Gaza: Amputationen ohne Narkose, keine Schmerzmittel
Die Leidtragenden im Gaza-Krieg sind auf palästinensischer Seite vor allem Kinder, Frauen und alte Menschen. Die beiden Ärztezeitschriften «British Medical Journal» (BMJ) und «The Lancet» versuchen immer wieder, sich einen Überblick über die humanitäre und medizinische Krise im Gazastreifen zu verschaffen. Beinahe im Wochentakt veröffentlichen sie Leserbriefe und Berichte ihrer Korrespondentinnen und Korrespondenten über die katastrophale Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung. Im Folgenden einige der erschütterndsten Auszüge.
Besonders dramatisch ist die Situation hinsichtlich der medizinischen Versorgung. Die meisten Spitäler wurden durch die israelischen Angriffe derart beschädigt, dass sie ganz oder teilweise schliessen mussten. In Rafah im Süden des Gazastreifens funktioniert nur noch ein einziges Spital, allerdings mit einem reduzierten Betrieb. Laut Médecins sans Frontières kamen bis Ende Mai mindestens 493 Angehörige des Gesundheitspersonals durch die israelischen Angriffe ums Leben («The Lancet», 31. Mai).
Hunderte von Leichen gefunden, einige gefesselt
Martin Griffiths, Leiter des UNO-Büros für die Koordination der humanitären Hilfe (OCHA), sagte: «Wir haben mehrmals wiederholt, dass es in Gaza keinen einzigen sicheren Ort mehr gibt. Keine Zufluchtsorte, keine Spitäler, keine so genannten humanitären Zonen» («The Lancet», 31. Mai). Nach Angaben von Majed Abu-Ramadan, dem palästinensischen Gesundheitsminister, sind 80 Prozent der gesamten Gesundheitseinrichtungen zerstört («The Lancet», 8. Juni).
Im Nasser-Spital in Khan Younis und im Al-Shifa-Spital in Gaza City wurden Hunderte von Leichen gefunden, die im Boden verscharrt und mit Abfall überdeckt worden waren. Viele seien alte Menschen, Frauen oder Verwundete, einige mit gefesselten Händen und entkleideten Körpern, wie das Hochkommissariat der UNO für Menschenrechte mitteilte («BMJ», 25. Mai).
«Wir taten, was wir konnten. Denkt an uns.»
Abu Nujaila, bei einem Luftangriff getöteter Arzt
Im Gesundheitsbereich fehlt es an Medikamenten und medizinischen Geräten. Viele Patientinnen und Patienten würden auf dem Boden behandelt, und für Menschen, die bald sterben würden, gebe es überhaupt keinen Platz mehr. Immer öfter fehlten dem Personal Morphin oder andere Schmerzmittel. Es fänden Amputationen ohne Narkose statt («The Lancet», 8. Juni).
Über 70’000 Menschen mit Diabetes
Trotz dieser unglaublichen Bedingungen und der ständigen Bedrohung durch israelischen Raketenbeschuss versuchen Ärzte und Pflegepersonal, verwundeten Kindern Mut zu machen, die Hände von Sterbenden zu halten, die trauernden Angehörigen zu trösten und für alle jene zu beten, die von israelischen Luftangriffen, Artilleriebeschuss oder Gewehrkugeln getötet werden.
Neben der Behandlung von Kriegsopfern gilt es, in Gaza 71’000 Menschen mit Diabetes und 225’000 mit hohem Blutdruck zu behandeln. Täglich entbinden im Gazastreifen im Schnitt 183 schwangere Frauen, von denen 15 Prozent spezielle medizinische Hilfe benötigen («The Lancet», 11. Januar). Dr. Abu Nujaila, ein bei Médecins sans Frontières arbeitender palästinensischer Arzt, schrieb vor seinem Tod durch einen israelischen Luftangriff auf die Wandtafel seines Spitals: «Wir taten, was wir konnten. Denkt an uns.» («The Lancet», 16. Februar).
«Das Schlimmste ist, wenn du dein Kind zwischen deinen Händen sterben siehst und du keine Möglichkeit hast, etwas zu tun, um es zu retten.»
Houda Hamdan, Mutter eines schwerkranken Babys
Angesichts dieser dramatischen Lage versucht das medizinische Personal verzweifelt, Schwerverletzte über den Grenzübergang in Rafah nach Ägypten oder auch über einen der wenigen Grenzposten nach Israel zu evakuieren. Seit dem 7. Mai blockiert aber Israel die Evakuierung von über 14’000 schwerverletzten und kranken Palästinenserinnen und Palästinensern aus dem Gazastreifen («The Lancet», 7. Mai). Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte 1500 Menschen für die Evakuierung vorbereitet, aber diese wurde wegen der Grenzschliessung durch Israel verunmöglicht.
«Das Schlimmste ist, wenn du dein Kind zwischen deinen Händen sterben siehst und du keine Möglichkeit hast, etwas zu tun, um es zu retten», sagte Houda, die Mutter der neun Monate alten Sadeel Hamdan, gegenüber «The Lancet». Sie befinden sich in Deir Al-Balah, mitten im Gazastreifen, wo Sadeel die letzten sechs Monate in der überfüllten Kinderabteilung des Al Aqsa-Krankenhauses verbracht hat. Sie leidet an akutem Leberversagen, hat Gelbsucht und erhebliche Bauchwassersucht (Aszites) und benötigt dringend eine Lebertransplantation. Eine solche fachärztliche Versorgung ist in Gaza derzeit nicht möglich, und eine medizinische Evakuierung auch nicht («The Lancet», 7. Mai). Laut der Genfer Konvention müssen medizinische Evakuierungen im Krieg zugelassen werden, doch diese Vereinbarung wird in Gaza mit Füssen getreten.
