „debunked“, sprich an denen ist nichts dran. Die Mitarbeiter des UNWRA wurden unter grausamster Folter zu solchen „Geständnissen“ gezwungen. Es ist unfassbar was da abgeht!! Max Blumethal und Aaron Maté (Sohn von Holocaust Survivor Gabor Maté) haben das genaustens seziert, zu finden auf The Grayzone.

  • am 1.04.2024 um 00:49 Uhr
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    Gut auf den Punkt gebracht. Danke, Markus Mugglin!

  • am 1.04.2024 um 00:59 Uhr
    Permalink

    Es ist wahrhaftig beschämend, wie sich die Schweiz verhält. Was haben wir denn für ein Parlament gewählt? Geht es da um die Unterstützung Israels wegen militärischer Zusammenarbeit, die man nicht verderben möchte? Geht es um plumpe Angst vor Muslimen, ohne jede Differenzierung, ohne kritische Hinterfragung, ohne dem eigenen Schweizer Lazzarini Glauben zu schenken?
    Wo ist die neutrale, humanitäre und diplomatische Schweiz geblieben? In den beiden Kriesen (Ukraine, Palästina) hat die Schweiz versagt, all ihre Werte über Bord geworfen, um sich den USA anzuschliessen. Aber der Ruf der Schweiz ist nun so negativ, dass sie Mühe haben wird, sich in der Welt noch Respekt zu verschaffen.

  • am 2.04.2024 um 07:22 Uhr
    Permalink

    «Wo ist die neutrale, humanitäre und diplomatische Schweiz geblieben? In den beiden Krisen (Ukraine, Palästina) hat die Schweiz versagt, all ihre Werte über Bord geworfen, um sich den USA anzuschliessen.» stellt Monique Courbat fest. Das stimmt. Die Schweiz liefert den USA trotzdem Kriegsmaterial, obwohl dieser Staat im Gazakrieg durch seine Waffenlieferungen, Bomben usw., nach Israel Kriegspartei ist. Ohne die Bomben und das Kriegsmaterial aus den USA könnte Israel nicht Krieg führen. Auch als die USA selber Kriege führten, in Vietnam, Laos, Kambodscha, Afghanistan, dem Irak, in Syrien, in Somalia, in Nicaragua, Grenada usw. wurden die Kriegsmaterialexporte nach den USA nicht gestoppt. Nach der Kriegsmaterialverordnung dürften an Staaten die in Kriege verwickelt sind zwar keine Rüstungsgüter verkauft werden. Das gilt seit Jahrzehnten. Aber Geschäft ist Geschäft.

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