Aushungern als Kriegswaffe
Rund 1,1 Millionen Menschen, also etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung von Gaza, sehen sich im Moment einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Jedes dritte Kind unter zwei Jahren ist im nördlichen Teil des Streifens akut unterernährt («BMJ», 7. Mai). Innert eines Monats gelangten nur 10 bis 15 Lastwagen mit Lebensmitteln in diese Gebiete, in denen über 300’000 Menschen ernährt werden müssten. Erforderlich wären mindestens hundert.
Diese katastrophale Situation ist vor allem der Weigerung der israelischen Regierung zuzuschreiben, die humanitäre Hilfe aus dem Ausland an den Grenzposten durchzulassen. Das «BMJ» spricht sogar davon, dass Israel das Aushungern der Bevölkerung als Kriegswaffe im Gazastreifen einsetze («BMJ», 7. Mai).
Augenzeugen meinen, dass das «Open-Air-Gefängnis» Gaza, in dem die Menschen die letzten 17 Jahre verbracht hätten, jetzt zu einem 40 Kilometer langen und 8 Kilometer breiten Konzentrationslager geworden sei. Nach dem 7. Oktober 2023 wurde zwei Wochen lang die Einfuhr von Trinkwasser, Lebensmitteln, Treibstoffen, Medikamenten und medizinischen Geräten unterbunden. Seither hält die zugelassene humanitäre Hilfe in keiner Weise mit den Bedürfnissen der Bevölkerung Schritt.
Gazastreifen ist für Kinder der gefährlichste Ort der Welt
Gemäss dem letzten UNO-Bericht von Ende Mai 2024 sollen in Gaza mindestens 36’170 Palästinenserinnen und Palästinenser und 307 israelische Soldatinnen und Soldaten umgekommen sein. Dazu kommen über 1200 israelische und ausländische Opfer aufgrund des Massakers vom 7. Oktober, darunter 33 Kinder. In diesen sieben Kriegsmonaten kamen zudem in der Westbank 502 Palästinenserinnen und Palästinenser um, davon 122 Kinder. Die meisten wurden Opfer der israelischen Armee, einige aber auch von radikalen Siedlern («BMJ», 31. Mai 2024).
Das UNO-Kinderhilfswerk Unicef schätzt, dass sich unter den im Gazastreifen getöteten Menschen über 14’000 Kinder befinden; weitere 17’000 sind von ihren Eltern getrennt. In Gaza wurden in einer einzigen Woche (jener nach dem 7. Oktober) mehr Kinder getötet als in der Ukraine während eines Jahres. Unicef hat daher den Gazastreifen als den gefährlichsten Ort für Kinder auf der ganzen Welt bezeichnet («The Lancet», 23. März).
42,5 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind jünger als 14 Jahre, was die Kinder zu einer besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppe macht. Neben den unzähligen Toten nähert sich die Zahl von Schwerverletzten der Hunderttausendermarke. 85 Prozent der Bevölkerung von Gaza – das entspricht fast zwei Millionen Menschen – sind (zum Teil mehrmals) vertrieben worden und leben in provisorischen Behausungen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
- Infosperber vom 10.6.2024: «Diese Bilder und Informationen dürfen Israelis nicht sehen»
- Infosperber vom 4.12.2023: «‹Frauen und Kinder als Kollateralschaden› in Gaza unter Kritik»
- Infosperber vom 2.11.2023: «1,6 Millionen Frauen und Kinder in Gaza brauchen Waffenruhe»
- Infosperber vom 25.10.2023: «Nicht Kinder aus Gaza töten, um Kinder Israels zu schützen»
- Infosperber vom 5.7.2013: «Palästinensische Kinder «systematisch» misshandelt»
Jom Kippur, der Tag der Versöhnung mahnt Juden zur Versöhnung!
Die Thora gibt dazu Auskunft. In Jesaja 58 heißt es:
„Ihr fastet zwar, aber ihr seid zugleich streitsüchtig und gewalttätig. (…) Löst die drückenden Fesseln und nehmt das Joch vom Hals eurer Brüder. Lasst die Versklavten frei und macht jeder Unterdrückung ein Ende. (…)»Dann geht euer Licht auf wie die Sonne am Morgen, und eure Wunden heilen schnell; eure Rettung schreitet vor euch her, und die Herrlichkeit des Herrn folgt euch und schützt euch. Dann werdet ihr mich rufen, und ich werde euch antworten; wenn ihr um Hilfe bittet, werde ich sagen: Hier bin ich.“
Israel und die USA haben auch allen Menschenrechts- und humanitären Hilfsorganisationen die Hände gebunden. Was nützen Worte, Warnungen, Verurteilungen, wenn darauf keine Taten folgen dürfen??? Die Welt schaut zu, wie sie ihre eigene Spezies, ihre Werte und ihre Moral zerstört…